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Ausschlaggebend für dreieinhalb Jahre Haft war die Motivation der Angeklagten„Wir haben eine ruchlose Tat verhandelt“

ALSFELD (cdl). Es ist wohl der außergewöhnlichste Fall der vergangenen Jahre im Vogelsberg. Um weiterhin die Rente und das Pflegegeld zu kassieren, vergrub die heute 74-jährige Angeklagte eine in ihrer Obhut befindende, alleinstehende Frau in ihrem Garten. Es dauerte Jahre, bis der Schwindel aufflog. Jetzt wurde sie hart bestraft.

Der Fall reicht sogar bis ins Jahr 1989 zurück. Seitdem kümmerte sich die Angeklagte um Elise W., die keine Angehörigen hatte. Im Jahr 2004 bekam die Angeklagte die Vollmacht über die Konten der mittlerweile dementen in ihrer Obhut. Als die pflegedürftige Frau im Alter von 81 Jahren in der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 2005 eines natürlichen Todes verstarb, vergrub die Angeklagte unter ungeklärter Mithilfe den Leichnam im Garten und pflanzte auf dem Grab Tomaten. Rund 135.000 Euro ergaunerte sich die Angeklagte in den folgenden Jahren, bis der Schwindel aufflog und letztendlich die Leiche in 2014 entdeckt wurde.

In der heutigen Gerichtsverhandlung wurde sie mit dreieinhalb Jahren Haft bestraft. In allen drei Fällen bekannte das Gericht die Angeklagte für schuldig.

Vor Beginn der knapp neuneinhalbstündigen Verhandlungen hatte sich eine große Anzahl Medienvertreter versammelt, die den relativ kleinen Verhandlungssaal in Alsfeld restlos füllten und mit Fotoapparaten und Videokameras der Angeklagten auf die Pelle rückten. Fast über den gesamten Vormittag hielt sie sich die Hand vors Gesicht, um es vor den neugierigen Blicken zu schützen.

Neben den fünf vorgeladenen Zeugen wurde die Lebensgeschichte der Angeklagten ausführlich erörtert, um mehr Hintergründe zu den Betrugsfällen zu erhalten. Bei ihrer Befragung spielte die Angeklagte zunächst die Schwerhörige, was Richterin, Kathrin Knöß, gar nicht gefiel. Nachdem sie ihr Missfallen deutlich kundgetan hatte, schien das Gehör der 74-Jährigen sich zu bessern.

Die Angeklagte mit Pflichtverteidigerin Daniela Elga

Die Angeklagte mit Pflichtverteidigerin Daniela Elger

Angeklagt in drei Fällen

Die Anklage selbst bezog sich auf drei unterschiedliche Betrugsfälle, da das Vergraben einer Leiche zwar eine Straftat ist, jedoch bereits verjährt war. Die Rentenversicherung zahlte rund 6.600 Euro, die Barmer GEK rund 55.000 Euro und das Bundesausgleichsamt rund 74.000 Euro auf das Konto der längst Verstorbenen in den vergangenen Jahren. In allen Fällen hat die Angeklagte nach Auffassung des Gerichts aktiv die Vertuschung des Ablebens vorangetrieben und vorsätzlich getäuscht.

Im Fall des Bundesausgleichamtes hat die Angeklagte die Unterschrift der Verstorbenen im Jahr 2005 gefälscht. In den folgenden Jahren hat sie die benötigte Unterschrift nicht mehr an das Amt geschickt. Weil das Amt in dieser Zeit umgezogen ist, hat man es dort wohl nicht bemerkt und bis ins Jahr 2012 weiter auf das Konto eingezahlt.

Im Fall der Krankenkasse hat sie über Jahre die Besuche der Diakonie Hoher Vogelsberg manipuliert. Ein gutgläubiger Angestellter war immer wieder auf die Angeklagte hereingefallen und hatte sich mit Ausreden, wie die zu Pflegende ist verreist, beim Hausarzt, beim Orthopäden etc. abspeisen lassen. Zusätzlich hat er die Angaben über den Zustand, der in Obhut befindlichen, in seinem Fragebogen ausgefüllt und unterschrieben. Seiner Nachfolgerin erging es ähnlich. Sie ließ sich blenden und unterschrieb ebenfalls. Jedoch wurde sie misstrauisch, da niemand die alte Dame in den letzten dreieinhalb Jahren gesehen hatte, wie sie aus der Nachbarschaft erfuhr. Daher heftete sie einen Vermerk auf ihren Fragebogen. Nach einigen Anrufen und weiteren Hausbesuchen ging die Angeklagte in die Offensive, griff zum Hörer und teilte mit, dass die Pflegebedürftige gar nicht mehr bei ihr wohne. Somit war der Fall für die Diakoniestation erledigt.

