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ENGLAND VON INNEN: Der Klischee-Check – Sieben Dinge übers UK, die Sie wissen sollten„Die Briten wissen, was Party hard bedeutet“

ALSFELD/ENGLAND (ol). Briten. Das Essen auf ihrer Insel ist fürchterlich, genau wie das Wetter dort. Sie sind überhöflich, lieben immer noch ihre Königin und kennen nur zwei Getränke: Tee und schales Bier ohne Schaum, beides kippen sie in rauen Mengen. Soweit die Klischees. OL-Redakteur Juri Auel ist diesen Sommer als Gastreporter in England unterwegs. Er macht für uns den Vorurteils-Check: Sieben Dinge, die ein Oberhesse über Großbritannien wissen sollte. 

1. Großbritannien, das Land der Höflichkeit

Sie können das vermaledeite „ti aitsch“ noch so fehlerfrei daher lispeln oder im Schlaf mit Zeitformen wie Simple Past und Pressent Progressive jonglieren, ein Britischer Kellner wird Sie in den ersten Sekunden ihrer Bestellung als Kontinental-Europäer identifizieren. Garantiert. „Du klingst noch ziemlich Deutsch“, meinte ein Arbeitskollege vor kurzem zu mir. „Du sagst zu wenig Bitte und Danke“, war seine Erklärung, warum. Dabei hatte ich schon wirklich versucht, das an so viele Stellen wie möglich einzubasteln. Engländer sagen das tatsächlich ständig, überall und immer.

Neulich beim Einkaufen in einem engen Lädchen haben sich innerhalb sieben Sekunden drei Menschen bei mir entschuldigt. Der Grund: Wir kamen uns in den engen Gängen entgegen. Das reicht hier schon für ein leises „excuse me“ – während der Deutsche weiter trottet und verzweifelt nach dem Grund für die Entschuldigung sucht. War doch gar nichts passiert.

Tatsächlich sehr wichtig auf der Insel: Höflichkeit. Ein Bitte und Danke mehr kann nicht schaden. Foto: THANK YOU by Paul Downey/flickr, CC by 2.0.

Tatsächlich sehr wichtig auf der Insel: Höflichkeit. Ein Bitte und Danke mehr kann nicht schaden. Foto: THANK YOU by Paul Downey/flickr, CC by 2.0.

Machen Sie zudem, zumindest als Mann, nicht den Fehler und marschieren fröhlich durch eine Tür, wenn Ihnen das jemand mit einem freundlichen „after you“ anbietet. Auch das machen nur, Sie ahnen es, Menschen vom Festland. Bieten Sie ihrem Gegenüber im Gegenzug den Vortritt an. Kompliziert wird’s, wenn drei Personen auf ein Mal aus der Tür wollen, wie mir in einem Gerichtsaal geschehen. Da kann man schon mal den Überblick verlieren, wer wem was jetzt angeboten hat. Dieses Klischee stimmt aus Oberhessischer Sicht also tatsächlich. Engländer sind sehr höflich.

2. Englisches Essen ist eine Katastrophe

Das hat vor 20, 30 Jahren vielleicht tatsächlich mal gestimmt. Mittlerweile hat sich in der englischen Küche einiges getan. Die Hausmannskost ist deftig und unserer regionalen Küche gar nicht so unähnlich. Schwäbischer Saumagen oder Schafsfleisch in Teig gebacken, mit Erbsen, Kartoffelpüree und Bohnen – wo ist da der Unterschied? Beides ist nicht jedermanns Geschmack, aber deftig und herzhaft. Einflüsse aus Indien oder Italien lockern die heimischen Kochgewohnheiten zudem auf.

Wer deutsche Hausmannskost mag, verhungert auch nicht auf der Insel: Die traditionelle englische Küche ist deftig und herzhaft. Wie zum Beispiel Meat Pie, mit Teig überbackenes Fleisch, dazu Bohnen und Kartoffelpüree.

Wer deutsche Hausmannskost mag, verhungert auch nicht auf der Insel: Die traditionelle englische Küche ist deftig und herzhaft. Wie zum Beispiel Meat Pie, mit Teig überbackenes Fleisch, dazu Bohnen und Kartoffelpüree.

Menüpunkt Snack zwischendurch: Die Engländer lieben Sandwiches. Ich kenne keine andere Gegend der westlichen Welt, in der es in einer Stadt mehr Subway-Sandwichläden als McDonald’s und Burger-King Filialen zusammen genommen gibt. Vor allem zum Lunch essen viele Leute etwas Leckeres zwischen Brot, denn anders als bei uns ist Dinner hier die Hauptmahlzeit. Gewöhnungsbedürftig: Zum Nachtisch gibt es Abends auch gerne mal üppige Sahnetörtchen.

