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Neues Umfeld, erste Vorlesungen - die Erfahrungen einer StudienanfängerinUnistart mit Hindernissen: Alles neu aber gleich?

Das Wintersemester an der Uni hat begonnen und mit ihm strömen viele Studenten in ihre neue Wahlheimat. Dass dabei nicht alle Erwartungen erfüllt werden und Pläne gemacht werden, um sie zu verwerfen, konnte ich hautnah miterleben. Die Zeit zwischen dem Ende der Oberstufe und dem großen „Neuanfang“ beschreibe ich rückblickend als „Organisatorisches“. In dem allumfassenden Wort gehen Wohnungssuche, Renovierungsarbeiten, Papierkram – Freude, Wut und Trauer dermaßen nahtlos ineinander über, dass ich Gefühle und Umbrüche gar nicht mehr einander zuordnen kann.

Was mir bleibt, ist eine schöne Wohnung, einige Anekdoten, ein halb voller Eimer Wandfarbe, Umzugskartons und ein formschöner Wegweiser durch das „Universum“, von dem bereits mein Abipullover heldenhaft sprach. Dort stand „Abiversum – Uni kommt noch“ umrahmt von Sternen und Planeten und die Namen, die Ersteres bereits hinter sich gebracht hatten.

Was nun jedoch vor mir liegt, hat nicht unbedingt viel mit Sternen und anderen Himmelskörpern zu tun. Das mag wahrscheinlich daran liegen, dass die Beleuchtung in den Hörsälen jegliches Strahlen untergräbt und damit auch die Lesbarkeit von diversen PowerPoint Folien. Was Universum und Universität jedoch gemein haben, sind unendliche Weiten. Ob sich diese auf Wissen oder Räumlichkeiten beziehen, ist diskutierbar – ähnlich wie jede andere Frage auch. Stichwort „Diskussionen“ – willkommen im Leben eines Erstsemesters, der Politikwissenschaften studiert.

Zwischen Stundenplan und Studienordnung – Ruhe im Sturm finden

Bevor etwas beginnt, spricht man häufig von der „Ruhe vor dem Sturm“. Was ich jedoch erlebte, glich eher der Suche nach der Ruhe in einem Sturm. Nachdem ich mit sämtlichen Studienordnungen vertraut war, ertappte ich mich doch immer wieder dabei, dem Gelesenen nicht zu trauen. So kam es dazu, dass ich einen Stundenplan erstellte, verwarf und rekonstruierte. Ich belegte Kurse, meldete mich ab und dann wieder an.

Schließlich hatte man uns im Goldfischglas der Schule vor ähnlichen, selbst zu organisierenden Leistungen seit jeher bewahrt. Dieser Service ist nun offensichtlich vorbei. Weil Abwarten und Tee trinken keine Option war, las ich zwanzig mal fünf Tipps für Studierende. Von motiviert bis desaströs – man hätte sie überall einordnen können. Ich wünschte man hätte mir in dieser Zeit den Internetzugang verboten. Etwas mehr Klarheit und positive Momente verschaffte schließlich ein erstes Treffen mit meinen Germanistik Kommilitonen.

Uni: Wo Motivation auf Schlafmangel trifft

Am 10. Oktober war es dann endlich so weit. Studierende des Fachbereichs 03 (Gesellschaftswissenschaften) strömten den Hörsaal, um über das informiert zu werden, was vor ihnen lag – und das war einiges. Floskeln wie „eure Sitznachbarn werdet ihr bei eurem Abschluss sicherlich nicht mehr sehen“ fanden bei mir wenig Anklang. Ein Zitat von Max Frisch hingegen schon:

Wer sich nicht mit Politik befasst, hat die politische Parteinahme, die er sich sparen möchte, bereits vollzogen: Er dient der herrschenden Partei.

Es folgten gute Gründe für ein Studium der Politikwissenschaften und Illusionen, den wir lieber nicht vertrauen sollten – darunter die, dass wir uns der Mathematik entziehen könnten. In einer Rede über Professuren und Teilbereiche schilderte man uns schließlich die weit gefächerten Forschungsmöglichkeiten. Beflügelt, sah ich mich selbst in sechs Semestern, angestrengt meine Bachelorarbeit schreibend, zum jetzigen Stand unwissend über jegliche wissenschaftliche Arbeitsform – aber ich schrieb sie. Diese Vorstellung wurde durch den ein oder anderen verschlafenen Studenten gestört, der zur Nachmittagsstunde durch die Reihen huschte – mal 30, mal 60 Minuten zu spät. Manch einer zog eine zart wahrnehmbare Fahne hinter sich her.

Bei der anschließenden Campusführung versuchte ich, die großen Eulenaugen zu verbergen. Das bereute ich jedoch recht schnell. Mit einem Sturz übersprang ich ein Viertel der Treppe – wenigstens redeten nun alle miteinander. Auf den ersten Schock, folgte direkt der Zweite. Scheinbar galt eine chronologische Nummerierung der Räumlichkeiten als unsinnig – wie sollte ich jemals etwas finden und am besten auch noch pünktlich. Der Campus Westend als solches gefällt mir hingegen sehr. Auf der Suche nach allem, wird man von Bäumen in rot und gelb begleitet. Wenn man die Treppen hinuntereilt, scheint die Frankfurter Skyline wie eine ganz andere Welt hinter dem Campus hervor. Mit einem Blick auf die acht Meter hohe Statue „Body of knowledge“, verlässt man behütet die Universität.

uni campus westend

Frankfurter Skyline trifft auf herbstliche Grüße aus der Natur und die Statue „Body of knowledge“.

