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Gedanken über eine besondere ZeitWas das Virus mit uns macht

ALSFELD. Plötzlich sind die Regale im Supermarkt leer und die Parkplätze voll. Beim Einkaufen schwirren einem zig Gedanken durch den Kopf. Wir regen uns über Hamsterkäufer auf, und werden selbst zu welchen. Was macht das Virus mit uns? Und steckt in ihm am Ende gar eine Chance? Ein Essay von Luisa Stock.

Am Anfang stand Wuhan in China. Dort, in einer Stadt, die mehr Einwohner zählt als New York und die vielen bei uns bis vor Kurzem dennoch völlig unbekannt war, nahm das Coronavirus seinen Lauf. 8374 Kilometer Luftlinie trennen Wuhan und Alsfeld. Dem Virus war das egal. Das, was so weit, weit weg erschien, was man nur am Rande in den Nachrichten bemerkte, weil es eben nur irgendein Virus in irgendeiner Ecke Chinas war, hat es um die ganze Welt geschafft. Auch bis nach Alsfeld. 8374 Kilometer.

Schon etwas vor dem ersten Erreger schwappte eines der Symptome in den Vogelsberg, welches das Virus bei völlig gesunden Menschen auslöst. Die Supermarktparkplätze waren merkwürdig voll, Desinfektionsmittel knapp – und die Menschen teilten völlig verdutzt Fotos von leeren Klopapier-Regalen in Whatsapp. Bilder, die man sich zu diesem Zeitpunkt noch schwer vorstellen konnte, die heute schon fast zur Normalität geworden sind.

Woher kommt dieser der Trieb zu hamstern? Ist es die Angst davor, kurzfristig in Quarantäne zu müssen? Ist es ein Versuch, eben dieser Angst etwas entgegenzusetzen? Etwas tun zu können, gegen diese unsichtbare Bedrohung? Und warum bleiben die Regale mit gesunden Lebensmitteln voll während wir ausgerechnet Klopapier bunkern? Corona verschafft uns grippeähnliche Symptome, es ist kein Magen-Darm-Virus.

Die Angst ist ein schlechter Begleiter, doch sie ist dennoch da

Als Dr. Dr. Rüdiger Rau vom Vogelsberger Gesundheitsamt Anfang März sagte, dass es keinen Grund gebe in Panik zu verfallen, gab es wirklich noch keinen Grund. Eine Patientin meldete der Kreis damals. Knapp vier Wochen später sind wir bereits bei 78 bestätigten Fällen und zwei Todesfällen. Allerdings haben auch bereits 32 Patienten die Krankheit gut überstanden und sind genesen. Grund zur Panik gibt es auch heute nicht, Grund zur Vorsicht hingegen schon. Und so ist es dann doch wenig verwunderlich, dass man die Ärmel des Pullovers über die Hände zieht, ehe man den Einkaufswagen anfasst. Einkaufen wird urplötzlich zum Abenteuer.

Angst ist ein schlechter Begleiter, so sagt man. Das Problem mit ihr ist: Sie kommt auf leichten Füßen, unangekündigt und ungewollt. Ohne Einfluss darauf nehmen zu können. Auch wenn Angst ein schlechter Begleiter ist, ist sie in diesen Zeiten doch irgendwie präsent, dauerhaft und unterschwellig. Manchmal tritt sie an die Oberfläche und verleitet zu Hamsterkäufen, zu Egoismus – und teilweise auch zu Misstrauen und Wut, wenn wir uns unsere Mitmenschen anschauen. Weil Sie sich nicht an die Regeln halten, die uns alle schützen sollen. Oder mehr Spezialreiniger in ihren Einkaufswagen werfen, als sie in zwei weiteren Pandemien jemals verbrauchen könnten.

Und ganz plötzlich – und ohne jede Vorahnung – erwischt man sich dann doch dabei, wie man das Regal mit den Konservendosen anfixiert, sich langsam, unsicher umschauend annähert, zwei zusätzliche Dosen passierte Tomaten greift, sie behutsam in den Einkaufswagen legt und die Hamsterei vor sich selbst rechtfertigt, weil ja eben doch nicht mehr so viel davon da ist. Und wer weiß schon, wann es wieder welche gibt?

Der Satz „Wir schaffen das“ kommt zurück

Nein, das Beste im Menschen bringt dieses unterschwellige, dauerhafte Angstgefühl nicht hervor. Wie in Trance erwischt man sich dabei, dass man einen hektischen Schritt nach vorne macht, weil hinter einem jemand hustet.

Wie konnte die Welt, die wir kennen und lieben, so schnell zusammenbrechen, wie ein Kartenhaus? „Die Lage ist ernst“, sagte die Bundeskanzlerin. Eine nüchterne Frau, die noch fünf Jahre nach dem Sommer 2015 mit ihren Worten „Wir schaffen das“ zitiert wird. Drei kleine und doch große Worte, die wieder an Bedeutung gewonnen haben dürften.

