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Infoabend zu Zusammenschluss von Kirtorf und AntrifttalOffene Ohren für eine mögliche Fusion in Kirtorf

KIRTORF (jal). Eines ist an diesem Dienstagabend klar geworden: Die Frage, ob Kirtorf und Antrifttal fusionieren sollen, bewegt die Menschen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass die 127 vorbereiten Stühle bei einer Infoveranstaltung in der Kirtorfer Gleentalhalle dazu rasch vergriffen und zusätzliche Sitzgelegenheiten angekarrt werden mussten. Der Großteil der Anwohner, die gekommen waren, zeigte sich auffällig offen gegenüber einer möglichen Zusammenlegung der beiden Kommunen.

Hätte es einen Preis für Fleiß an diesem Abend gegeben, hätte man nicht lange nach dem Gewinner suchen müssen. Paul Weimann von der Freiherr-vom-Stein-Beratungs GmbH wurde nicht müde, drei Dinge zu wiederholen. Erstens: „Sie müssen bedenken: Ihre jetzigen Probleme werden nicht kleiner, wenn sich nichts ändert, sondern immer größer.“ Zweitens: „Es ist noch nichts entschieden, das zu tun liegt bei Ihnen. Wir machen hier nur einen Vorschlag.“ Und Drittens: „Das, was Antrifttal und Kirtorf bislang geleistet haben, ist vorbildlich.“

Weimann und sein ebenfalls anwesender Kollege Peter Jakoby haben im Auftrag der beiden Kommunen errechnet, was die Stadt und die Gemeinde am besten tun sollten, um gemeinsam fit für die Zukunft zu werden. Dabei hatten sie unter anderem zwei zentrale Vorgaben. Zum einen sollen beide Rathäuser erhalten bleiben und zum anderen soll es keine betriebsbedingten Kündigungen in der Verwaltung geben.

Paul Weimann und Peter Jakoby stellen sich den Fragen der Bevölkerung.

Paul Weimann und Peter Jakoby stellen sich den Fragen der Bevölkerung.

Ihr Ergebnis: Kirtorf und Antrifttal arbeiten schon heute in vielen Bereichen wie Wasserwirtschaft und Entsorgung so vorbildlich zusammen, dass eine einfache verstärkte interkommunale Zusammenarbeit nichts bringen würde. „Das ist das, was sie jetzt schon haben“, sagte Weimann.

Ein sogenannter Gemeindeverwaltungsverband, in dem sich beide Kommunen eine gemeinsame Verwaltung teilen würden, bringe zwar Ersparnisse, diese seien aber mit rund 17.500 Euro pro Jahr eher spärlich. Außerdem würden die kommunalen Parlamente durch eher undemokratische Verbandsgremien ersetzt.

Die größte Ersparnis gibt den beiden Experten zufolge, die selbst lange Jahre Bürgermeister waren und viele Kommunen in solchen Fragen beraten, eine Fusion beider Kommunen zu einer neuen Stadt. Damit ließen sich im Schnitt 360.000 Euro im Jahr sparen – ein Drittel davon kämen allein durch den Wegfall einer Bürgermeisterstelle zustande. 109.000 Euro kämen als Entschuldungshilfe-Fördermittel vom Land dazu, 25.000 Euro durch die gemeinsame Nutzung eines Bauhofs und 70.000 Euro durch eine Umstellung der Verwaltung. 360.000 Euro für eine Stadt sei auf den ersten Blick nicht viel, doch es ginge auch darum, eine gemeinsame Idee und zukunftssichere Strukturen zu schaffen, „etwas auf den Weg zu bringen.“

Wenig wirkliche Kritik

Es mag einige Anwesenden überrascht haben, wie wenig Fundamentalkritik es an dem Abend von Seiten der Bürger an der Idee gab, dass Kirtorf und Antrifttal miteinander verschmelzen sollen. Ein Herr warf in der Fragerunde beispielsweise ein, er habe sich mit älteren Leuten unterhalten. Menschen von 70 Jahren und älter würden nicht so sehr auf mögliche Kosteneinsparungen achten, sondern sich eher fragen, wie der Ort, in dem sie jetzt leben, in Zukunft heißen werde. Mit seinem Einwand erntete er überwiegend ungläubiges Kopfschütteln und ablehnendes Geraune im Saal.

Anstelle der konsequenten Ablehnung der Idee einer Fusion hatten die beiden Autoren der Machbarkeitsstudie eher damit zu kämpfen, den Bürgern genau zu erklären, wie es zu den angepeilten möglichen Einsparungen kommen könne. Wenn es weiterhin zwei Rathäuser geben und niemand von der Verwaltung entlassen werden solle, wie könne man dann 70.000 Euro sparen, fragten mehrere Anwesenden.

Überraschend viele Kirtorfer waren nicht vehement gegen eine Fusion.

Überraschend viele Kirtorfer waren nicht vehement gegen eine Fusion.

