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Weltnierentag 2016 – 24 Stunden für ein beeindruckendes Organ„Das geht mir ganz schön an die Nieren!“

VOGELSBERGKREIS. Jeder kennt sie: Die Niere – ein Organ, das für uns lebenswichtig ist. Doch was tut das circa 10 Zentimeter lange, bohnenförmige Körperteil genau? Und was passiert, wenn seine Leistung eingeschränkt ist? Anlässlich des morgigen „Weltnierentags 2016“ traf sich oberhessen-live mit Monika Kaiser, Vorsitzende des „Dialysepatienten und Transplantierte Mittelhessen e.V.“ zum Gespräch – mit interessanten Informationen und neuen Blickwinkeln.


„Das geht mir ganz schön an die Nieren!“ – dieses und andere Sprichworte kennen vermutlich viele. Doch das 150g schwere Organ ist mehr, als nur der Bestandteil einer Phrase – viel mehr. Um das zu verstehen, benötigt man ein paar medizinische Fakten: Unsere Niere ist zuständig für die Regulation des Säure-Base-Haushalts und die Produktion wichtiger Hormone, welche unter anderem nötig für die Blutbildung sind. Auch die Ausscheidung von Stoffwechselendprodukten und Giftstoffen zugunsten unseres Körpers spielen in ihrem Tätigkeitsfeld eine große Rolle. Im Zuge dessen ist vor allem eins relevant: Die Blutfilterung. Circa 300 Mal am Tag filtert die „Nephrós“ unser gesamtes Blut, in 24 Stunden sind das circa 1.500 Liter – Zahlen, die beeindrucken.

Umso nachvollziehbarer ist es, dass eine nicht funktionierende Niere Einschränkungen bedeutet: Unklare Schwellungen und Wassereinlagerungen, sowie schäumender Urin sind nur einige Anzeichen, die auf eine Nierenerkrankung hinweisen können – allein in Deutschland gibt es circa 5 Millionen Betroffene. Das „Problem“: Da man trotz einer verminderten Nierenfunktion anfangs keine Schmerzen spürt, wird das Leiden oft zu spät erkannt, zum Teil erst dann, wenn die Funktion bereits enorm eingeschränkt ist.

Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, haben sich Organisationen auf die Prävention von Nierenbeschwerden konzentriert: Am „Weltnierentag“, der jährlich am zweiten Donnerstag im März stattfindet, und den vom 1. bis zum 31. März andauernden „Nierenwochen“, machen sich Praxen, medizinische Einrichtungen, Krankenhäuser und Vereine für die Nierengesundheit stark. Sie informieren über die Aufgaben und die Bedeutung des Organs, doch auch über Erkrankungen und wie diesen vorgebeugt werden kann. Es soll ein Bewusstsein geschaffen werden, was der Mensch tun kann, um seine Nierenfunktion zu stärken: Gesunde Ernährung, Bewegung, wenig Stress, nicht Rauchen und Alkohol nur in Maßen, dies sind die Empfehlungen der Deutschen Nierenstiftung, welche gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie, den Weltnierentag koordiniert.

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Im Gespräch mit Monika Kaiser, Vorsitzende des „Dialysepatienten und Transplantierte Mittelhessen e.V.“

Morgen: Informationsstand im Alsfelder Krankenhaus

Auch in Alsfeld können sich am morgigen Tag Jung und Alt über das wichtige Thema „Niere“ erkundigen: Von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr finden Interessierte im Foyer des Alsfelder Krankenhauses Mitglieder des Vereins „Dialysepatienten und Transplantierte Mittelhessen“ vor, die zu gemeinsamen Gesprächen und einem symbolischen Glas Wasser „Ihrer Niere zuliebe“, einladen. Die gemeinnützige Organisation, die von Limburg über Gießen bis Kassel großflächig tätig ist, kann 2016 auf erfolgreiche 40 Jahre zurückblicken. „Wir sind für Patienten und deren Angehörige da“, erzählt Monika Kaiser aus Stumpertenrod, 1. Vorsitzende des Vereins. 500 Mitglieder zählt dieser momentan, wobei die Zahlen rückläufig sind: „Viele Mitglieder sind schon älter, junge Menschen hingegen holen sich die Informationen lieber aus dem Internet“, so Kaiser. Sie und ihre Kollegen bieten Betroffenen, sowie Interessenten und Unterstützern dennoch das ganze Jahr über ein breites Angebot: Mitteilungsblätter, Beratungsmöglichkeiten, das bundesweite „Nierentelefon“ und Hilfe bei sozialrechtlichen Problemen und Gesundheitsfragen. Wichtig sei dabei, bei der Zusammenarbeit auf Augenhöhe zu bleiben und eine persönliche Grundlage zu schaffen.

