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Austausch über neue Medikamente der Blutverdünnung – Rheumatologin vorgestelltWunsch: Enge Zusammenarbeit mit Hausärzten

VOGELSBERGKREIS (kiri). Thrombose, Lungenembolie und Schlaganfall. Viele Menschen haben Angst davor. Mit Recht, meinen Mediziner, denn eine gestörte Blutgerinnung – die Hauptauslöser für diese Erkrankungen ist – sei ein schwieriges Feld. Erfahrungsaustausch hilft. Deshalb wählten die Ärzte des Alsfelder Kreiskrankenhauses auf der traditionellen November-Weiterbildung für niedergelassene Ärzte und Kliniker diesmal ein Thema, bei dem die Zusammenarbeit besonders gut ineinander greifen sollte: „Vorsorge und medikamentöse Therapie bei Thromben“.

Die Chefärzte Dr. Steffen Lancee, Dr. Reinhard Runkel und Dr. Arno Kneip sowie die Oberärzte Dr. Johannes Elsing und Dr. Jürgen Wilhelm übernahmen an diesem Tag die Referate zu dem vielfältigen Thema. Schon aufgrund der Referenten aus unterschiedlichen Fachbereichen wie Gefäßchirurgie, Kardiologie, Innerer Medizin, Orthopädie und Anästhesie wurde deutlich, dass eine fachübergreifende Behandlung von betroffenen Patienten oftmals notwendig ist.
Lancee, Chefarzt der Abteilung Allgemein-, Visceral- und Gefäßchirurgie, ging in seinem Vortrag auf die tiefen Venenthrombosen ein. Nachdem er zunächst den Ablauf einer Blutgerinnung ins Gedächtnis der Mediziner rief, nannte er die bevorzugten Stellen im oberflächlichen als auch im tiefen Venensystem des Menschen, an denen sich besonders häufig Thromben bilden. Er erläuterte die Kompressionssonographie, bei der verdächtige Venen unter Druck geschallt werden. „Wenn die Venen sich nicht zusammendrücken lassen, können Sie davon ausgehen, dass sich darin ein Gerinnsel befindet“, so der Mediziner.

Doppleruntersuchungen für Adern

Erweitern könne man dieses Diagnostikverfahren durch die Doppleruntersuchungen, die farblich den Durchfluss der Ader darstellen – oder eben nicht. Aufgrund beider Untersuchungen können man sich inzwischen meist eine zusätzliche Phlebographie – Röntgen mit Kontrastmittel – sparen. Aus Sicht des Gefäßchirurgen sei bei einer Venen-Thrombose immer eine medikamentöse Therapie und Kompression des jeweiligen Beines notwendig. Sofern die Patienten mobil sind, könne die Behandlung ambulant erfolgen. Nur bei Patienten, die immobil sind oder bereits offenen Beine haben, sei eine stationäre Behandlung ratsam.

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Die Veranstaltung stieß auf reges Interesse.

Zur Diskussion forderte Dr. Elsing die Mediziner auf – denn er, wie auch sein Kollege Lancee – rät entgegen den neuesten Forschungen zum prophylaktischen Tragen von Kompressionsstrümpfen, und zwar nicht nur bis zum Knie, sondern in bestimmten Fällen doch auch bis zur Leiste, wenn die Schmerzen und Schwellungen sich oberhalb der Wade befinden.
Thema des erfahrenen Oberarztes war die Therapie und Diagnostik von Lungenembolien. Die Zahlen, die er eingangs verlas, waren erschreckend: Die Prävalenz der Lungenembolie liegt bei etwa 200/100.000; 60 Prozent davon enden tödlich. 95 Prozent davon werden durch Thromben in den unteren Venen ausgelöst.
Elsing brachte die klassischen Symptome wie Schmerzen, Herzrasen, Temperatur oder Kollaps in Erinnerung, nannte die begünstigten Faktoren und stelle die Basisdiagnostik vor. „Nicht jeder Brustschmerz muss eine Lungenembolie sein, deshalb ist eine Differenzialdiagnostik unbedingt nötig!“, warnt er. Man müsse eine Embolie immer von Herzinfarkt und Pneumothorax unterscheiden. „Deuten allerdings alle Zeichen auf eine schwere Embolie hin, beginnen Sie sicherheitshalber – auch wenn Sie noch keine bildgebende Bestätigung durchs CT haben, jedoch eine Echokardiographie dafür spricht – mit einer Lysetherapie, denn sie haben oftmals nicht die Zeit, die Wege von der Praxis bis ins Krankenhaus oder sogar von Station bis zum CT abzuwarten. In der Zeit kann der Patient bereits sterben!“
Nach diesem Szenario übernahm Oberarzt Dr. Jürgen Wilhelm die Weiterbildung. Er konzentrierte sich auf die Schlaganfallprophylaxe und im Speziellen auf die medikamentöse Therapie bei Vorhofflimmern, von dem europaweit circa sechs Millionen Menschen betroffen sind, und dessen größte „Komplikation“ der Schlaganfall ist. Von jährlich rund 260.000 mit Schlaganfall erkrankten Deutschen, läge laut des Kardiologens bei gut 30 Prozent die Ursache im Vorhofflimmern.

