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Gießener Landgericht: Zwölf Jahre Haft für Totschlag in Alsfelder Obergasse„Er hat den Kindern den wichtigsten Menschen im Leben genommen“

ALSFELD (akr). Im Prozess gegen einen 35-jährigen Mann aus Alsfeld ist am Freitag am Landgericht Gießen das Urteil gefallen: Weil er im Mai vergangenen Jahres seine Frau in ihrer Wohnung in der Alsfelder Obergasse mit einem Gipserbeil erschlug, soll er nun wegen Totschlags für zwölf Jahre ins Gefängnis.

Anfang November startete vor dem Gießener Landgericht der Prozess gegen den 35-Jährigen mit syrischer Staatsbürgerschaft. Ihm wurde vorgeworfen im Mai 2020 seine Ehefrau in ihrer Wohnung mit einem Gipserbeil erschlagen zu haben. Die Staatsanwaltschaft stufte das Delikt zunächst als Tötung aus niedrigen Beweggründen und damit als Mord ein. „Rechtlich haben wir es mit Totschlag zu tun“, sagte Staatsanwalt Thomas Hauburger nach der Beweisaufnahme in seinem Plädoyer.

Was war am Tatabend wirklich geschehen? Dieser Frage widmete sich Staatsanwalt Thomas Hauburger zu Beginn seines Plädoyers und schilderte die Sicht der Staatsanwaltschaft. Demnach hatte der Angeklagte I. die Wohnung seiner von ihm getrenntlebenden Ehefrau aufgesucht, um mit ihr zu reden, um wichtige Unterlagen aus der Wohnung zu holen und auch um die gemeinsamen Kinder wiedersehen zu können. Es sei zum Streit gekommen, die Frau rief die Polizei. Die Beamten kamen, sprachen mit beiden Parteien. Der Angeklagte habe einen ruhigen Eindruck gemacht, er bekam einen Platzverweis und durfte die Wohnung seiner Frau nicht mehr betreten. Die Polizei rückte wieder ab – doch nur kurze Zeit später wurde sie wieder alarmiert, rief Hauburger in Erinnerung. Aber da war es bereits zu spät. Der Angeklagte hatte seine Frau getötet.

Doch wie kam es dazu? Was war der Auslöser für diese grausame Tat? Nur kurze Zeit nachdem die Polizei ihren ersten Einsatz beendet hatte, soll die Frau einen Bekannten, mit dem sie, den Beweisen zu folge, eine Beziehung hatte, angerufen haben. Eine halbe Stunde lang soll sie mit ihrer Liebschaft telefoniert haben – und genau das hat der Staatsanwaltschaft zufolge auch der Angeklagte mitbekommen. „Man muss davon ausgehen, dass das den Angeklagten wütend gemacht hat“, betonte Hauburger. Denn nur kurze Zeit später habe sich I. mit einem Gipserbeil zur Wohnung seiner Frau begeben.

Wer ihm die Tür öffnete, ob es das Opfer oder die Kinder waren, das könne man nicht sagen und das spiele auch rechtlich keine Rolle. Im Beisein der Kinder sei es dann erneut zu einem Streit gekommen. Mehrfach, so schildert es Hauburger, habe der Angeklagte dann mit dem Gipserbeil auf seine Frau eingeschlagen, sodass sie noch am Abend im Flur der Wohnung ihren schweren Verletzungen erlag. Daraufhin habe er seinen Bruder angerufen, ihm von der Tat erzählt und sei dann anschließend mit den Kindern in Richtung Bayern geflüchtet, wo er später von der Polizei festgenommen wurde.

Staatsanwalt: „Er hat das Beil mitgenommen, um sie zu töten“

Hauburger ist sich sicher, dass sich der Angeklagte mit Tötungsvorsatz in die Wohnung seiner Frau begeben hat. „Er hat das Beil mitgenommen, um sie zu töten“, betont er. Er habe das Beil sicherlich nicht mit in die Wohnung genommen, um damit das Handy seiner Frau zu zerschlagen, wie er es dem Sachverständigen geschildert hatte. „Rechtlich gesehen haben wir es hier mit Totschlag zu tun“, so der Staatsanwalt. Es habe zwar vorher Streitigkeiten gegeben, doch diese hätten den Angeklagten nicht zur Tat bewegt. „Das hängt mit dem Anruf zusammen“, betonte Hauburger. Es handele sich hierbei aber nicht um Mord, da keine niedrigen Beweggründe vorliegen würden, auch das „bloße Enttäuscht sein“ sei kein Mordmerkmal.