Damit der Plan funktionieren konnte, kam hinzu, dass seit ihrem Umzug von Sickendorf nach Grebenhain vor vielen Jahren, weiterhin einen Hausarzt aus Storndorf angegeben wurde. Dieser weigerte sich, Hausbesuche in Grebenhain zu machen. Dass kein Hausarztwechsel vorgenommen wurde, verstand das Gericht ebenfalls als vorsätzliche Täuschung. Trotz des Betrugs sah Staatsanwalt Thomas Hauburger „ein multifunktionales Organversagen“ als strafmildernden Umstand. Dass so lange weiter gezahlt wurde, sei auch dem Versagen der verschiedenen zuständigen Organe geschuldet.

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Staatsanwalt Thomas Hauburger sah auch die entsprechenden Organe in der Pflicht.

Mittäterschaft konnte nicht ermittelt werden

Ungeklärt bleibt jedoch die Mittäterschaft. Die Beklagte hatte immer wieder unterschiedliche Versionen vorgetragen. Jedoch keine davon hält das Gericht für plausibel. In der ersten Version habe ihr Bruder (er ist mittlerweile verstorben) die Verstorbene entdeckt und sei in Panik geraten, daraufhin habe er die Leiche im Garten vergraben und ihr das erst an seinem Sterbebett gestanden. In einer weiteren Version hätten sie und ihr Bruder, der stark an Lungenkrebs erkrankt war, gemeinsam den Leichnam über mehrere Tage verbuddelt. Das hielt das Gericht ebenso für ausgeschlossen, da dies ein Zeuge hätte bemerken müssen, der sich schon am kommenden Tag im Garten der Angeklagten aufgehalten hat, um dort die Pferde zu versorgen. Ein Mitwirken des Bruders aufgrund seiner Krankheit hält das Gericht für ausgeschlossenen. Die Beklagte müsse Hilfe gehabt haben, um die Tote zu begraben, da sie selbst schon damals eine Krücke brauchte. Wer ihr bei der Nacht und Nebel Aktion half, konnte nicht aufgeklärt werden.

Eine beim ersten Gerichtstermin vernommene Zeugin hat am Tag nach dem Ableben Deutschland verlassen und ist in die Niederlande gezogen. Bei ihrer Vernehmung meldete das Gericht Zweifel an, dass sie am Tag der Vernehmung erstmals vom Ableben und der anschließenden Beerdigung gehört habe. Allerdings reichten die Zweifel nicht für eine Anklage, sodass die Vorgänge in Grebenhain in der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 2005 wohl niemals aufgeklärt werden.

Die ganze Geschichte begann bereits in den achtziger Jahren

Nach Auffassung des Gerichts kam zur Schwere der Tat, die Lebensgeschichte der Beklagten hinzu. Die Angeklagte hatte bereits seit dem Tod ihres Mannes Anfang der achtziger Jahre mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Der Gerichtsvollzieher war seitdem schon des Öfteren bei ihr gewesen und war auch im Zeugenstand vertreten. Hinzu kommt, dass die Angeklagte eine eidesstattliche Versicherung (Offenbarungseid) seit Mitte der achtziger Jahre abgegeben hat. Dennoch war sie im Besitz von mehreren Pferden. Wie sie diese und ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Tochter finanzierte, wurde im Prozess ebenfalls angeschnitten.

Im Jahr 1989 nahm die Angeklagte die alleinstehende Frau aus einem Altenheim in Bad Salzschlirf auf. Was anfangs ein „gentlemen’s agreement“, so der Staatsanwalt oder eine „Win-win-Situation“, so die Richterin hätte sein können, entpuppte sich schon damals als Martyrium für die Pflegebedürftige Elise W.. Damals noch im Goldhelg in Lauterbach hätten bereits katastrophale Zustände geherrscht. Der Strom sei von OVAG abgedreht worden, Briefe zurückgehalten, Telefonate abgewiesen und die alte Dame bevormundet worden. Gerade in Briefen habe Elise W. auf ihre Situation aufmerksam machen wollen, die jedoch niemals abgeschickt wurden.

