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Jugendschöffengericht23-jähriger Feldataler vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen

ALSFELD (akr). Ein 23-jähriger Feldataler musste sich an diesem Mittwoch vor dem Alsfelder Amtsgericht verantworten. Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung und sexueller Übergriff lauteten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Am ende forderten auch die Strafverfolger einen Freispruch. 

Der Prozesstag, der an diesem Mittwoch vor dem Jugendschöffengericht am Alsfelder Amtsgericht stattgefunden hat, war alles andere als einfach – unangenehme, sehr intime Fragen gehörten zur Tagesordnung, denn es ging um den Vorwurf der Vergewaltigung, versuchten Vergewaltigung und des sexuellen Übergriffs. Der Vorwurf der Anklage: Der junge Mann aus Feldatal soll im August 2019 auf einer Geburtstagsfeier sexuelle Handlungen an zwei damals 20-jährigen Frauen ausgeführt haben, mit denen er gemeinsam – er in der Mitte – auf einer Schlafcouch schlief.

Laut Staatsanwaltschaft sollen die beiden Geschädigten geschlafen haben, was auch die beiden Frauen später so vor Gericht schildern. Der Angeklagte hatte das nach eigenen Angaben aber so nicht wahrgenommen, er habe gedacht, dass sie wach gewesen seien, weil sie sich bewegt hätten. Er habe auch „keine Ablehnung feststellen können“, weder körperlich durch irgendwelche Abwehrbewegungen, noch verbal. Keine der beiden hätten zu irgendeiner Zeit „nein“ oder „hör auf“ gesagt, als er unter anderem mit seiner Hand den Intimbereich der Nebenklägerin T. berührte oder versuchte in sie einzudringen.

Als er gemerkt habe, dass es mit T. „nicht zur Sache geht“, habe er sich rüber zur Zeugin G. gedreht, von der er ebenfalls ausgegangen sei, sie wäre noch wach. „Ich bin der absoluten Überzeugung, dass sie nicht geschlafen haben“, betonte der Feldataler, der bis dato noch keinerlei sexuelle Erfahrung gemacht hatte, wie er erklärte, und im selben Alter wie die Frauen ist.

Der Angeklagte, der wie er selbst sagt zum Zeitpunkt der Tat alkoholisiert war, schilderte, wie er die Zeugin G. berührte. Wieder habe er nicht wahrgenommen, dass es gegen ihren Willen geschieht. Da sie sich aber nicht darauf eingelassen habe, „aktiv“ mitzumachen, habe er es gelassen. Der 23-Jährige betonte nicht nur einmal, dass er es zutiefst bereue. Mehrmals entschuldigte er sich bei den beiden Frauen für sein Verhalten.

Unangenehme und intimen Fragen kamen auch auf die Nebenklägerin zu, die als erste von insgesamt vier Zeugen ihre Erinnerungen an den Tag im August vor drei Jahren schilderte. Sie sprach von einem zunächst lockeren und entspanntem Abend, mit dem Angeklagten habe sie sich gut verstanden. Sowohl sie als auch der Angeklagte hätten auch nur wenig Alkohol getrunken gehabt. „Ich bin gut eingeschlafen und dann erst aufgewacht, als es passiert ist“, sagte sie und begann zu erzählen, welche sexuellen Handlungen der Angeklagte an ihr vorgenommen habe.

„War wie versteinert“

„Ich war wie versteinert. Ich konnte nichts sagen, als wäre ich in einer Schlafparalyse“, erzählte T. Sie habe sich auch nicht wirklich bewegen können und lediglich geschafft, die Beine zusammenzupressen und schließlich ein wenig wegzurücken, sodass der Feldataler aufhörte und sie dann auch wieder einschlief. Auch wenn sie nicht verbal geäußert habe, dass sie das nicht will, sei es für sie klar gewesen, dass das gegen ihren Willen geschieht. „Ich habe geschlafen und dann auch die Beine zusammengepresst“, betonte sie nochmals.

Für sie habe es sich angefühlt wie „ein schlechter Traum“. Erst am nächsten Tag sei ihr wirklich bewusst geworden, was in dieser Nacht tatsächlich passiert sei. „Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich es realisiert habe“, erzählte sie. Mittlerweile gehe es ihr „bescheiden“. Sie leide unter Panikattacken und Angststörungen, sei auch in Therapie gewesen. Als die Angststörungen schließlich immer schlimmer geworden seien, habe sie sich sogar versucht das Leben zu nehmen. Ihr Suizidversuch habe aber nichts mit den bereits vorhandenen Depressionen oder ihrer Borderline-Erkrankung zu tun gehabt.

