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Vogelsberger Gipfel Kabarett: Mathias Tretter unterhält mit treffsicheren SpitzenDeftige Tritte nach feinem Anlauf

LAUTERBACH (aep). Die ätzendste verbale Verachtung aktueller politischer und gesellschaftlicher Zustände kommt mit feinem Anlauf daher – und nennt sich nicht ganz unpassend „Nachgetrettert“. Das ist der Titel, unter dem der Kabarettist Mathias Tretter auf das Jahr 2014 zurückblickt, und wer nicht Ziel seines Spotts ist, der hat seinen Spaß daran – so wie jene 150 Besucher, die Tretter am Donnerstagabend  beim Vogelsberger Gipfel-Kabaratt in der Aula der Sparkasse Oberhessen erlebten: bei mehr als zwei Stunden Bühnen-Satire.

Politisches Kabarett gibt es in Varianten zwischen derb humoristisch und arg politisierend. Der Wahl-Leipziger Mathias Tretter liegt mit seinem abendfüllenden Programm irgendwo zwischen den Polen: Weder haut er minutenlang mit der verbalen Axt in dieselbe Kerbe, noch lässt er seine Kritik moralinsauer vom Bühnenrand tropfen, dass das Publikum sichtbar zusammenschnurrt. Nein, der Tretter kommt ganz leicht daher, plaudert unterhaltsam aus dem Leben, lacht über sich, versprüht leicht Feingeistiges in alle Ecken eines Themas – um dann unvermittelt zuzutreten.

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„Die EU baut einen riesigen Zaun um Afrika.
Wir wissen, wie lange die Mauer die Ossis aufgehalten hat –
und die hatten weniger Leidensdruck!“

Mathias Tretter über Flüchtlinge

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Im Fall des Jahresrückblicks fürs Vogelsberger Gipfelkabarett, den die Sparkassen-Vertreterin Isabelle Dollinger zur Begrüßung in der Sparkassen-Aula nicht umsonst als besonders und eigenwillig ankündigte, rückte Tretter die Protagonisten des Jahres 2014 in den Vordergrund – die irgendwie überwiegend auch Spottziele der Jahre 2010 bis 2013 hätten sein können: Die Deutsche Bahn gehört dazu, die deutsche Bundeskanzlerin, und der Allgemeine Deutsche Automobilclub ADAC – letzterer ganz besonders. Dessen Verfehlungen reizt Mathias Tretter fast wie einen roten Faden bis in die Zugabe aus – bis nach 22.40 Uhr übrigens. Wer sich auf den 42-Jährigen einlässt, bleibt den ganzen Abend außer Haus, wundert sich aber am Ende, wo die Zeit abgeblieben ist.

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Der gestenreiche Tretter – unschwer zu raten, wer auf dem unteren Bild gemeint ist.

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Banker: „Paviane mit Egos so groß wie Luxemburg“

Da outet sich der Künstler etwas überraschend als Anhänger der Bahn – „aber ich verachte das Management!“– und erinnert mit einem verblüffenden Schluss an die Streikwelle der Lokführer, der die Bahn im größten Chaos mit dem Einsatz verbeamteter Kräfte begegnete: „Wer hätte gedacht, dass wir uns für besseren Service mal nach Beamten sehnen?“ Und da er einmal bei der Bahn ist, bekommen auch die Banker einen übergebraten, denen er am Freitagnachmittag in der ersten Klasse auf dem Heimweg aus den Bankentürmen begegnet: als Versammlung von Pavianen mit „Egos so groß wie Luxemburg“.

Wie hat der Tretter bloß die Überleitung hingekriegt vom Auftritt eines „halbsenilen“ Wolf Biermann im Deutschen Bundestag zu einer Feststellung wie dieser: „Meine Oma hat von Hitlers Autobahn so viel profitiert wie von den Fortschritten in der Prostata-Chirugie. Beides hat Opa besänftigt.“ Wirft Tretter so in die Runde, um sich dann Angela Merkel zuzuwenden mit der Festellung: „Deutschland ist immer noch geteilt! In Deutsche, die sich mit Merkel abgefunden haben, und Angela Merkel.“ Die Kanzlerin hält durch, lässt alle Kritik abperlen. Warum? Fragt Mathias Tretter und gibt die Antwort: „Merkel will unbedingt länger dran sein als ihr großer Übervater. Länger als die 16 Jahre von Erich Honecker!“ Autsch, der Tritt sitzt in der christdemokratischen Seele.

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Mathias Tretter: der „Sick Fritz the blood gobbliner Nazi“ aus Schottland.

„Eine Puderquaste wie Ronaldo“

Das Stadion als Libido-freie Zone, die Uschi als Verteidigungsministerin, der Bachmann als Hitler und Fußballer als Mode-Models, duimpfe Nazis: Tretter tritt in alle Richtungen. Kostprobe bei Betrachtungen zu gestylten Fußballstars: „Mit einer Puderquaste wie Ronaldo hätte der Horst Hrubesch früher die Pfosten gewienert!“

Ebenso sinnfrei aber ungemein humorig sind seine autobiografischen Schilderungen von studentischen Abenteuern im versoffenen Schottland – „Jahre her, und ich habe immer noch Restalkohol!“ – wo er die „Fucking German“-Aufnahmeprüfung bestand, indem er das Nationalgericht Haggis nicht nur klaglos aß, sondern noch Nachschlag verlangte. Die verblüfften Gastgeber hätten ihm darauf den Titel „Sick Fritz the blood gobbliner Nazi“ verliehen. Und das meinten sie auch noch anerkennend.

 

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