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Kanzelgespräch in der Lauterbacher Stadtkirche mit dem SPD-Mann Dirk KurzawaAn der Kanzel kamen Kirche und Politik sich näher

LAUTERBACH (lrn). Soweit scheinen Kirche und Politik gar nicht auseinander zu sein: beim sogenannten Kanzelgespräch in der evangelischen Stadtkirche Lauterbach im Rahmen eines Gottesdienstes kamen Pfarrerin Karin Klaffehn und Weinhändler und SPD-Bürgermeisterkandidat Dirk Kurzawa eigentlich zu meist einvernehmlichen Schlussfolgerungen.

Kurzawa hatte bereits am Morgen bei einem Gottesdienst in Heblos Rede und Antwort gestanden und ist nach Bernhard Wöll und Dr. Joachim Pinterowitsch der dritte Nicht-Theologe gewesen, der sich in dieser Reihe in einem Art Frage- und Antwort-Spiel zu theologischen und gesellschaftlichen Fragestellungen geäußert hat. Nächster Gast ist am 2. November ebenfalls um 10 Uhr in Heblos und um 17 Uhr in der Stadtkirche Bürgermeister Rainer-Hans Vollmöller, der sich dann mit Pfarrer Sven Kießling von dem Altar unterhalten will.

Der 48jährige katholische Westfale, gelernter Augenoptiker und studierter Wirtschaftswissenschaftler, so Dieter Schubert einleitend, betreibt seit 2009 das Lauterbacher Weinkontor, sieht in dem Komplex „Kirche und Welt, Glaube und Politik sowie Wirtschaft und Moral“ gar so keine großen Gegensätze. „Die vermeintlichen Gegensätze sind gar nicht so groß“, meinte der Lokalpolitiker, der in allem ein „ineinander Gefüge“ sah und sich nach einigem Überlegen als Bibelstelle das Neue Testament ausgesucht hatte, wo Jesus die Händler aus dem Tempel jagte.

Selbst die vielleicht etwas provokative Frage, ob er denn nicht auch gerne am Sonntag seinen Wein verkaufe, beantworte Kurzawa gelassen mit dem Hinweis auf das „Ritual des Feiertags“ und die Belastung der an Sonn- und Feiertagen Arbeitenden möglichst gering zu halten. Der SPD-Politiker verwies auf den Einfluss des Glaubens in der Gesetzgebung, worin er damit auch die christlichen Grundwerte verankert sieht. „Es gibt kein Gesetz, das gegen die zehn Gebote verstößt“.

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Carmen Zaha vom Kirchenvorstand belohnte die Diskussionsfreudigkeit des Lokalpolitikers mit einem Körbchen Bier.

 

Auch im Hinblick auf eine stärkere Trennung von Kirche und Politik forderte der Lauterbacher Geschäftsmann eine gewisse Unabhängigkeit beider Seiten, „doch eine komplexe Trennung ist nicht möglich“. Auf die Verzahnung von christlichem Kulturgut in der Politik angesprochen, entgegnete Kurzawa, dass dies in der Gesetzgebung sehr deutlich werde, etwa im Verbot des Tötens, Stehlens oder im Heiligen von Sonn- und Feiertagen. Die Vertreibung der Händler aus dem Tempel durch Jesus – seine von ihm ausgewählte Bibelstelle im Neuen Testament – (Karin Klaffehn: „Die Händler kommen dabei nicht sonderlich gut weg“) entgegnete ihr Gegenüber, dass er das „spannend und interessant“ finde, dass das Gotteshaus als solches habe erhalten werden sollen, und damit eine Rückbesinnung auf wesentliche Werte erfolge, „somit erfolgt keine Verwischung“. Karin Klaffehn machte deutlich, dass zu Jesus Zeiten der Tempel mehr als ein Zentrum des Glaubens gewesen sei, sondern auch ein Zentrum von Wirtschaft und Politik, denn die Hohen Priester seien auch Politiker und der Tempel ein finanzielles Zentrum gewesen.

Dort sei auch der Umtausch in Tempelgeld erfolgt, womit dann Tiere zum Opfer für Gott gekauft worden seien. Auf das etwas „aggressive Verhalten“ von Jesus bei der Vertreibung der Händler angesprochen, erwiderte Kurzawa, dass in gewissen Situationen einer gewisse Vehemenz notwendig sei, um Missstände zu verdeutlichen. Man solle sich nicht immer nur den freundlichen Jesus als Vorbild nehmen, so die Theologin, „denn Jesus wollte damit was deutlich machen“. Darauf Kurzawa: „Es war Gottes Sohn und wollte, dass der Tempel nicht zur Räuberhöhle avanciere“. Der Rauswurf habe eine große Wirkung gehabt, meinte Karin Klaffehn, „Jesus wurde Stein des Anstoßes für die Hohenpriester, die ihm von da an nach dem Leben trachteten, weil er ihren Staus quo in Frage stellte“. Der Glaube müsse nachhaltige Wirkung in die Gesellschaft haben, verdeutliche sie eindrücklich. Ihr Kanzelgast forderte dazu auf, „nicht den Status quo“ hinzunehmen, sondern das Wertesystem stets zu hinterfragen, wie könnten Dinge von innen heraus in allen Bereichen verändert werden.

Auf die künftige Rolle der Kirche in der Gesellschaft angesprochen, meinte Dirk Kurzawa, die Kirche habe in der Zukunft nur dann eine Perspektive, wenn sie auch Gedanken denke, „die nicht so gefällig sind“. In den Austrittswellen aus Kirchen und Parteien sieht der SPD-Politiker durchaus Parallelen: die Menschen sollte dort abgeholt werden, „wo sie stehen“, Parteien und Kirchen sollten ihnen nicht nach dem Mund reden, sondern deutliche Gedanken fassen. Auf den Hinweis der Pfarrerin, es sei ein schmaler Grat als „vorausschauende Mahnende“ und „der moralische Zeigefinger steht uns nicht so gut an“, entgegnete der Gast, „jeder solle den Propheten in sich wecken“.

Die Diskussionsbereitschaft in der Stadtkirche belohnte Carmen Zaha vom Kirchenvorstand mit einem Körbchen Bier an den sehr ruhig und besonnen antwortenden Dirk Kurzawa, über das er sich als Weinhändler sehr freute und bedankte. Die Liturgie des Gottesdienstes oblag Pfarrerin Karin Klaffehn.

 

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