Monika Kaiser gelangte durch ein privates Erlebnis zum Verein: 40 Jahre lang war ihr Mann Diabetiker, eine Dialyse war schließlich unumgänglich. „Man begann, sich zu informieren“, erinnert sich die heute 63-Jährige. Nach vielen Gesprächen und Überlegungen überzeugte sie ihren Mann schließlich davon, ihm eine ihrer Nieren zu spenden. „Eine Lebendspende ist eine gute Sache, sollte aber nicht der erste Weg sein“, klärt sie auf. Es müsse gut überlegt werden, da es ein großer Schritt sei und nicht wieder rückgängig gemacht werden könne. Dennoch: „Ich würde es immer wieder machen!“ steht es für die Mutter eines Sohnes fest. Die Transplantation sei gut verlaufen, erzählt sie, doch ihr Mann sei 14 Monate später an einem Herzinfarkt gestorben. „Dafür stehe ich heute an diesen Infoständen“, begründet Monika Kaiser ihre Motivation.

Gesunde können von Kranken lernen

Für die Vereinsvorsitzende ist es vor allem wichtig, die Menschen nicht nur zu informieren, sondern auch zu erreichen: „Eine früh erkannte Erkrankung kann gut behandelt werden“,  weiß sie. Deshalb sei es wichtig, die Menschen darauf aufmerksam zu machen, was der Niere schadet: Diabetes, Rauchen, Übergewicht – dies sind nur Beispiele dafür, was die Nierengefäße schädigen kann. Denn abgesehen von der angeborenen Nierenerkrankung, die circa 10% der Betroffenen einschließt, kann auch ein derartiges Verhalten zu Nierenschädigungen führen.

Die Früherkennung einer solchen Schädigung ist wichtig, denn ansonsten kann es schwierig werden: Ist die Krankheit bereits zu weit fortgeschritten, können Medikamente allein oftmals nicht mehr helfen. Die naheliegende Lösung ist nun die Dialyse, bei der das Blut medizinisch kontrolliert gereinigt wird. Dreimal in der Woche, jeweils fünf Stunden am Tag in die Dialysestation: So sieht im Schnitt das Leben eines solchen Patienten aus. „Sie sind da eine lange Zeit ihres Lebens beschäftigt“, berichtet Monika Kaiser aus eigener Erfahrung.

Sie selbst ist beeindruckt, wie mutig viele dieses Los handhaben: Teilweise seien die Menschen trotz Beschwerden voll berufstätig und würden nachts zur Dialyse gehen. „Vor diesen Menschen kann man nur Hochachtung haben“, findet die Stumpertenröderin. Sie selbst habe erlebt, dass Gesunde meist mehr klagen als Kranken. Daran könnten sich einige ein Beispiel nehmen, findet sie: Sich in die oft schwierige Situation anderer Menschen hinein versetzen, das sei der erste Schritt anderen zu helfen – „Das WIR mehr pflegen“, betont sie. Im Hinblick auf Nieren-Erkrankte sei dies von großer Bedeutung: Durch Dialyse oder eine Transplantation seien viele in ihrer Lebensleistung eingeschränkt, ihre Situation zu verstehen und ihnen zu helfen, sei eine schöne und wichtige Sache.
Leider eine Ausnahme: Der Organspendeausweis

Und trotz allem: Die Dialyse ist ein „Glück“: „Nierenkranken sind in der glücklichen Lage die Dialyse zu haben“, ist sich Monika Kaiser bewusst. Bei anderen Organen sei in vielen Fällen lediglich eine Organspende möglich. Doch auch für Nierenkranke ist eine Transplantation oft notwendig. Das Problem: Allein in Deutschland warten rund 8.000 Menschen auf das lebenswichtige Organ. Der Grund sind zu geringe Spendenzahlen.

In der fehlenden Bereitwilligkeit der Menschen, Organe zu spenden, sieht auch die Vorsitzende des DTM eine große Problematik: Über die Krankenkassen seien die Menschen zwar über die Organspende informiert, dennoch seien es erschreckend wenige die einen entsprechenden Ausweis ausfüllen würden: „In ganz Deutschland sind es von 1 Millionen Einwohner lediglich 10,7 Menschen die sich als Organspender ausweisen“, berichtet Monika Kaiser.

