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Kumulieren und Panaschieren: Für die Wähler gemacht, von den Parteien missbraucht?Eine bewusste Irreführung der Wähler?

ALSFELD. Am 6. März durfte in Hessen im Zuge der Kommunalwahlen mächtig kumuliert und panaschiert werden. Durch das Verfahren hat der Wähler die Möglichkeit, den Kandidaten seines Vertrauens mehrere Stimmen zu geben. Nicht nur für den Wähler eine tolle Sache, sondern auch für die Parteien – denkt man. Denn bereits vor Wochen wurde bekannt: Viele Kandidaten treten ihr Amt nicht an.

Politik ist nicht gerade mein Spezialgebiet. Als vor über einem Monat die Kommunalwahlen anstanden geriet ich ziemlich ins Schwitzen. Was wähle ich? Wen wähle ich? Was sind die Programme der einzelnen Parteien? Ich gebe zu, dass ich mich damit noch nie so wirklich auseinandergesetzt hatte. Für mich glichen sich die jeweiligen Wahlprogramme der einzelnen Parteien und es war eine besondere Herausforderung dort die kleinen aber feinen Unterschiede herauszufinden. Da es sich um die Kommunalwahlen handelte und ich dadurch direkten Einfluss auf meine Stadt nehmen konnte war sofort klar, dass ich wählen gehen wollte.

In meiner Verwirrung über die vielen Kreuze, die es auf der Liste zu setzen gab, war ich dennoch froh über die Möglichkeiten des Panaschierens und Kumulierens. Somit konnte ich mit wenig Erfahrung auch bekannten Gesichtern, die ich als besonders sympathisch und kompetent erachtete, mehr als nur eine Stimme geben. Gesagt getan. Jetzt, etwa ein Monat später wird bekannt, dass viele der Kandidaten ihr Amt nicht antreten. Ich bin verwirrt und fühle mich hintergangen – vielleicht waren da doch genau die Kandidaten dabei, die ich mit mehreren Stimmen gewählt habe? Ähnlich ging es wahrscheinlich vielen anderen Wählern.

Eine übliche Praxis

Dass sich besonders bekannte Politiker, beispielsweise Bürgermeister, bei der Kommunalwahl aufstellen lassen und letztendlich das Mandat aus rechtlichen Gründen nicht antreten können, ist eine übliche Praxis in der Politik. Den Wählern ist dabei klar, dass ein Bürgermeister nicht gleichzeitig als Stadtverordneter fungieren kann. „Das wird meist auch vorher kommuniziert und vor allem durch die Opposition diskutiert“, so Dr. Jens Mischak, der stellvertretende Kreistagsvorsitzende der CDU. Sie stehen dabei aus Repräsentationszwecken als Gesicht der Partei, um weniger bekannte Kandidaten zu unterstützen. Ob diese rechtlichen Gründe bei den einzelnen Wählern wirklich so präsent sind, sei hier jetzt mal so hingestellt – allerdings trotz allem ein Grund, der sich im Nachhinein sehr gut nachvollziehen lässt.

Bei den Kreistagswahlen sieht es schon anders aus

Ähnlich verhielt es sich bei Peter Zielinski, der erste Kreisbeigeordnete der Grünen, der auf Platz 4 der Liste zur Kreistagswahl antrat und auf Platz 1 kumuliert wurde. Allerdings musste auch er aufgrund rechtlicher Gründe auf sein Mandat verzichten, da das Amt des ersten Beigeordneten ein Mandat im Kreistag ausschließt.

