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Jugendrichter Bernd Süß im Gespräch„Ich wäre falsch in dem Beruf, wenn ich sage, dass es mir Spaß macht, Leute ins Gefängnis zu schicken“

ALSFELD (akr). Diebstahl, Körperverletzung, Drogenhandel – das sind nur einige Delikte, die junge Straftäter auf die Anklagebank in den Saal von Richter Dr. Bernd Süß gebracht haben. Seit Ende 2019 ist der 40-Jährige als Jugendrichter am Alsfelder Amtsgericht tätig. Im Gespräch mit Oberhessen-live erzählt der Jurist, warum er bei Jugendlichen eher streng ist, was er am Jugendstrafrecht ändern würde und welche Rolle Schicksale spielen.

„Ich habe ein Gerechtigkeitsbedürfnis – wobei Gerechtigkeit auch subjektiv ist, was man nicht vergessen darf“, sagt Dr. Bernd Süß. Der 40-Jährige ist seit 2018 Richter am Amtsgericht, seit Ende 2019 dort auch als einziger Jugendrichter tätig. Zuvor arbeitete er mehrere Jahre als Staatsanwalt in Frankfurt und Gießen. Lange überlegen musste er nicht, als das Dezernat vor knapp vier Jahren frei wurde, nachdem die damalige Jugendrichterin wechselte. „Jugendstrafrecht macht mir sehr viel Spaß, weil die Einwirkungsmöglichkeiten größer sind. Man ist einfach viel flexibler, das ist interessant“, erklärt Süß.

Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht hat nicht die Bestrafung Vorrang, sondern es ist der Erziehungsgedanke, der im Vordergrund steht. Die vorgesehenen Sanktionen im Jugendrecht sollen also primär der Erziehung des jugendlichen Straftäters dienen. Das bedeutet aber nicht, dass den jungen Tätern nicht auch, je nach Schwere der Tat, eine Strafe in einer Jugendstrafanstalt drohen kann. Auch der 40-Jährige musste beispielsweise schon mal einen 17-Jährigen in eine Jugendvollzuganstalt schicken. „Zwei Jahre und sechs Monate für Handeltreiben von BtM, also Betäubungsmitteln“, erinnert sich der Jugendrichter zurück an eine seiner schwersten Sanktionen.

Ein anderes hartes Urteil, das er bereits gefällt hat: Die unbefristete Unterbringung psychisch kranker Straftäter nach § 63 StGB. „Das war eine Systemsprengerin, bei der ich das angeordnet habe. Sie hat in keine Jugendhilfeeinrichtung gepasst“, erzählt Süß. Die damals 18-Jährige habe absichtlich Straftaten begangen, um in der Zelle in Lauterbach bleiben zu können, weil sich niemand um sie gekümmert hätte. Sachbeschädigung, Beleidigung, Körperverletzung – 17 Jahre alt war die Vogelsbergerin, als Süß sie das erste Mal verurteilte.

Jugendrichter Bernd Süß.

Sie hatte eine schwere psychische Erkrankung, wie der Jugendrichter erklärt. Doch in dem psychiatrischen Krankenhaus würde es ihr nun besser gehen, das habe er jedenfalls von ihrer damaligen Verteidigerin gehört. Jedes Jahr werde geprüft, ob sie entlassen werden könne. „Die Prognose, dass sie da rauskommt, ist allerdings schlecht“, erzählt Süß.

Schicksale der Jugendlichen

„Bei Jugendlichen sind die Straftaten oft nicht spektakulär. Sie haben oft krasse Schicksale“, erzählt der 40-Jährige. Erst kürzlich musste er einen Jugendlichen verurteilen, der selbst Opfer von Missbrauch geworden ist. Süß erinnert sich auch an einen Jungen, der sich im Gerichtsaal, als er noch in Gießen als Staatsanwalt tätig war, komplett daneben benommen habe und auch Beleidigungen nicht ausblieben. „Hier am Amtsgericht hat er dann sein Schweigen gebrochen, und offenbarte, dass er nachts von seiner Mutter geweckt wurde und sie ihn dann verprügelt hat“, berichtet er. „Das bleibt in Erinnerung“.

Diese krassen Schicksale dürfen sein Urteilsvermögen nicht beeinflussen – und das tun sie auch nicht, wie der Richter erzählt, auch wenn es eine schwierige Situation sei. Denn auf der einen Seite befinde man sich im Jugendrecht im Erziehungsstrafrecht, sprich: Die Jugendlichen sollen erzogen werden. Auf der anderen Seite aber dürfen auch die Opfer nicht außer Acht gelassen werden. „Der andere darf kein Sonderopfer bringen, weil jemand ein krasses Schicksal hat“, betont der 40-Jährige. Das in Einklang zu bringen, sei die größte Schwierigkeit.