Kneipenkult und Ebbelwei – in den Gassen von Alt-Sachsenhausen

Die nächsten Tage verliefen in Kurven. Auf „Ehms“ und „Ähs“ folgten euphorische Ausrufe. Auf Klarheit folgte Verwirrung. Trotzdem konnten nach mehreren Anläufen meist alle Fragen geklärt werden. Unwissenheit schweißt zusammen und so formierten sich den Fächer entsprechende Grüppchen, in denen alles besprochen wurde, was nicht zum Studium gehört. In mehreren tausend Nachrichten konnte so geklärt werden, wo Schotten eigentlich liegt, wann es mal wieder Freigetränke auf dem Campus gibt und ob es sich denn lohnt, überhaupt aufzustehen – öfters schrieb man sich einfach nur ein „hallo“ oder „Gute Nacht“, der Idee folgten hundert andere Personen. Oftmals trug man die ein oder andere Diskussion aus – und wieder störte mich diese vernetzte Zeit auf ihre ganze eigene Weise. Trotzdem, und das war mein Glücksfall, lernte ich Celine kennen, mit der ich mich auf Anhieb gut verstand.

Im Gegensatz zu anderen Erstsemestern ersparte man uns Peinlichkeiten, die Studienanfänger ganz klar kennzeichnen. Wir mussten weder mit Lametta noch mit Bananen behängt, singend über das Gelände laufen. Auch die schrill orangefarbenen Karate-Kopf-Bänder fand man überall, nur nicht an unseren Köpfen. Unsere Fachschaft konzentrierte sich darauf, uns mit der Kneipenkultur Frankfurts bekannt zu machen. Wir landeten in den schmalen Gassen Alt-Sachsenhausens, wo Ebbelwei und Federweißer förmlich fließen. Langsam näherte man sich einander an.

Obwohl ich die Menschen zuvor noch nie gesehen hatte, fand ich in einigen doch etwas sehr Bekanntes wieder. Leider waren wenige davon wirklich kommunikativ. Schließlich ist es schwer ein Gespräch auf eine Handvoll „ja“ und „nein“ aufzubauen. Das Schlusslicht dieser Woche bildete die groß angekündigte Ersti-Party. Die war allerdings so groß, dass die meisten meiner Kommilitonen mehr Zeit in der Schlange als auf der Party verbrachten. Ein gutes Schnitzel, 90’s Musik im Germanisten Café und der Irish Pub gemeinsam mit alten und neuen Freunden und einem ganz besonderen Herzensmenschen waren definitiv die bessere Entscheidung.

„Kollektives Kugelschreiberdrücken, Kopfnicken und entsetze Gesichter…“

Nachdem ich am Wochenende meine Energie im Vogelsberg wiedererlangt hatte, stellte mich der Vorlesungsbeginn vor ausfallende Bahnen, gestresste Pendler und nasse Grüße von oben. Von Komillitonen hörte ich zudem, dass Seminare schonungslos überfüllt waren und man froh sein könne, wenn man auf dem Boden, nicht aber draußen einen Platz finde. Glücklicherweise machte ich in der ersten Woche nur positive Erfahrungen. Zugegeben kollektives Kugelschreiberdrücken, Kopfnicken und entsetze Gesichter waren mir aus der Schule bislang noch nicht bekannt.

Die Art des Unterrichtes jedoch schon – der einzige Unterschied war das Mikrofon, das wie in einer Talk-Show durchgegeben wurde. In den Seminaren verteilten die Professoren erste Referate und Bücherempfehlungen – es ähnelt doch stark der Schulzeit, nur das man allem einen viel komplizierten Namen gibt und Pläne da sind, um sie zu verwerfen. Letzteres wurde mir klar, als wir uns spontan bei einer Vorlesung des Georg-Büchner Preisträgers Marcel Beyer im Frankfurter Ratskeller wiederfanden – gerechnet hatten wir alle, mit einer Vorlesung im Hörsaal.

Nichts ist unmöglich

Natürlich kann die Freiheit, die man an der Uni bekommt, nicht nur Freude erzeugen. Sie kann ebenso überfordernd und erdrückend wirken. Ich selbst weiß nicht, wie ich in den nächsten Semestern damit umgehen werde. Was ich jedoch weiß ist, dass ich alles daraus machen kann. Es gibt so viele Möglichkeiten sich zu engagieren, sich weiterzubilden oder seinen eigenen Interessen zu folgen. Allen angehenden Studierenden oder denen, die schon mittendrin stecken, wünsche ich viel Durchhaltevermögen, einen leistungsstarken Drucker; Freunde, die euch ab und an auf den Boden der Tatsachen zurückholen; guten Kaffee und die Gabe, sich für Dinge zu begeistern und nicht immer alles so ernst zu nehmen.

Sehen wir von dem fachspezifischen Wissen einmal ab, habe ich definitiv gelernt, nicht alles zu glauben, was man hört. Das mag das abschließende Wort eines naiven Erstis sein, der sich dazu entschieden hat, mit einem Lächeln und einer Prise Sarkasmus gegen die Tücken des Unialltags anzukämpfen. Nichts ist unmöglich, nicht einmal ein versteckter Hund in der Vorlesung!

Von Jessica Haak

 

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