Doch passierte die Tat im Affekt? Das könnte nämlich mildernde Umstände mit sich bringen. Hauburger sagte, man habe es zwar mit einer Tat zu tun, die „affektgeladen ist“, aber nicht aus dem Affekt heraus passiert sei. Der Angeklagte sei nicht alkoholisiert gewesen, habe nicht unter Drogen gestanden und hätte auch keine Erinnerungslücken. Er hab den Tatablauf „zielgerichtet gestaltet“. So habe I. nicht die Tür eingetreten, um sich umhergeschlagen „wie eine wildgewordene Tarantel“. Er habe in der Wohnung der Nachbarin gesessen, sich Gedanken gemacht und dann das Beil mitgenommen – mit dem Entschluss seine Frau zu töten. „Diese Vorbereitungshandlung spricht gegen Affekt“, so Hauburger. Seiner Meinung nach wäre es vielleicht nicht zur Tat gekommen, wenn es das Telefonat mit dem Bekannten/Geliebten/Freund nicht gegeben hätte.

Was spricht aber nun für und gegen den Angeklagten? Für I. spreche, dass er ein „formales“ Geständnis abgelegt hat, das man aber Hauburger zufolge auch nicht überbewerten dürfe, da die Beweise – DNA an der Tatwaffe, Zeugenaussagen, sein Geständnis bei der Polizei – gegen den Angeklagten sprechen, sich die Täterschaft nicht bestreiten lasse. Gegen ihn spreche dabei unter anderem auch, dass er die Tat mit „extremer Gewalteinübung auf den Körper“ ausübte – und das dann auch noch im Beisein der Kinder. Die Staatsanwaltschaft forderte schließlich, den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren zu verurteilen.

Nebenklage über die Situation der Kinder

Dem schloss sich auch der eine Part der Nebenklage an, zusätzlich soll der Angeklagte noch die Kosten der Nebenklage übernehmen. Daniele Elger, die in dem Prozess für das Jugendamt die Kinder vertritt, fügte aber noch einige Ergänzungen an – und dabei wurde es ziemlich emotional. Ihrer Meinung nach habe der Angeklagte genau das umgesetzt, was er bereits mehrfach angekündigt haben soll: Seine Frau umzubringen. Darüber hinaus sei er von mehreren Zeugen als gewaltbereit beschrieben worden, und soll auch das Opfer zuvor bereits geschlagen haben. „Er hat den Kindern den wichtigsten Menschen im Leben genommen. Sie haben ihre engste Bezugsperson verloren“, betonte sie.

Die drei Kinder seien „hochtraumatisiert“, sie würden sich den Betreuern gegenüber nur sehr langsam öffnen. Elger führte an, dass der Angeklagte versucht habe, für die Verwandten das Sorgerecht zu bekommen, was jedoch abgelehnt worden sei. „Ich bitte Sie, nicht auch noch ein Umgangsverfahren zu führen“, appellierte sie an I., der auch an diesem letzten Prozesstag die ganze Zeit über auf seinen Tisch starrte und ein weißes Blatt Papier vollschrieb.

Elger erzählte, dass einer der Söhne – der Mittlere, um genau zu sein – kürzlich von der Tat geträumt und sich gefragt habe, ob er seinen Vater nicht vielleicht hätte aufhalten können, wenn er lauter gerufen hätte. Sie berichtete, wie der älteste Sohn in Tränen ausgebrochen sei, als er Fotos seiner Mutter anschaute. Elger vermutete, dass bei ihm die Therapie am längsten andauern könnte, weil er, ihr zufolge, vermutlich am meisten von der Beziehung seiner Eltern mitbekommen habe.

In den Augen der Nebenklägerin zeigte I. keinerlei Reue. Er habe den Kindern zwar geschrieben, jedoch nicht um sich zu entschuldigen. Nein – er habe lediglich geschrieben, dass er seine Kinder vermisse und wie schlecht es ihm doch gehe, dass er nicht schlafen, nicht essen könne. „Kein Wort der Reue“, betonte Elger. Sie schloss sich der Forderung von zwölf Jahren an, der Angeklagte sollte aber zusätzlich noch die Kosten für die Nebenklage übernehmen, forderte sie.

Es folgte Plädoyer Nummer drei: Joachim Hinz. Er vertrat in dem Prozess den Bruder der Getöteten, der auch an diesem Tag das erste Mal persönlich als Nebenkläger im Gerichtssaal war. Sein Plädoyer fiel deutlich kürzer aus, und wie Verteidiger Roj Khalaf später sagen wird, „auch sehr inhaltsleer“. Der Angeklagte habe die Tat zwar eingeräumt, habe sie aber, auf gut Deutsch, so oder so nicht leugnen können. Er war der Ansicht, dass I. nie mit der Scheidung einverstanden gewesen sei. Die Tat sei auch keine Kurzschlussreaktion gewesen, „er hat sich gezielt Einlass verschafft“, betonte Hinz. Er plädierte dafür, den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe oder aber wegen Totschlags zur Höchststrafe von 15 Jahren zu verurteilen.