Im Geiste dieser Worte kann man also versuchen, auch die positiven Seiten an dieser Situation zu sehen. „Wir schaffen das“ sind in Corona-Zeiten die Menschen, die sich zusammen tun, um für diejenigen, für die es draußen zu gefährlich ist, einkaufen zu gehen. Die sich Gedanken machen, wie man mit moderner Technik Konzerte im Netz aufziehen kann, weil Versammlungen verboten sind. Es sind Menschen, die wir plötzlich „Helden“ nennen, weil wir erkennen, wie wichtig ihr Job ist – obwohl sie auch in normalen Zeiten schon unverzichtbar sind.

Das Coronavirus, könnte man fast sagen, lässt uns Menschen Menschen sein. In allen Facetten, den schönen wie den unschönen. Es lässt uns füreinander einstehen, einander helfen. Es lässt uns zusammenhalten, miteinander singen und lachen, aber auch miteinander trauern oder wütend werden. Wichtig ist nur, dass wir uns immer wieder selbst sagen: „Wir schaffen das.“

5 Gedanken zu “Was das Virus mit uns macht

  1. „Wir amüsieren uns zu Tode!“ warnte bereits Anfang der 1980er Jahre der amerikanische Medienwissenschaftler Neil Postman, dessen Thesen allerdings auf die Entleerung der Inhalte von Politik und Kultur durch den Zwang zur Bebilderung (Fernsehen) und eine damit einher gehende Infantilisierung der Gesellschaft abhoben. Später Er vertrat die These, dass das Fernsehen die Urteilsbildung der Bürger gefährde, und dass der Zwang zur Bebilderung zu einer Entleerung der Inhalte von Politik und Kultur führe. Er sah die amerikanische Gesellschaft durch einen Mangel an Ernsthaftigkeit in allen möglichen Bereichen des öffentlichen Lebens von innen her stark bedroht. Durch die „Vermüllung“ mit Informationen im Informationszeitalter werde die Orientierungslosigkeit der Menschen so sehr verstärkt, dass die „Wahrheit“ in einem „Meer von Belanglosigkeiten“ untergehe. Postman erwies sich hier als Mediensoziologe mit hohen prognostischen Fähigkeiten, denn er nahm die spätere Diskussion um das Internet und die Fake-News-Debatten des Letzten Jahrzehnts vorweg.
    Heute sehen wir beides: Eine infantile Feiergesellschaft (siehe Ischgl) sorgt zwar dafür, dass sich Pandemien verbreiten können. Gleichzeitig schaffen die modernen digitalen Medien die Voraussetzungen dafür, solchen Pandemien Herr zu werden. Allein auf christliche Glaubensinhalte möchte ich im Angesicht von Corona jedenfalls nicht vertrauen müssen.

  2. Sind wir Menschen mit dem Virus nicht
    an unsere Grenzen geführt worden?
    Als gläubiger Christ meine ich, dass
    wir Christen uns auf Den besinnen
    sollten nach dem wir uns nennen, nämlich
    auf Jesus Christus, dessen Tod und
    Auferstehung wir jetzt bald wieder feiern. Die christlichen Werte, nämlich
    Ehrfurcht vor Gott und Nächstenliebe,
    sind jetzt, meiner Ansicht nach, wichtig
    und helfen uns im Vertrauen auf Gott aus
    dieser Krise wieder herauszukommen.

    1. Komisch, jeden Tag und jede Stunde beten Christen in aller Welt, der Herr möge sie vor allem Übel bewahren. Aber statt Jesus Christus kommt dann nur der Herr Coronavirus. Aber warum nicht? Wer seine Angst besser aushält, wenn er im dunklen Wald oder auf der Kellertreppe pfeift, macht es dann eben wie Herr Spahn. Vielleicht hat er ja auch noch ein paar tröstende Worte für den Arzt, der drei zu intubierende Notfälle da liegen hat, aber leider nur zwei Beatmungsgeräte.

      1. Eine Strafe Gottes sei die Pandemie nicht. Da sind sich höchste Kirchenkreis ganz sicher (siehe https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2020-03/corona-virus-kirche-strafe-gott-wilmer-bedford-bibelwerk-deutsch.html und https://www.evangelisch.de/inhalte/168621/10-04-2020/bedford-strohm-will-nichts-mit-einem-strafenden-gott-zu-tun-haben). Na, wegen mir. Dann scheint es aber noch eine höhere Instanz über dem „Allmächtigen“ zu geben, dessen Trümpfe auch dann noch stechen, wenn alle anderen ihre besten Karten längst ausgespielt haben. Wer ist das? Satan, das Böse, das blinde Schicksal…? Wahrscheinlich ist es das Letztgenannte. Oder es bildet am Ende das Kleinste, Primitivste usw. die höchste Instanz, ausgestattet mit nur einer einzigen Eigenschaft: Sich am schnellsten massenhaft auszubreiten.

    2. Ich fürchte, dass Gott auf einem Sofa sitzt und dem Programm, das die Menschen auf Erden veranstalten, gelangweilt zusieht. Und nach einer Weile nimmt er die Fernbedienung, die auch nur die Programme wechseln, aber nicht verändern kann, und schaltet wieder auf „Bibel-TV“.

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