Das zweite Opfer, Zeugin G., befindet sich ebenfalls seit Kurzem in Therapie, wie sie im Zeugenstand erzählte. Ihr fiel es sichtlich schwer, das Erlebte wiederzugeben. Noch bevor die eigentliche Vernehmung beginnen konnte, musste diese schon wieder unterbrochen werden, weil G. ihre Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. „Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit“, betonte sie. Er habe mehrfach versucht in sie einzudringen.

„Nein“ habe aber auch sie nicht sagen können, sondern sich ebenfalls nur etwas bewegt, sich geräuspert und den Kopf angehoben, damit er merkt, dass sie wach sei. Noch heute könne sie keine Erklärung dafür finden, wieso sie nicht einfach geschrien oder um sich geschlagen hat. „Ich war in dem Moment ganz klein“, sagte sie sichtlich beschämt, ehe sich der 23-Jährige nochmals entschuldigte und bei G. wieder Tränen flossen.

Nachdem noch zwei weitere Zeugen, die Polizeibeamtin W., die die Anzeige der Nebenklägerin aufgenommen hatte, sowie die damalige Gastgeberin S. ihre Erinnerungen schilderten, übernahm die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe das Wort. Zur Erklärung: Im Strafverfahren gegen Jugendliche (14 bis unter 18 Jahre) und Heranwachsende (18 bis unter 21 Jahre) ist die Jugendgerichtshilfe gesetzlich zur Mitwirkung verpflichtet. Sie gibt dann unter anderem eine Stellungnahme darüber ab, ob die/der Heranwachsende nach Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden soll. Zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Tat war der Feldataler 20 Jahre alt.

Die Sozialarbeiterin beschrieb den Angeklagten als hilfsbereiten, engagierten Familienmenschen, der in einem behüteten Zuhaus aufwuchs sowie einen stabilen Freundeskreis und „geraden Lebenslauf“ vorweisen kann. Sie sprach sich in ihrer Stellungnahme im Falle einer Verurteilung für die Anwendung des Jugendstrafrechts aus. Anschließend schloss der Vorsitzende Richter Bernd Süß die Beweisaufnahme und übergab das Wort an den Staatsanwalt Andreas Fischer.

Im Zweifel für den Angeklagten

Obwohl der Feldataler zugab, die sexuell motivierten Handlungen begangen zu haben, plädierte Fischer darauf, den Angeklagten freizusprechen. „Wir bewegen uns hier in einem sehr sensiblen Bereich“, betonte der Staatsanwalt. Der 23-Jährige habe das Geschehen zwar objektiv eingeräumt, doch hinsichtlich der subjektiven Seite des Tatbestandes habe die Staatsanwaltschaft Zweifel. „Man kann ihm nicht nachweisen, dass er gegen ihren Willen gehandelt hat“, erklärte er, weshalb Fischer dem Verfahrensgrundsatz „In dubio pro reo“ folgte – sprich: Im Zweifel für den Angeklagten.

Auf Freisprich plädierte auch der Verteidiger Oliver Koch, der in seinem Plädoyer ebenfalls die objektive und subjektive Seite des Tatbestands aufgriff. „Sexuelle Handlungen haben wir auf jeden Fall“, betonte er. Doch auch er könne nicht klar sagen, ob sein Mandat hätte merken können, dass er gegen den Willen der Frauen handelt. „Es ist aus meiner Sicht ein Grenzfall“, betonte Koch, der nochmals darauf aufmerksam machte, dass sein Mandant aber aufgehört habe, als er merkte, dass die Frauen nicht auf seine Versuche einsteigen. Die Nebenklage, vertreten durch Rechtsanwalt Sebastian Knebel, sah das mit dem Freispruch anders. Seiner Meinung nach sollte der Angeklagte verurteilt werden, denn er sah den Tatvorwurf als gegeben an.

Richter Süß sprach den Angeklagten allerdings frei. „Es ist ein Ergebnis, das keinen glücklich macht. Die Nebenklägerin und Frau G. sind Opfer sexueller Übergriffe, das steht fest“, betonte er. Das Urteil sei auch für das Gericht „sehr unbefriedigend“. Aber auch das Gericht habe Zweifel an der subjektiven Tatseite, also Zweifel daran, dass er entgegen der Willen der Opfer gehandelt habe. „Sie gelten zwar als unschuldig, aber ganz unschuldig sind sie nicht“, betonte Süß und mahnte, dass dieses Urteil kein Freibrief sei. „Es sind spezielle Umstände in einem speziellen Fall“, so der Richter.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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