Verteidigung: Von fehlender Reue zu sprechen sei eine Frechheit

Verteidiger Khalaf, der als nächstes an der Reihe war, forderte erst einmal eine Unterbrechung. Es folgte eine Pause von einer Stunde, ehe er mit seinem Plädoyer begann. Ein Mikrofon brauchte er nicht. Khalaf sprach laut – laut und wütend. Zunächst widmete er sich dem Plädoyer von Daniele Elger. So viel vorab: Sie durfte sich ordentlich was anhören. Sie habe mit Emotionen gespielt und sich einfach die Äußerungen der Staatsanwaltschaft zu eigen gemacht. Sie sei nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Nebenklage.

Darüber hinaus war Khalaf verärgert, dass Elger sich zu einem familienrechtlichen Verfahren äußerte – das mit dem Sorgerecht – das überhaupt nicht zur Tat gehöre. „Ich glaube, Sie leiden unter Erinnerungslücken“, sagte Khalaf sichtlich empört. Sie würde versuchen, mit Emotionen die Beteiligten in die Irre zu führen. Er könne natürlich verstehen, dass die Kinder leiden, doch zu vermuten, dass der älteste Sohn „am meisten mitbekommen habe“, ärgerte ihn. Das seien Streitigkeiten, wie sie im normalen Leben einfach vorkommen würden. „Versuchen Sie nicht, uns mit Halbwahrheiten in die Irre zu führen“, so Khalaf – und widmete sich dann dem anderen Nebenkläger, Joachim Hinz.

Bei ihm fragte sich der Verteidiger zunächst, was er überhaupt vor Gericht mache, denn er vertrat den Bruder des Opfers in der Nebenklage – der Bruder, zu dem das Opfer schon seit knapp zwei Jahren keinen Kontakt mehr gehabt habe oder wie die Schwester im Zeugenstand gesagt habe: „Er ist aus unserem Leben verschwunden.“ Auch Hinz habe falsche Tatsachen behauptet. „Herr Nebenkläger, Ihre Aussagen sind sehr inhaltsleer, ich will mich damit gar nicht weiter beschäftigen“, betonte er.

Der Verteidiger erklärte, dass sein Mandant an dem Abend aus einer Kurzschlussreaktion heraus gehandelt habe. Man würde überhaupt nicht genau wissen, was die Kinder genau mitbekommen haben. „Wir wissen, dass die Kinder in der Wohnung waren, alles andere sind Vermutungen“, so der Verteidiger. Bei der Tat handele es sich um einen „Affektabbau“. Sein Mandant habe sich von Anfang an geständig gezeigt – das spreche für ihn, „der Wert des Geständnisses darf nicht gemildert werden“. Darüber hinaus habe I. keine Vorstrafen.

Der Angeklagte würde sich „würdig präsentieren“ wollen, er habe vieles über sich ergehen lassen müssen. „Er zeigt sich verantwortungsvoll, sicherlich zu spät, aber von fehlender Reue zu sprechen finde ich eine Frechheit“, betonte er verärgert. Sein Mandant habe vor Gericht den Mund gehalten, weil er sich zutiefst schäme. Er sei sehr reuig, sehr einsichtig und hochgradig beschämt, „er hat im wahrsten Sinne des Wortes sein Gesicht verloren“, betonte der Anwalt und plädierte für eine Haftstrafe von neun Jahren und drei Monaten.

Angeklagter entschuldigt sich für die Tat

Nach monatelanger Stille meldete sich dann auch der Angeklagte selbst zu Wort, auf Kurdisch, sein Dolmetscher übersetzte es. I. sagte, dass ihm das leid tue, was passiert sei. Er bereue es zutiefst. „Ich habe sie getötet, obwohl ich sie sehr geliebt habe. Wenn ich es ungeschehen machen könnte, würde ich es“, sagte er. Er erwarte aber keine Vergebung.

Die fünfte Kammer einigte sich schließlich darauf, den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren zu verurteilen. Darüber hinaus muss er auch die Kosten der Nebenklage übernehmen. Richterin Regine Enders-Kunze betonte, dass Wut und Enttäuschung keine niedrigen Beweggründe für einen Mord sind, sondern ein Motiv für ein Tötungsdelikt. I. sei mit „absoluter Gewaltbereitschaft“ in die Wohnung gegangen, um seine Frau zu töten – und nicht um das Handy zu zerstören, das sei eine „Schutzbehauptung“. So würde man nicht vorgehen, wenn man ein Handy zerstören will. Für die Kammer habe der Angeklagte auch nicht im Affekt gehandelt, sondern sei gewaltbereit in die Wohnung gegangen. Seine Tat habe zudem besondere Folgen für die Kinder. Sie haben nicht nur ihre Mutter verloren, sondern es auch noch mit ansehen müssen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ob der Verteidiger in Revision gehen wird, das konnte er nach Prozessende noch nicht sagen. Auch Joachim Hinz hatte zunächst noch keine Entscheidung getroffen.

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