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Landkreise Gießen und Marburg-Biedenkopf testen jetzt das Modell des Telenotarztes.Gemeinsam die Notfallversorgung verbessern

GIEßEN (ol). Statt einem Notarzt, soll es einen Telenotarzt bei bestimmten Einsätzen geben: Gemeinsam mit dem Landkreis Marburg-Biedenkopf wird der Landkreis Gießen das Innovationsprojekt „Telemedizin im Rettungsdienst Mittelhessen“ durchführen. Dazu wurde jetzt eine Kooperationsvereinbarung geschlossen. Das erklärte Ziel dabei: Den Rettungsdienst zukunftsfest machen.

In der Pressemitteilung des Landkreises Gießen heißt es, weitere Partner der Projekts sind der DRK Rettungsdienst Mittelhessen, der JUH Regionalverband Mittelhessen, der Malteser Hilfsdienst – Bezirk Mainz, das Zentrum für Notfallmedizin des Universitätsklinikums Marburg und die Technische Hochschule Mittelhessen.

„Unser Ziel ist es, den Rettungsdienst zukunftsfest zu machen und die präklinische medizinische Versorgung der Bevölkerung stetig zu verbessern“, erklärt Landrätin Anita Schneider. Der Rettungsdienst habe sich längst vom reinen Transportmittel hin zu einem tragenden Element der schnellen und hochwertigen medizinischen Versorgung entwickelt.

Probephase sei auf drei Jahre ausgelegt

Das Projekt zur Erprobung der telemedizinischen Unterstützung im Rettungsdienst sei auf drei Jahre angelegt. Es werde im Rahmen der „Richtlinie des Landes Hessen zur Förderung von Innovationsprojekten in Telemedizin und E-Health“ gefördert. Die erwarteten rund 1,2 Millionen Euro Gesamtkosten würden zu 50 Prozent durch Zuschüsse des Landes Hessen und zu 50 Prozent durch die Krankenkassen finanziert.

Im Zuge des Innovationsprojektes soll wissenschaftlich untersucht werden, ob sich durch den Einsatz von Telemedizin, also einer Behandlung, bei der sich Arzt und Patient nicht unmittelbar gegenüberstehen, sondern per Telekommunikation miteinander agieren, die Notfallversorgung verbessern sowie die Anzahl der Notarzteinsätze reduzieren lässt. „An der Versorgungssicherheit für die Patienten ändert sich nichts. Der Telenotarzt kann und soll den regulären Notarzt nicht ersetzen“, betont Landrätin Schneider. „Vielmehr soll die Telemedizin, gewissermaßen als weiterer Mosaikstein, die Sicherheitsarchitektur unserer Region ergänzen“, sagte die Landrätin des Landkreises Marburg-Biedenkopf, Kirsten Fründt.

Hintergrund ist, dass die Einsätze der Rettungswagen seit Jahren ansteigen, ebenso die Einsätze der Notärzte. Um dem zu begegnen, habe der Landkreis Gießen die Kapazitäten in den vergangenen Jahren kontinuierlich aufgestockt. Allerdings werde es immer schwieriger, Notärzte zu finden. „Wir beobachten außerdem, dass Patienten, die eigentlich in die Hand des Hausarztes beziehungsweise des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes gehören, den Rettungsdienst in Anspruch nehmen“, erklärt Prof. Dr. Simon Little, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst beim Landkreis Gießen. Dadurch würden Rettungswagen und Personal unnötig lange gebunden, so dass mehr Rettungsmittel vorgehalten werden müssten.

In der Versuchsphase zwölf Rettungswagen mit neuen EKG-Geräten ausgestattet

Dem steht eine positive Entwicklung entgegen: Durch das Berufsbild des Notfallsanitäters habe sich die Qualität des medizinischen Assistenzpersonals entscheidend verbessert. Darauf baue die Telemedizin auf. Bereits seit mehr als zehn Jahren werden im Versorgungsbereich Mittelhessen einzelne medizinische Maßnahmen unter telefonischer notärztlicher Unterstützung mit großem Erfolg delegiert.

In der Versuchsphase würden zwölf Rettungswagen in den beiden Landkreisen mit neuen EKG-Geräten ausgestattet, die alle aufgezeichneten Werte und Kurven in Echtzeit übertragen können. Hintergrundärzte mit hoher notfallmedizinischer Erfahrung sehen die übertragenen Daten ein und können den Notfallsanitätern vor Ort Anweisungen geben. „Damit können wir zukünftig bei nicht lebensbedrohlich erkrankten oder verletzten Notfallpatienten den Umfang medizinischer Maßnahmen auch ohne persönliche Anwesenheit eines Notarztes erweitern“, erklärt Little.

Verschiedene Möglichkeiten der telemedizinischen Versorgung

Weiteres mögliches Einsatzgebiet für Telemedizin seien die stetig ansteigenden Einsätze des Rettungsdienstes für die Versorgung von Patienten, die durch den Ärztlichen Bereitschaftsdienst erfolgen könnte. Auch wenn die Rettungswagenbesatzung keinen Grund für eine stationäre Krankenhausbehandlung feststellt, muss dennoch eine ärztliche Beurteilung erfolgen. Dafür müsse der Patient entweder transportiert oder ein Notarzt nachgefordert werden. Künftig könnte teilweise die Beurteilung durch den Tele-Notarzt erfolgen.

„Er kann entscheiden, dass der Patient nicht in ein Krankenhaus transportiert werden muss, sondern zeitnah vom Ärztlichen Bereitschaftsdienst behandelt werden kann. Dazu wird es eine enge Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessens geben“, erläutert Dr. Erich Wranze-Bielefeld, der Ärztliche Leiter Rettungsdienst des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Es werde erwartet, dass damit die Notarzt-Nachforderungen reduziert werden können. Auch Sekundäreinsätze, etwa die Begleitung von Patienten von einer Klinik in eine andere, könnten zum Teil unter Überwachung durch den Tele-Notarzt erfolgen.

„Eine Reduzierung der nicht notwendigen Notarzteinsätze würde bedeuten, dass die Notarztsysteme für andere tatsächlich lebensbedrohliche Notfälle im gleichen Zeitraum zur Verfügung stünden“, erklärt Anita Schneider. Außerdem könnte die Installation neuer, zusätzlicher Notarztsysteme mindestens verzögert werden. „Mit dem Projekt haben wir die Möglichkeit zu untersuchen, welchen Beitrag die Telemedizin dazu leisten kann.“

„Vom Innovationsprojekt ‚Telemedizin im Rettungsdienst Mittelhessen‘ können alle Beteiligten profitieren: Patienten bekommen zeitnah dringend benötigte Schmerzmittel auch vom nicht-ärztlichen Rettungspersonal verabreicht, die Maßnahmen der Rettungskräfte vor Ort genießen höhere Rechtssicherheit durch den Tele-Kontakt mit einem Notarzt, und dieser ist letztlich im persönlichen Notfall-Einsatz flexibler, indem er seine Kapazitäten für die dringlichsten Notfälle aufbewahrt“, so Marco-Schulte-Lünzum, Regionalvorstand Mittelhessen der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.

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