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Helmar Bünnecke verlässt zum 1. Juli Buch 2000 - Zwei Nachfolgerinnen übernehmenEin ganzes Leben für und mit Büchern

ALSFELD. Ende des Monats verlässt eines der bekanntesten Alsfelder Originale die Bühne: Helmar Bünnecke gibt Buch 2000 weiter an zwei Nachfolgerinnen. Die versichern: Den Buchladen wird es in ähnlicher Art weiter geben. Sein Gründer aber möchte nun mit 83 Jahren doch den Ruhestand genießen – nach einem Leben für das Buch. Es ist eine lange Geschichte. Ein Gastbeitrag von OL-Gründer Axel Pries.

Der Alsfelder Marktplatz hält gleich mehrere Attraktionen bereit. Eine davon ist der imposante Blick auf Rathaus, Weinhaus und Walpurgiskirche, der sich zu Füßen des Hochzeitshauses eröffnet und in Tausenden touristischen Kameras verewigt sein dürfte. Wer dann den Blick senkt, entdeckt neben dem Rathaus das Geschäft mit den großen Fensterläden und der kleinen Tür, deren Flügel einladend weit geöffnet sind. Alsfelder wissen, hinter diesem freundlichen, aber eher unscheinbaren Fachwerkgesicht eröffnet sich dem Besucher eine andere Welt: die der Geschichten, Ratgeber, Reisetipps und Bilder, eine Höhle der Fantasie und des Wissens.

Es ist die Welt des Helmar Bünnecke, mäßig sortiert, viel gestapelt, beengt, geheimnisvoll, jedes moderne Verkaufskonzept verhöhnend – Buch in seiner üppigsten Form. Seit 30 Jahren Ausdruck einer innigen Beziehung seines Besitzers zum gedruckten Werk, die für Helmar Bünnecke bereits als Kind begonnen hat.

„Ich war oft in dem Geschäft, das hat mich als Kind infiziert“

Das war in den dreißiger und vierziger Jahren des alten Jahrhunderts. Vater Kurt und Mutter Gustl Bünnecke hatten kurz nach der Heirat und der Geburt ihres Sohns Helmar 1936 in der Obergasse gemeinsam ein Geschäft für Buch und Kunstgewerbe eröffnet – in jenem Haus, in dem heute der Optiker Gertler zu finden ist. Der Vater war zuvor Geschäftsführer eines Buchladens in der Mainzer Gasse gewesen, die Mutter hatte ein Kolonialwarengeschäft. Sohn Helmar erlebte also schon sehr früh die Welt der Bücher und Geschichten – und das hatte Folgen.

„Ich war oft in dem Geschäft, das hat mich als Kind infiziert“, erzählt er mehr als 70 Jahre später. Der Junge las viel, vor allem Reisegeschichten – aber dass er schon mit 18 Jahren dann in den Buchhandel einsteigen würde, war gar nicht geplant. Helmar Bünnecke hatte gerade eine Lehre im Einzelhandel abgeschlossen, als seine Eltern schwer krank wurden. „Da musste ich das Geschäft übernehmen.“ Das war 1954, und der junge Mann wurde Buchhändler. Das hatte er nicht gelernt. „Learning by doing“, lacht er heute, habe er sich das Wissen angeeignet. 

20 Jahre später der Umzug in die Obere Fulder Gasse in einen kleinen Laden, der dann schon die typischen Merkmale des späteren Buch 2000 haben sollte: noch kleiner, noch enger, vollgestopft mit Büchern und Druckwerken aller Art – aber der Inhaber wusste, was wo in seiner Bücherhöhle zu finden war. Und bei ihm gab es fast alles, was irgendwie gedruckt worden ist.

Legendär ist die glaubhaft überlieferte Geschichte von dem Touristen, der nach einem Stadtplan von Leipzig fragte – und zwar vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Helmar Bünnecke griff einfach unter den Ladentisch und zauberte eine solche Karte hervor, die heute unter Sammlern wegen des Seltenheitswerts wahrscheinlich einiges Geld einbrächte. „Daran kann ich mich erinnern!“, lacht der 83-Jährige, angesprochen auf die Erzählung.