Was ist aber mit den anderen Fraktionsmitgliedern der Grünen, wie Eva Goldbach, die eine Verzichtserklärung lieferten? Für die Kreisvorsitzende der Jungen Union, Jennifer Gießler, seien die Verzichtserklärungen der Grünen in keiner Weise nachvollziehbar und werfen Fragen auf, insbesondere, warum man sich denn überhaupt für eine Kandidatur entschieden habe, wenn man dann das Mandat überhaupt nicht annehmen wolle. „Die Grünen propagieren immer direkte Demokratie, mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz. Am 6. März konnten sich die Bürger an der Politik beteiligen und ihre kommunalen Vertreter wählen. Dieses Wählerurteil wird von den Grünen wohl nicht ernst genommen“, so Gießler. Der Wähler sei dabei von Beginn der Wahlperiode im Unklaren gelassen worden. Die Grünen antworteten ihrerseits, dass der Jugendverband der CDU erstmal vor der eigenen Tür kehren solle und sich lieber bei ihren Parteikollegen aus Kirtorf und Alsfeld nach dem Hintergrund der Rücktritte von Ulrich Künz und Stephan Paule (beide CDU) erkundigen sollten.

Gründe gibt es immer

Hierbei sollte jedoch beachtet werden, dass es immer zu persönlichen Zwischenfällen und entsprechenden Entscheidungen kommen kann, die zuvort nicht absehbar waren. Ganz so einfach ist die Kritik nicht zu formulieren und auch mit Vorsicht zu genießen. Gründe für einen Rücktritt gibt es immer, denn es kann sich auch zwischenzeitlich etwas ändern. „Die Frage ist dabei nur: Wie offen geht man damit um“, bestätigt Dr. Mischak, „es gibt im Allgemeinen schon einen Unterschied zwischen rechtlichen und privaten Gründen und dann nochmal private Gründe, die nicht thematisiert werden. Schafft man es beispielsweise zeitlich nicht das Mandat anzunehmen, ist das eine Sache, die man hätte vorher schon wissen können und mit der man ebenfalls offen hätte umgehen können.“

Mandatsverzichte im Nachhinein sind ärgerlich, allerdings gibt es dafür oftmals Gründe, die sich wohl für jeden Wähler nachvollziehen lassen – ob nun offen angesprochen oder nicht. Fest steht allerdings, dass es sich um keine bewusste Irreführung der Wähler handelt solange diese offen diskutiert werden. Dennoch scheinen sich viele Politiker nicht bewusst darüber, dass viele Bürger das politische „Know-how“ gar nicht besitzen und auch nicht alle Diskussionen verfolgt haben.

Der Alsfelder Bürgermeister Stephan Paule ist schon einen Schritt weiter und rät allen Politkern: „Sich nach einer Wahl über Mandatsverzichte aufzuregen ist nicht produktiv – man sollte sich lieber über die nächsten Schritte und die wirklich wichtigen Themen, nämlich die Inhalte Gedanken machen – das ist wirklich wichtig und wäre produktiv.“ Schöne abschließende Worte, die auf eine stabile zukünftige Politik hoffen lassen, auch wenn der favorisierte Kandidat eventuell nicht dabei ist.

von Lusia Stock

2 Gedanken zu “Eine bewusste Irreführung der Wähler?

  1. Da wird dem Wähler etwas vorgegaukelt von wegen kumulieren und panaschieren und mehr direkten Einfluss… Von wegen, wieder wird man verarscht. Dann rumjammern wegen Politikverdrossenheit oder so wie einer im Artikel sagt: jetzt den Sachthemen widmen. Auf Deutsch: was wollt ihr überhaupt? Eure Zeit ist vorbei ihr durftet ein paar Kreuze machen und jetzt machen wir mit dem Ergebnis was wir wollen. Aber abwarten, die Zeitung hat man nicht 5 Jahre aufgehoben und vor der nächsten Wahl nachgelesen wie oft man mit Mandatsverzichten und leeren Versprechungen vergaukelt wurde. Die Onlinezeitungen aber haben Archive… Mein Vorschlag an Oberhessen-Live: führt doch mal eine Lug und Trugstrichliste auf der Seite hier ein.

  2. Da hat Luisa völlig recht. Ich hab mich genauso darüber geärgert. Da braucht man sich über die Politikverdrossenheit nicht zu wundern. Genau so wird die Demokratie untergraben.

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