In Hessen seien es sogar nur 9,7. „Die Deutschen halten sich in Sachen Organspende sehr zurück!“, bedauert sie. Diese fehlende Bereitwilligkeit, oftmals gegründet in Unsicherheit und Unwissen, schlägt sich auch in den Bilanzen des letzten Jahres wieder: Über 160 Transplantate habe Deutschland bekommen, so Kaiser, dies seien wesentlich mehr, als von uns gespendet wurden. Für sie sei es in Ordnung, wenn jemand nicht Organspender sein wolle, doch dann solle er dieses Statement auch vertreten: „Wichtig ist mir ein eindeutiges „Ja“ oder „Nein“.

Für die Zukunft: Mehr Organisation und Durchblick

Doch das ist nicht das einzige, was sich die Ehrenamtliche für die Zukunft wünscht: Noch hat Deutschland kein bundesweites Transplantations-Register, in dem alle Spender und Empfänger registriert sind. Greifbare Zahlen, welche eine Relation zur Bevölkerung, einen allgemeinen Überblick und einen Vergleich zu anderen Ländern zulassen würde, seien laut Monika Kaiser nötig. Auch die Information, ob jemand Organspender sei oder nicht, solle auf der Gesundheitskarte der Menschen stehen, findet sie.

Dies habe neben organisatorischen und wissenschaftlichen, auch einen großen persönlichen Faktor: In einem emotionalen Moment, wie dem Tod eines geliebten Menschen, falle es Angehörigen oft schwer, über eine Organspende zu entscheiden. „Es ist wichtig, seine Familie zu informieren, ob man Spender sein möchte oder nicht.“, findet Kaiser. Dann würde das Umfeld wissen, wie es in einem Todesfall entscheiden muss, damit der Wille des Patienten umgesetzt wird. „Es ist ein Testament über den Körper.“, meint Kaiser, die darin auch einen Schutz für die Zurückgebliebenen sieht.

Doch auch hier das Problem: Zu wenige Menschen setzen sich mit der Thematik auseinander. „Menschen werden erst dafür sensibilisiert, wenn sie persönlich betroffen sind oder damit in Kontakt kommen.“, weiß die Vereinsvorsitzende, und bezieht sich dabei vordergründig auf Nierenerkrankungen und Organspenden. Das A und O ist für sie somit eine frühzeitige Aufklärung, um Schlimmeres zu verhindern, „Jeder Mensch, der vor einer gravierenden Nierenerkrankung bewahrt wird, benötigt kein Organ“, so Kaiser – dieses Organ könne dann jemand bekommen, der es brauche.

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Homepage der Deutschen Nierenstiftung zum Weltnierentag

Über den Tellerrand schauen: Gemeinnützig tätig sein

Um die Menschen über diese Themen zu informieren und um ein organisiertes Register für Nierenerkrankungen und Transplantationen zu erreichen, setzt sich die ausgebildete Medizinisch-Kaufmännische-Assistentin auch morgen tatkräftig ein: „Der Weltnierentag, das ist ein Datum!“, sagt sie, gleichzeitig sei dieser Tag ein guter Aufhänger für Informationsveranstaltungen. Für die Zukunft würde sie sich wünschen, dass sich mehr Menschen diesbezüglich engagieren würden – oder dass zumindest die gewünschte Botschaft ankommt. Und sollte es nicht das Thema „Niere“ sein, dann vielleicht ein anderer Bereich in dem Hilfe benötigt wird: „Jeder muss in sich die Idee haben, gemeinnützig tätig zu sein.“, findet Monika Kaiser. Dafür gebe es in Deutschland genug Möglichkeiten.

Sie persönlich könne sich nicht vorstellen, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen, „Wenn mehr Leute über den Tellerrand gucken würden, könnte viel bewegt werden.“, ist sie sich sicher. Für den kommenden Tag erhofft sie sich, viele Menschen zu erreichen: „Meine Intention ist es, alle Menschen anzusprechen.“, so die Feldatalerin. Sie freue sich darauf, mit Menschen in Kontakt zu kommen: „Eine Broschüre ersetzt kein Aufklärungsgespräch.“

Friederike Gerbig

 

PS: Wer mehr über die Thematik erfahren möchte, kann sich am Informationsstand der DTM am morgigen Donnerstag, 10.März, 2016 im Alsfelder Krankenhaus oder im Internet informieren.

http://www.dtmittelhessen.bv-niere.de/frame_start.htm
http://nierenstiftung.de/
https://www.organspende-info.de/

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