Er ist Buchhändler von Kopf bis Fuß, aber dennoch probierte Helmar Bünnecke sich auch einmal auf ganz anderem Gebiet: 1972 übernahm er zusammen mit Paul Lausch die damalige Columbus-Bar in der Marburger Straße. „Das war eben so eine Episode“, meint er heute dazu. Zwei Jahre dauerte der Abstecher in die Gastronomie. Den Büchern blieb der gebürtige Alsfelder treu.

1989 endgültiger Standort am Markt 2 gefunden

1989 folgte wieder ein Umzug: an die Adresse Markt 2. Helmar Bünnecke hatte seinen endgültigen Standort erreicht, richtete wieder auf engem Raum eine Bücherwelt ein, die in das märchenhafte Ambiente des Alsfelder Marktplatzes eingepasst zu sein scheint. Direkt neben dem Rathaus sollte sein uriges Geschäft Buch 2000 für Touristen künftig eine weitere Attraktion werden – und für Einheimische ein Buchladen, in dem man nicht auf die Schnelle ein Buch kauft, sondern sich immer auch Zeit zum Stöbern nimmt. Am besten viel Zeit, denn dieser Laden birgt in seinen Ecken am Ende schmaler Gänge zwischen Buchregalen immer wieder literarische Schätze zum Entdecken.

Sie übernehmen Buch 2000, machen daraus Lesenswert: Johanna Mildner und Barbara Möser. Foto: privat

Bei Bünnecke, so ist lange bekannt, sieht man nicht nur Bücher, wohin man sich auch dreht, man berührt sie bei jeder Bewegung, riecht sie schon vor dem Aufblättern. Das Ganze lässt sich auch in Zahlen ausdrücken. 30 000 Bücher haben sich bei ihm versammelt, erzählt Helmar Bünnecke gerne. Das bedeutet bei 70 Quadratmetern Grundfläche die unglaubliche Dichte von über 400 Büchern, Zeitschriften und Reiseführern pro Quadratmeter. Im Laufe der Zeit sind es immer mehr geworden. Ein Nebengeschäft kam hinzu: bei Buch 2000 gibt es Eintrittskarten für viele Veranstaltungen.

Im Laufe der Zeit hat sich auch vieles im Buchgeschäft verändert, weiß der Händler, der längst zu einem der Alsfelder Originale geworden ist. Früher genügte es, einmal im Jahr die aktuellen sechs Kataloge für Neuerscheinungen bereit zu haben. Doch heute braucht es die  EDV-Verarbeitung und eine Online-Datenübertragung, um ständig auf dem Laufenden zu sein und auf Kundenwünsche schnell reagieren zu können. Und es reicht auch nicht mehr, nur mit dem vagen Versprechen schöner Geschichten zu locken. Das moderne Publikum braucht Aktion.

„Ich mag es halt gedruckt. Das ist was Reelles.“

So war auch Helmar Bünnecke dabei, als die Veranstaltungsreihe „Vulkan lässt lesen“ mit vielen prominenten Gastlesern und Autoren gegründet wurde. Und legendär sind die Harry-Potter-Abende geworden, mit denen Buch 2000 die Erscheinung neuer Bände über den berühmtesten aller Zauberlehrlinge zelebrierte: mit Zauber- und Feuershow auf dem nachtdunklen Marktplatz, mit Verkleidungen und der feierlichen Öffnung der Schatzkiste, um die sich Dutzende Kinder geschart hatten.