Vielleicht ist das ein Grund, warum das Bäckereigeschäft in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt hat. An jeder Ecke finden sich hier kleine Cupcake-Manufakturen und Mini-Konditoreien. Zum Frühstück essen die meisten Toast oder Müsli. Das traditionelle „English Breakfast“ aus Spiegelei, gebackenen Bohnen, Würstchen, Toast und einigem mehr gönnen sich Engländer nur noch an besonderen Tagen.

3. Briten wissen, was „Party hard“ bedeutet

Es ist 13.36 Uhr an einem Samstag in einem gemütlichen Pub, als ich „Porky“ und seine Jungs kennenlerne. Ich brauche noch ein Foto für eine Umfrage. Feiernde Kerle an der Bar – super Motiv. Die Truppe aus Wales um den vielleicht 1,70 kleinen Typ mit blonder Zopfperücke, quietschrotem T-Shirt und einer Kette mit Betonball um den Bauch feiert Porkys Junggesellenabschied. Ich frage also ganz nett. Wenige Sekunden später lässt einer seiner Freunde mitten im Pub die Hosen fallen. „Hier, mach doch mal ein Foto daaavon“, bietet er mir an und wackelt mit seinem blanken Hintern vor der Kamera herum. Seine Kumpels geben ihm ein paar klatschende Schläge auf den Ar… – na, Sie wissen schon. Großes Gelächter.

Einige Bier später. Wir sind umgezogen. Ich sage ‚wir‘, weil ich inzwischen irgendwie zum persönlichen Fotografen der Jungs geworden bin. Auf dem Weg zum neuen Pub schändet  man einen Plastikdinosaurier, der aufreizend als Deko vor einem Museum steht. Im neuen Ziel angekommen, drückt die Blase. Doch das nächste Pissoir gleich hinter der Tür ist mindestens sieben Schritte entfernt. Michael, Porkys zeigefreudiger Kollege und Ex-Soldat Ende 30, pinkelt in ein gerade gelehrtes Bierglas – und schüttet es dann akkurat auf den saugstarken Teppichboden.

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Blanke Pose für den deutschen Fotografen: Manchmal geht es in den englischen Pubs etwas heftiger zu als in unseren Kneipen. Das Foto ist um 13.37 Uhr Ortszeit an einem Samstag entstanden.

Die Musik ist doof, die Truppe beschließt, ihr eigenes Konzert zu geben. Nacheinander schnappen sie sich einen Stuhl und stimmen Lieder an. Schöne Lieder. „Sunny Afternoon“ von den Kinks zum Beispiel. Der Rest des Pubs macht mit. Festzeltstimmung, nur ohne Festzelt eben. Der deutsche Fotograf, der inzwischen „Klaus“ oder „Helmut“ genannt wird, muss auch ran.

Beinahe nüchtern steige ich auf den Stuhl und schreie aus voller Kehle das ‚Donaulied‘, weil mir partout nichts anderes einfallen möchte. Ich schaue in weit aufgerissene Augen und Münder, Hände versuchen mit zu klatschen. Es kommt an. Als ich wieder vom Stuhl steige, klopft man mir auf die Schulter, zollt Respekt. Mein Gekreische wirkte integrierend. Engländer lieben es, wenn sich jemand für sie zum Affen macht. Am nächsten Morgen werde ich heiser sein. Egal, das war’s wert.

Kurz vor meinem Auftritt springt Michael übrigens splitterfasernackt über die kleine Bühne  –  und später in das verflucht kalte Hafenbecken. Die vernünftigen, älteren Mitglieder der Gruppe protestieren.

 

Und warum? Einfach weil sie's können, sprangen die Junggesellenabschiedler in das kalte Hafenbecken.

Und warum? Einfach weil sie’s können, sprangen die Junggesellenabschiedler in das kalte Hafenbecken.

„Sowas ist doch gefährlich!“, lautet ihre verspätete Warnung. Wenig später stehen auch sie mit tropfendendem Bierbauch und Unterhose wieder im Pub. Männer in ihren 40ern sind eben immer noch nicht immun gegen den verdammten Gruppenzwang. „Ist das ein normaler Samstag?“, frage ich den Wirt. „So ziemlich“, sagt er regungslos.

Um es kurz zu machen: Ja, die Briten wissen definitiv, was „Party hard“ bedeutet.

4. Schlange stehen ist Volkssport

Vor einigen Tagen, als ich lediglich den Bus-Fahrplan an einem Pfosten betrachtete, bemerkte ich plötzlich eine Person hinter mir. Eine ältere Dame hatte sich exakt hinter mir „in die Schlange“ gestellt. Dabei war weit und breit noch gar kein Bus zu sehen.