Weimann erklärte, das seien Details, die genau zu erklären und zu erfassen gar nicht Bestandteil der Studie gewesen sei. Er sagte jedoch, die Ersparnis komme zum Beispiel durch eine Umorganisation der Verwaltungsstrukturen zustande. Neue Organisationsformen wie das Bündeln von Angeboten verschiedener Stellen in Bürgerservicebüros brächten intern eine Entlastung, die es rechtfertige und möglich mache, Geld zu sparen und dennoch die beiden Rathäuser vor Ort zu erhalten, um nicht für eine Entfremdung zu sorgen. Allerdings sei es schon so, dass die beiden Häuser im Laufe er Zeit sich vermutlich spezialisieren müssten – sprich gewisse Aufgabenbereiche an einem Ort gebündelt würden und Antrifttal beispielsweise alle Bauanträge bearbeiten würde.

Eine fusionierte Stadt aus Kirtorf und Antrifttal hätte eine Fläche von gut 107 Quadratkilometern und etwa 5100 Einwohner. Kritiker würden sagen, referierte Weimann, dass die neue Stadt so nicht vom kommunalen Finanzausgleich profitieren würde, da die kritische Marke von 7500 Einwohnern nicht erreicht werde. Er halte diese Kritik allerdings für falsch, sagte Weimann – unter anderem, weil er mit Freude vernommen habe, dass Wiesbaden in Zukunft die Förderung des ländlichen Raumes nicht mehr so stark davon abhängig machen wolle, wie viele Menschen in einer Region leben.

Da sitzt der Stachel immer noch tiefAnmerkung aus dem Plenum zum Streit zwischen Alsfeld und Lauterbach

Viel Applaus erhielt ein Redner aus dem Plenum, der für den Zusammenschluss warb und an die Gebietsreformen aus den 70er-Jahren erinnerte. Damals seien die Fusionen staatlich verordnet worden, mit welchem Ergebnis, das sehe man heute beispielsweise an Alsfeld und Lauterbach: „Da sitzt der Stachel immer noch tief.“ Eine freiwillige Fusion zu den Bedingungen der Bürger sei eine historische Möglichkeit, die man nutzen solle.

Die Experten der Beratungsfirma, die eine hundertprozentige Tochter des hessischen Städte- und Gemeindebundes ist, empfehlen eine Fusion nicht nur ausdrücklich, da Antrifttal und Kirtorf sowieso schon sehr eng kooperieren, sondern auch, weil die Steuerhebesätze sehr ähnlich sind. Eine Fusion sei ohne eine finanzielle Mehrbelastung der Bürger möglich, heißt es. Einigen Modellberechnungen zufolge könnten die Bewohner sogar sparen, wenn bei unterschiedlichen Gebühren- und Steuersätzen jeweils der geringere übernommen werde. Das Geld, was den Kommunen dadurch entginge, würde durch andere Ersparnisse nach der Fusion wieder wett gemacht, heißt es.

Ersparnisse für die Bürger

Nach einem errechneten Model der Experten könnte eine vierköpfige Familie mit zwei Eheleuten und zwei Kindern in Antrifttal pro Jahr 64 Euro sparen, in Kirtorf wären es 194 Euro. Ein Single würde der Berechnung nach in Antrifttal 27 Euro mehr in der Tasche haben, in Kirtorf 146.

Diese Zahlen dürften ein kleines Grüppchen Antrifttaler mit dazu bewogen haben, sich kritisch zu Wort zu melden. Sie befürchten, nur eine Seite hätte einen wirklichen Vorteil von einer Fusion. Ihrer Auffassung nach will das große Kirtorf sich das kleine Antrifttal einverleiben. Ein Mann warnte überspitzt vor einer Fusios-Kettenreaktion, die irgendwann dazu führe, dass Antrifttal zu Gießen gehören werde. Schon bei der Eröffnung des Abends hatte Dieter Wössner, Stadtverordnetenvorsteher von Kirtorf, mit Verweis auf einen Leserbrief in der Oberhessischen Zeitung Formulierungen, wie Kirtorf wolle Antrifttal schlucken als Parolen bezeichnet, die unangebracht und der Diskussion nicht dienlich seien.

Waren an diesem Abend nur Gäste: Die Bürgermeister Dietmar Krist und Ulrich Künz.

Waren an diesem Abend nur Gäste: Die Bürgermeister Dietmar Krist und Ulrich Künz.

Anriftals Bürgermeister Dietmar Krist war wie sein Kirtorfer Kollege Ulrich Künz an dem Abend anwesend, weil es aber ein Abend der Bürger sein sollte, hatten beide kein einzigen offiziellen Redepart. Nach der Veranstaltung sagte Krist Oberhessen-live, das Gefühl, man werde vom großen Nachbarn geschluckt, sei in Antrifttal schon weit verbreitet. Er rechne deswegen damit, dass die nächste Infoveranstaltung am 19. Dezember um 19.30 Uhr in der Fest- und Sporthalle Ruhlkirchen kontroverser werde.

Künz, der Kirtorf ganze 40 Jahre lang regierte und damit Deutschlands dienstältester Rathauschef ist, hat angekündigt und versichert, den einzig verbleibenden Bürgermeisterposten im Falle einer Fusion nicht anstreben zu wollen. Sein CDU-Parteikollege Krist sagte OL, er wolle sich hingegen schon bewerben. Ob es zu einer Fusion kommt, sollen die Bewohner in einem Bürgerentscheid entscheiden, der von den Kommunalparlamenten aber noch auf den Weg gebracht werden muss.

Die Präsentation des Abends als Download finden Sie hier, eine Kurzbroschüre hier.

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