Man müsse genau schauen, was perspektivisch möglich sei. „Wir haben heute das Problem, dass viele Jugendliche gar nicht mehr in das Jugendsanktionssystem passen“, erklärt der Jugendrichter. Gerade im unteren Bereich gehe das Jugendsystem von dem grundsätzlich „guten Jugendlichen“ aus, der einen Fehler gemacht habe, wie Süß erklärt. „Wir haben aber heutzutage Erziehungsdefizite, Jugendliche, die nicht in das System passen, weil sie das grundsätzliche Werteverständnis nicht mehr mitbringen“, betont er. Die erreiche man nicht mit Arbeitsstunden oder Arrest.

Anforderungen an die Jugendstrafe

„Es sollte seitens der Politik darüber diskutiert werden, ob die Anforderungen an die Jugendstrafe gesenkt werden können. Es gibt Fallkonstellationen, bei denen das Jugendstrafrecht zu milde ist. Eine Jugendstrafe ist in manchen Konstellationen aus erzieherischen Gründen eigentlich notwendig, jedoch fehlt die rechtliche Grundlage hierfür“, sagt der Richter. Genauer darauf eingehen möchte er aus beruflichen Gründen allerdings nicht. Seiner Meinung nach sollte man leichter die Jugendstrafe verhängen können, um den Jugendlichen das Unrecht der Tat vor Augen zu führen.

Dabei geht es dem Richter aber nicht darum, alle in Haft zu stecken. „Ich wäre falsch in dem Beruf, wenn ich sage, dass es mir Spaß macht, Leute ins Gefängnis zu schicken“, betont der 40-Jährige. Ebenso ist Süß kein Freund davon, Therapien zu verordnen. Die können nämlich ihm zufolge nur erfolgreich sein, wenn es derjenige selbst will. Daher verordnet der Jurist beispielsweise lieber Beratungsgespräche, damit sie den Einstieg finden. „Sie müssen ihr Leben selbst ändern wollen.“

Der andere darf kein Sonderopfer bringen, weil jemand ein krasses Schicksal hat.Jugendrichter Bernd Süß

Für Süß werden Menschen keineswegs als Kriminelle geboren. „Es gibt verschiedene Umstände, die sie dazu bringen, Straftaten zu begehen“, betont er. Oft spielen dabei Alkohol und Drogen eine Rolle. Der Handel mit Drogen ist übrigens eine der klassischen Straftaten, die Jugendliche in den Gerichtssaal von Süß führen. „Hier gibt es junge Leute, die sind ganz gut im Geschäft“, weiß der Richter und spricht von einer „Szene“, die es hier im Vogelsbergkreis gebe, die jedoch anders als Frankfurt nicht sichtbar ist. „Die kennen sich alle, das ergibt sich aus den Ermittlungsakten“, erzählt er.

Nicht selten kommt es vor, dass der Jurist sogenannte „Stammgäste“ im Gerichtssaal begrüßen darf. „Ich sag dann manchmal auch ‚willkommen zurück‘“ – natürlich kommt es für Süß dabei immer darauf an, wer auf der Anklagebank Platz genommen hat. Bei Jugendlichen könne er auch mal einen lockereren Sprachgebrauch verwenden, einem 15-Jährigen beispielsweise sagen, dass er „Scheiße gebaut“ habe. „Bei einem 50-Jährigen mit Wirtschaftsdelikt ist das natürlich nicht angemessen.“

Grundsätzlich unterscheidet sich Süß‘ Umgang zwischen jugendlichen und erwachsenen Straftätern aber nicht. Ihm sei es wichtig, allen Menschen mit Respekt zu begegnen. „Es gibt keinen Grund, unfreundlich zu sein. Wenn sie freundlich sind, bin ich es auch – unabhängig von der Tat, die ihnen vorgeworfen wird“, erzählt er.

Und wer jetzt glaubt, bei Jugendlichen wird eher mal ein Auge zugedrückt, der irrt sich. Süß vertritt die Meinung, bei Jugendlichen eher streng zu sein. „Wenn sie einmal das Gefühl haben, es passiert nichts, dann ist die Gefahr größer, dass sie weitermachen“, erklärt der Jurist. Bei Jugendlichen anfangs auf harte Sanktionen zu setzen, sei für sie langfristig nicht schädlich. Das werde nämlich nicht im Bundeszentralregister für private Arbeitgeber vermerkt. Man macht ihnen laut Süß damit also nicht die Zukunft kaputt.

„Ich bin der Meinung, dass die Neigung, Straftaten zu begehen, größer ist, wenn Jugendliche, die im Elternhaus keine Sanktionen für Fehlverhalten bekommen haben, dann im Gericht das gleiche erfahren“, betont er. Doch Süß weiß auch: Jeder Fall, jeder Jugendliche ist anders. So gibt es natürlich auch Jugendliche, bei denen einmal etwas schiefgelaufen ist. „Wenn man dann milde ist, weil man den Eindruck hat, er braucht nicht die gesamte Härte, und er dann aber wieder kommt – das ist schlecht“, bringt es der Richter kurz und knapp auf den Punkt. Deshalb ist es sin seinem Beruf auch sehr wichtig, Menschenkenntnis zu haben – auch wenn man mal daneben liegen kann.

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