Angst vor Computer und Internet hat der Oldtimer des Buchhandels nicht – er war 2013 überhaupt der erste Anzeigenkunde von Oberhessen-live – aber anfreunden mag er sich mit elektronischen Büchern auch nicht. Die virtuelle Austauschbarkeit nehme dem Buch doch ein Stück Wertigkeit, meint er. „Ich mag es halt gedruckt. Das ist was Reelles.“ 

Zur Zeit von Harry Potter war der Buchhändler schon längst nicht mehr alleine im Geschäft tätig. Das Rentenalter hatte er schon erreicht, dachte noch nicht ans Aufhören gedacht, aber ließ sich von Barbara Möser als Angestellter helfen. Zu seinen Aushilfen zählte auch immer die junge Schülerin Johanna Mildner, heute längst als Schauspielerin und Regisseurin weithin geschätzt. Seit drei Jahren gehört auch sie zum Team von Buch 2000. Sie beide werden am 1. Juli den Buchladen übernehmen, wenn Helmar Bünnecke aufhört – und ihn im Prinzip in dem Stil weiterführen, mit dem er berühmt wurde.

„Die Grundidee ist ja toll“, sagt Johanna Mildner. Es bleibt ein Buchladen, der vom Verkauf lebt – aber auch zum Stöbern und Schmökern einladen soll. Das eine oder andere Drehregal wird wohl weichen, meint die angehende Buchhändlerin. Damit soll Platz für einen Tisch und Stühle geschaffen werden. „Man kann sich setzen und lesen.“ In dem Ambiente könnten auch kleine literarische Veranstaltungen stattfinden.

Ganz ausgereift sind die Pläne nicht, manches wird sich entwickeln, aber erst einmal wollen die Frauen einfach „den Laden zu unserem machen“. Nach außen sichtbar wird die Veränderung durch den Namen: Buch 2000 wandelt sich zu Lesenswert. Das Versprechen der neuen Inhaberinnen: „Wir wollen die kulturelle Instanz erhalten.“

Wenn Fragen sind, steht der alte Chef ja auch noch zur Verfügung, verspricht er: „Ich komme bestimmt mal zu Besuch.“ Insgeheim, so gesteht er, ist da die Hoffnung, dass möglichst viel von dem Geist erhalten bleibt, der in der Bücherhöhle auch dann noch herrschte, als große Buchhandelsketten längst mit überschaubarem und vor allem übersichtlichem und greifbarem Angebot den Verkauf ankurbeln wollten. Auf die Frage indes, es Zufall ist, dass er seinem Laden so ein unverwechselbares Gesicht gegeben hat, hat Helmar Bünnecke eine entwaffnende Antwort: „Ich habe das immer so gemacht, wie ich es kann.“ Besser hätte es Frank Sinatra auch nicht sagen können.

3 Gedanken zu “Ein ganzes Leben für und mit Büchern

  1. Wie der Hesse so schön sagt: Beste Buchhandlung wo gibt.
    Danke für die besten Empfehlungen in einem Būcherchaos. Alles Gute für den neuen Lebensabschnitt und viel Erfolg den neuen Geschäftsführerinnen.

  2. Vielen dank Herr Bünnecke für die vielen schönen Stunden die ich in ihrem Laden verbringen durfte, für die Inspiration und für ihre Leidenschaft für Bücher!
    Ich wünsche Ihnen von Herzen alles gute in Ihrem Ruhestand!
    Frau Mildner und Frau Möser alles gute für Ihren Start!

  3. „Nenn‘ mir deinen Namen und ich sag dir, wie du heißt! [ursprüglich: …wer du bist!]“ Noch heute verbucht man mit dieser verballhornten Spruchweisheit ein paar Lacher. Und tatsächlich hat ein Name ja etwas zu bedeuten. „Lesenswert“ sagt mir da um einiges mehr zu als „Buch 2000“, was an die Zeit erinnert, wo Bücher zum Ramsch-Artikel wurden und jeder Lebensmitteldiscounter seine „Bücherabteilung“ bekam.
    Wie schön, dass der Laden Nachfolger gefunden hat. Der neue Name zeigt, dass der „Spirit“ stimmt, in dem er fortgeführt wird.

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