Als Beweisstück diente ein klar formulierter Brief aus dem Jahr 1991, in dem Elise W. auch um die Aufnahme in ein Altenheim bat. Gerade der Brief sei „ein Blickfenster in die damaligen Verhältnisse“, so die Richterin in ihrer späteren Urteilsbegründung. In den kommenden Jahren zogen sie nach Sickendorf auf ein Hofgut um. Dort habe Elise W. direkt neben dem Pferdestall in einem Bett gelegen. Weder ein Bad noch eine Toilette waren in der Nähe. Zur Verrichtung der Notdurft diente eine Chemietoilette, die sich außerhalb des Gebäudes befand. Eine Zeugin berichtete, dass die Pferdesättel nur beim Durchqueren des Zimmers der alten Frau geholt und wieder zurückgebracht werden konnten. Als junges Mädchen habe sie, ihre Eltern verständigt, damit diese die Lebensumstände der alten Dame den Behörden melden. Das Amt habe die Lebensumstände zwar als schwierig, jedoch als zumutbar eingestuft. Mit dem Umzug nach Grebenhain wurde nicht mehr näher auf die Lebensumstände der alten Dame eingegangen, aber eine immer größer werdende Abhängigkeit von der Angeklagten herausgestellt.

In der Gesamtbetrachtung habe sich die Angeklagte unter finanziellem Druck durch Zuwendungen von Elise W. für ihre Unterstützung über Wasser halten können. Auch wenn die Beklagte dies anfangs nicht habe zugeben wollen.

Die Urteilsbegründung

„Wir haben heute eine ruchlose Tat verhandelt“, begann die Richterin, nachdem sie das Urteil verkündet hatte. Gerade die lange Vorgeschichte und der angeführte Brief müssten auch bei der Tat berücksichtigt werden. Denn so werde auch das Motiv klarer. Nach all den Jahren der harten Pflegearbeit sollte ab jetzt kein Geld mehr fließen. Das habe die Verurteilte zu ihrer Tat getrieben. „Die Angeklagte hat es just auf diese Gelder angelegt.“ Sie stellte das rigide Vorgehen heraus: Die Leiche sei in Plastiksäcke gepackt und dann in ihr Grab gerollt worden. Dass die Angeklagte angab, die Tote nicht mit Erde bewerfen zu wollen, um ihr die letzte Ehre zu erweisen, glaubte die Richterin nicht. Denn die Leiche sei mit dem Gesicht voran beerdigt worden. Bei dem Begräbnis sei die Angeklagte die „federführende Kraft“ gewesen.

Über die Jahre hinweg habe die Verurteilte ein überlegtes System aufgebaut. Ganz gezielt habe sie sich damals eine alleinstehende Frau ohne direkte Angehörige und Verwandte gesucht. Des Weiteren habe sie während des Verfahrens keine Spur von Reue gezeigt. Dass gerade die Angeklagte kurz nach dem Tod von Elise W. eine Bestattungsversicherung für sich selbst mit dem Geld der Verstorbenen abgeschlossen habe, sei perfide. Die Verhandlungen hätten auch deshalb so lange gedauert und nicht nur eineinhalb Stunden, um Elise W. die letzte Ehre zu erweisen. Leicht abgewandelt wiederholte die Richterin ihren Einleitungssatz: „Es ist eine ruchlose Tat, sie zeugt von starker Abgebrühtheit.“

 

4 Gedanken zu “„Wir haben eine ruchlose Tat verhandelt“

  1. Diesen Kommentar hinterläßt C.Heuser wohl öfter, mehr hat die Person wohl nicht mehr zu sagen!

  2. Es gibt leider immer mehr Rentner, die nicht wissen wie sie mit ihrer Rente leben sollen. Deshalb ist es sehr beschämend, das der Staat ältere Menschen mit ihren Problemen nicht ernst nimmt. Doch es wird noch schlimmer werden, wenn die 450,-EURO Verdiener in Rente gehen.

  3. Keine reißerischen Kommentare unserer selbsternannten AfD-Gerechtigkeitsliga? Achso, ist ja kein Asylant involviert.

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