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Antrifttal und die Auswirkungen des Ukraine-KriegsEine Gemeinde rückt zusammen, um Fremden zu helfen

ANTRIFTTAL (ls). Seit über 110 Tagen herrscht in der Ukraine Krieg, seit über 110 Tagen flüchten Ukrainer aus ihre Heimatland. Viele von ihnen kommen auch in den Vogelsberg. Und dabei zeigt einmal mehr vor allem die kleinste Gemeinde im Kreis, was man in kurzer Zeit erreichen kann, wenn man zusammenrückt. Wie Antrifttal die Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg meistert.

Als der Kreisausschuss Mitte März entschied, die im Vogelsberg angekommenen Geflüchteten aus der Ukraine auf die Gemeinden aufzuteilen und sie dort in Notunterkünften unterzubringen, musste es schnell gehen, erinnert sich Antrifttals Bürgermeister Dietmar Krist an die Zeit zurück. Innerhalb von einer Woche mussten die Gemeinden Notunterkünfte errichten, um eine bestimmte Anzahl geflüchteter Menschen aufzunehmen.

Für vier Menschen im Monat sollte in Antrifttal in einer Art Notunterkunft Platz geschaffen werden, ehe die Menschen auf dauerhafte Wohnungen verteilt werden sollten. Während andere Kommunen im Kreis Dorfgemeinschaftshäuser herrichteten, ging Antrifttal schon früh einen anderen Weg; über dem Dorfgemeinschaftshaus in Seibelsdorf wurde innerhalb kurzer Zeit eine Wohnung für die Geflüchteten eingerichtet.

Ein Stück Normalität in Krisenzeiten

„Wir wollten den Menschen nach Möglichkeit schon so früh wie möglich Normalität geben und dachten, dass eine Wohnung für den Übergang besser ist, als eine Halle ohne viel Privatsphäre“, sagt Krist. Die Wohnung über dem Dorfgemeinschaftshaus in Seibelsdorf bietet Platz für zehn Personen, musste dazu aber vorab erst einmal komplett eingerichtet werden. „Deshalb waren wir nicht ganz so schnell fertig, wie andere Kommunen“, erklärt Krist. Gleichzeitig habe sich dabei aber der Zusammenhalt der Gemeinde gezeigt.

Hier werden Ukraine-Flüchtlinge untergebracht

Über Soziale Medien nämlich hatte die Verwaltung zu Möbel-Spenden aufgerufen, da die Wohnung so gut wie leer war. Kurz darauf gab es bereits die erste große Spende: Eine Küche, die in der Wohnung installiert wurde. Die einzelnen Zimmer waren erst mit Feldbetten und Kleiderschränken ausgestattet, später wurden die Feldbetten durch normale Betten ausgetauscht, die ebenfalls durch Gemeinde-Mitglieder gespendet wurden.

Auch Kinderbetten wurden gespendet, immerhin habe man nicht gewusst, wie viele Menschen kommen und ob Kleinkinder dabei sind. Neben Möbeln gab es unterschiedlichste Haushaltsgegenstände, Spielsachen und Textilien und vieles mehr. „Die Hilfsbereitschaft ist wirklich groß“, sagt Krist. Und auch mit dem Einzug der ersten Geflüchteten aus der Ukraine nahm sie nicht ab.

Nervenaufreibende Flucht unter Beschuss

Kurz darauf nämlich zog die erste Familie ein: die 32-jährige Valentyna Kondratink, ihr Partner Yousri, der aus Tunesien kommt, und die gemeinsame siebenjährige Tochter Mariyam. Ende März floh die kleine Familie aus der Region um die Stadt Mykolajiw, die in der Nähe von Odessa liegt. Als der Krieg in der Ukraine begann, konnte es Valentyna kaum glauben Erst die Explosionen, die sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf rissen, führten ihr vor Augen, dass wirklich Krieg herrscht. Was folgte, war eine Flucht, ohne wirkliches Ziel.

Während der 37-jährige Yousri in Mykolajiw blieb, floh die junge Mutter aus der Stadt aufs Dorf zu ihrer Familie, im Glauben dort sicher zu sein. Allerdings musste sie schnell das Gegenteil feststellen. Während die Städte meist durch Polizei und Militär verteidigt werden und Mykolajiw nur durch eine Brücke zu erreichen ist, die gesperrt und bewacht wurde, seien die Menschen in den ländlichen Räumen eher auf sich selbst gestellt gewesen und so schnell das Ziel der russischen Soldaten geworden.

Die junge Mutter floh anschließend mit ihrer kleinen Tochter und einer weiteren Bekannten in einem Auto zurück nach Mykolajiw, erlebten dabei das für sie beängstigendste Erlebnis. Während sich das Auto der Stadte näherte, wurden sie durch russische Truppen beschossen, Panzerraketen schlugen nur knapp dem dem Auto ein, während die Frauen um ihr Leben fürchteten, weinten und schrien. Mit viel Glück schafften sie es unversehrt in die Stadt – ohne zu wissen, dass sie nur wenige Tage später erneut fliehen sollten.

Vereint als kleine Familie verbrachten sie zwei Tag im Keller ihres Wohnhauses mit wenig Schlaf, Bombeneinschlägen in der Nachbarschaft und stündlichem Luftalarm, ehe sie über Odessa und Lwiw nach Polen flohen und schließlich in Antrifttal ankamen. Ihre Familie ließ Valentyna Kondratink in der Ukraine zurück, ihre Mutter wollte das Heimatdorf und das zerstörte Haus nicht verlassen, hilft dort es wieder aufzubauen.

„In Polen hatte ich in der Nacht schlimme Albträume“, erzählt die 32-Jährige auf Ukrainisch. Mittlerweile sei sie ein bisschen zur Ruhe gekommen, konnte sich ausruhen. Die Angst, so sagt sie, bleibe aber bestehen – insbesondere die Angst um ihre Mutter, die in der Ukraine sei. Dennoch sei sie dankbar, dass sie in Antrifttal so gut aufgenommen wurden.

Hilfe bei der Übersetzung und bei Behördengängen

Mitunter verdankt die Familie das den ehrenamtliche Helfern Karl-Heinz und Svetlana Opitz, die ebenfalls Wurzeln in der Ukraine hat. „Für mich stand nach dem ersten Schock über den Krieg in meiner Heimat sofort fest, dass ich helfen möchte“, erklärt Opitz. Sie hilft bei der Kommunikation und Übersetzung, beim Deutschlernen, bei Behördengängen und ist einfach für die Menschen da. Die Kinder würden außerdem zusammen spielen, sodass die Kleinen spielerisch gut integriert werden. Auch Bürgermeister Krist schaut regelmäßig vorbei, hilft mit Anträgen – auch über den kurzen Dienstweg.

Mittlerweile hat die junge Familie eine dauerhafte Wohnung in Kirtorf bezogen, kann sich um eine Arbeit und den Schulbesuch der siebenjährigen Mariyam kümmern. Die Notunterkunft in Antrifttal steht aber nicht leer: Seit Ende Mai wohnt eine Familie samt Oma und Kleinkind in der Wohnung. Der Junge geht bereits in Antifttal in den Kindergarten und auch diese Familie kann sich der Unterstützung der Antrifttaler sicher sein.

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