Neue Medikamente zur Blutverdünnung

Inzwischen gäbe es einige neue Medikamente, die zur Blutverdünnung eingesetzt werden. Viele kämen an das seit Jahren verwendete Marcumar heran, hätten sogar auch weniger Nebenwirkungen. Allerdings sei jedes der neuen Medikamente anders zu dosieren und zu berechnen, was vor allem vor Operationen, Geburten oder Besuchen bei Zahnärzten beachtet werden muss.
Dieses war das Hauptanliegen des Ärztlichen Leiters und Chefarzte der Orthopädie und Unfallchirurgie des Alsfelder Kreiskrankenhauses, Dr. Arno Kneip. Er erläuterte die herausfordernde Situation der Chirurgen, wenn es darum geht, einen Patienten, der blutgerinnende oder blutverdünnenden Medikamente benötigt, zu operieren. „Bei Marcumar wussten wir genau, wann unsere Patienten das Medikament vor Operationen abzusetzen haben und wann sie wieder mit der Einnahme beginnen können“, erläutert der erfahrene Operateur. „Bei den neuen Medikamenten gibt es noch weniger Erfahrungswerte. Sie bleiben abhängig von der Nieren- und Leberfunktion unterschiedliche lange wirksam. Daher ist es für uns eine Herausforderung, den optimalen Zeitpunkt für eine OP festzulegen“, so Kneip. „Gerade bei einem Notfall ist die Abwägung frühzeitige Operationen unter erhöhtem Blutungsrisiko gegen das Abwarten – bis die Gerinnung wieder normalisiert – und dessen Folgen anspruchsvoll und nur interdisziplinär zu lösen. Die Zusammenarbeit zwischen einweisenden, niedergelassenen Ärzten und den Chirurgen wird immer bedeutsamer.“ Daher freute sich Kneip über das rege Interesse an der Fortbildung: „Hier wird die geforderte, sektorenübergreifende Versorgung sichtbar.“
Unabhängig von Medikamenten setzt die Thrombose-Prophylaxe der Chirurgen frühzeitig mit Mobilisierung ein. Kurz nach dem operativen Eingriff werden daher seine Patienten zum Anspannen der Wadenmuskulatur aufgefordert, was manche zwar als belastend empfinden, aber den Zweck habe, durch Bewegung das Blut wieder zum Normalfluss zu bringen und damit Risiken zu minimieren.
Ähnliche Herausforderungen schilderte auch Chefarzt Dr. Reinhard Runkel als Anästhesist – gerade wenn Patienten eine Vollnarkose ablehnen und gerne eine regionale Anästhesie hätten. „In diesen Fällen muss das Risiko abgewogen werden, denn wenn der Patient blutverdünnende Medikamente genommen hat, ist das Risiko eines schnellen Blutergusses an bzw. in der Wirbelsäule hoch. Die Folge können neurologische Schäden sein, da die Hämatome auf die Nerven drücken können.“ Auch er bat seine niedergelassenen Kollegen deshalb um enge Zusammenarbeit und auch Aufklärung.
Der letzte Redebeitrag bei der vierstündigen Fortbildung oblag Dr. Elvira Decker.

Vorgestellt: Dr. Elvira Decker

Die 42-jährige Medizinerin nutzte die Gelegenheit und stellte sich sowohl den Klink- als auch den niedergelassenen Ärzten als Rheumatologin vor. Sie wird im Januar 2015 eine Rheumatologische Praxis im Medizinischen Versorgungszentrum Alsfeld (MVZ) neben dem Kreiskrankenhaus eröffnen und eng mit Haus- und Fachärzten zusammenarbeiten. Decker gab einen kurzen Überblick über ihr Fachgebiet, in dem sie 400 fest definierte und unzählige Mischformen von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen behandelt. „Früher galt man mit Rheuma als berufsunfähig und es wurde einem ein kurzes Leben vorausgesagt“, so die Internistin, die von den Kerckhoff-Kliniken aus Bad Nauheim nach Alsfeld wechselt. „Heute kann man aufgrund der guten Diagnostik und Therapien ein normales Leben leben, arbeitsfähig und mit normaler Lebenserwartung.“
Frühzeitig diagnostiziert und rechtzeitig behandelt, wären manche Erkrankungen bereits nach fünf Jahren nicht mehr auffindbar. „Mir selbst ist es schon passiert, dass ich gezweifelt habe, ob ein Patient überhaupt Rheuma hatte – weil der Befund nach einigen Jahren intensiver Therapie normal war“, motiviert die engagierte Medizinerin die Kollegen, in solchen komplexen Fällen nicht aufzugeben. Ihr war es wichtig, an diesem Abend auf die gemeinsame Betreuung verschiedenen Fachrichtungen – von Orthopädie über Kardiologie, Pulmologie, Urologie und Nephrologie bis hin zur Gynäkologie – hinzuweisen und die Hausärzte zu bitten, in solchen Fällen „federführende Manager“ zu sein.

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