Es hat also nichts mit Güterknappheit zu tun, wenn man in Großbritannien überall Menschen sehen kann, die hinter anderen Menschen stehen. Es ist vielmehr erneut eine Frage der Höflichkeit. Egal ob Bus, Supermarkt oder Pint-Bestellung im Pub. Überall gilt das Prinzip ‚einer nach dem, der vorher da war‘. Darauf achtet man hier sehr genau.

5. 17 Uhr: Tee Time!

Für Asterix und Obelix ist es zum Verzweifeln: Pünktlich um fünf Uhr haben die Briten keine Lust mehr auf Römer-Verdreschen. Stattdessen widmen sich ihrem „heißen Wasser mit Milch“. Die traditionelle Tee Time ist schon Geschichte, die Liebe zum Tee ist auf der Insel aber ungebrochen. Engländer trinken Tee heute zu jeder Gelegenheit, so wie wir Kaffee. Wer im Büro „ja“ zu einem Tee sagt, bekommt automatisch einen schwarzen serviert – wahlweise mit Zucker oder Milch.

Dürfte tatsächlich das Lieblingsgetränk der Engländer sein: Der Tee. Vor allem im Südwesten trinkt man ihn Nachmittags gern als Cream Tee. Das bedeutet, dass man kleine Törtchen mit einer Art Streichrahm, Cotted Cream  genannt, und Erdbeermarmelade dazu isst. Verschiedene Regionen streiten sich darum, was man als erstes auf das Törtchen schmiert.

Dürfte tatsächlich das Lieblingsgetränk der Engländer sein: Der Tee. Vor allem im Südwesten trinkt man ihn Nachmittags gern als Cream Tee. Das bedeutet, dass man kleine Törtchen mit einer Art Streichrahm, Cotted Cream genannt, und Erdbeermarmelade dazu isst. Verschiedene Regionen streiten sich darum, was man als erstes auf das Törtchen schmiert.

Das Bier ist für deutsche Gaumen übrigens tatsächlich gewöhnungsbedürftig. Es gibt viele verschiedene Sorten, doch viele schmecken dem Kontinental-Menschen etwas zu fad oder einfach bitter. Kohlensäure muss man suchen, genau so wie Schaum. Wundern Sie sich nicht, wenn der Wirt im Pub das Pint, wie die Biergläser hier heißen, buchstäblich bis zum Überlaufen voll macht. Pint ist eigentlich ein Raummaß. Umgerechnet sind es etwa 0,5683 Liter. Wer weniger an den zahlenden Gast ausschenkt, kann Ärger mit dem Gesetz bekommen.

6. Alle lieben ihre Königin

Wenn man beim Durchzappen über Klatschsendungen wie ‚Leute heute‘ im ZDF stolpert, könnte man echt der Meinung sein, die Briten wären in ihre Royals regelrecht verknallt. Der Medienrummel bei der Geburt des zweiten Prinzessinnen-Babys: überwältigend. Auch offizielle Umfragen legen nahe, dass eine Mehrheit der Briten ihre Königin behalten mag. In meinen persönlichen Gesprächen habe ich allerdings bislang noch keinen brennenden Royalisten finden können.

„Die Königsfamilie ist die größte Verbrecherfamilie in der Geschichte“, sagte einer hingegen. Sie sei ein Relikt aus der Vergangenheit. „Im Prinzip gehört der Queen nicht nur unglaublich viel Land und Geld, ihr gehört eine ganze Weltsprache: Ihr alle sprecht Englisch. Das ist eine gewaltige Macht“, fügte der Mann hinzu.

7. Sonnenschein in England? Vielleicht mal alle Schaltjahre

Dauerregen? England kann auch anders: Der Süden des Landes ist ein sehr sonniges Fleckchen

Dauerregen? England kann auch anders: Der Süden des Landes ist ein sehr sonniges Fleckchen

Das mag, natürlich nicht ganz so extrem, für ein Großteil des Vereinigten Königreiches stimmen. Nicht aber für den Süden, wo ich gerade lebe. Die Region wird zu Recht „Englische Rivera“ genannt. Vor meinem Zimmerfenster wachsen sogar Palmen, im Winter fallen die Temperaturen selten unter den Gefrierpunkt. Hier kann es auch heftig regnen, aber zumindest für diese Gegend ist der graue Dauernebelschleier ein unwahres Klischee.

Zum Autor:

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Seit Ostern hält sich Juri Auel, Redakteur bei Oberhessen-live, im Süden Englands auf, genau: in dem Küstenort Torquay. Bis September absolviert er ein Praktikum in einer englischen Zeitung. Das ist genügend Zeit, ist nah genug am einheimischen Leben, dass er englische Gepflogenheiten kennenlernt, die uns wenig oder nicht bekannt sind. Das ist Stoff für Geschichten! Daher wird Juri Auel in den nächsten Monaten in unregelmäßigen Abständen erzählen, wie sie denn so sind, die Engländer unter sich, was sie von uns und Europa denken, und warum.

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