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Emotionale Lesung „Die Flucht in eine fremde Heimat“Junge Flüchtlinge teilen bewegende Geschichten in Gemünden

NIEDER-GEMÜNDEN (ol). Im Rahmen einer Lesung in Nieder-Gemünden teilten Schüler der Clemens-Brentano-Europaschule ihre persönlichen Fluchtgeschichten. Unter Anleitung ihrer Lehrerin Sultana Barakzai wurden bewegende Berichte von Flüchtlingen aus Afghanistan, Irak, Iran, Republik Moldau, Syrien und der Ukraine präsentiert.

Unter dem Motto: „Was ist Heimat und was bedeutet sie für mich persönlich“, hatte die Flüchtlingsinitiative Gemünden laut einer Pressemitteilung kürzlich zu einer Lesung in die evangelische Kirche in Nieder-Gemünden eingeladen.

Zusammen mit ihrer Lehrerin Sultana Barakzai haben sich Schülerinnen und Schüler aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache der Clemens-Brentano-Europaschule in Lollar mit diesen Fragen befasst und im Zuge dessen ihre eigenen Fluchtgeschichten aufgeschrieben. Der Band versammelt sieben Beiträge von jungen Menschen aus Afghanistan, Irak, Iran, der Republik Moldau, Syrien und der Ukraine. Entstanden sind berührende Erzählungen, über einen schwierigen zurückliegenden Weg mit langsamem Anknüpfen an eine neue Sprache, an neue Menschen, an ein neues Leben.

Nachdem er von diesem besonderen Buch in der Hessenschau gehört habe, so der Sprecher der Flüchtlingsinitiative Rainer Lindner in seiner Begrüßung zur Lesung, habe er Verbindung mit der Clemens-Brentano-Europaschule und Lehrerin Sultana Barakzai zwecks einer Lesung in Gemünden aufgenommen. Und jetzt, sechs Wochen später seien nun mit Hania Shojaee, aus Afghanistan, Oleksandr Suiarko und Kateryna Klymenko aus der Ukraine sowie Ros Ibrahim, aus Syrien, vier der jungen Autorinnen und Autoren mit ihrer Lehrerin und Herausgeberin des Buches Sultana Barakzai nach Nieder-Gemünden gekommen, um ihre Geschichten über die Flucht zu erzählen.

Sie freue sich sehr und sei begeistert und beeindruckt, so Sultana Barakzai, dass so viele Gäste zu der für sie und die jungen Autorinnen und Autoren vielbedeutenden Lesung nach Nieder-Gemünden gekommen seien, um die Geschichten aus „einem ganz besonders wichtigen Buch“, wie sie es nannte, vorzustellen. Die Geschichten „Flucht in eine neue Heimat“, seien Geschichten von jungen Menschen, die ihre geliebte Heimat auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben verlassen mussten. Die persönlichen Geschichten, so Sultana Barakzai, seien bewegend, voller Mut und Entschlossenheit, erzählten aber auch von Verlust und einem Neuanfang, von Herausforderungen und der Suche nach einer neuen Heimat. Sie hoffe, dass das Buch dazu beitrage, solche Geschichten zu teilen und Verständnis zu wecken, für all diejenigen, die sich in der Fremde eine neue Heimat aufbauen. Denn gerade in den Zeiten von Konflikten und weltweiten Kriegen, die ja oftmals auch die Menschen als Gesellschaft spalten und überfordern, sei es wichtiger denn je, das zu erhalten was die Menschen verbinde.

Sultana Barakzai appellierte: „Lassen Sie uns als Gesellschaft zusammenstehen und Solidarität zeigen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass Menschen und insbesondere junge Menschen von Kriegen, Verfolgung und Not verschont bleiben und bei uns auf offene Herzen und eine unterstützende Gemeinschaft treffen. Lassen Sie uns gemeinsam an einer Zukunft arbeiten, in der jeder Mensch, unabhängig von Herkunft, Heimat findet.“ Denn alle seien ein Teil der globalen Gemeinschaft und sollten Verantwortung dafür tragen und sich für eine gerechtere, mitfühlende Welt einsetzen. Sie unterstütze als Lehrerin Schülerinnen und Schüler, die seit kurzer Zeit in Deutschland leben beim Erlernen der Sprache und vor allem auch der Integration in Schule und Gesellschaft. Dabei sei es bedeutungsvoll sich mit der neuen Heimat zu beschäftigen aber auch über die alte Heimat sprechen zu dürfen.

Da mit dem Erzählen von Geschichten über ihre Heimat und die Kultur den Schülerinnen und Schülern eine Möglichkeit geboten werde, ihre Identität zu bewahren, habe man sich nach intensiver Beschäftigung im Unterricht mit dem Thema „Was ist eigentlich Heimat und was bedeutet Heimat für mich persönlich“, für das Buchprojekt entschieden.

So war es anschließend zunächst Ros Ibrahim, die über die Gründe der Flucht mit ihrer Familie aus Syrien berichtete. „Zuerst hatte ich ein normales und glückliches Leben in Syrien, aber der Krieg begann und das Geräusch von Bomben kam von überallher“, sie habe gezittert und Angst gehabt, weil sie doch viel zu jung war, um einen Krieg zu sehen und Geräusche von Bomben zu hören. „Kein Mensch oder Kind verdient es, diese Angst zu erleben“, sagt sie. „Ich hoffte, dass das Ganze nur ein Alptraum wäre, doch es war leider Realität.“  Ihrem Vater sei dann klar gewesen, dass die Familie, um zu überleben, aus Syrien flüchten müsse. Leider habe der Vater sich nicht weiter darum kümmern können, da er an Corona gestorben sei. Mit Hilfe eines Onkels gelang dann schließlich die Flucht über die Türkei nach Deutschland und sie sagt: „Ich war traurig, denn ich wollte meine Heimat, meine Stadt, meine Schule, meine Freunde und mein Haus nicht verlassen.“ Als sie nach tagelanger Fahrt in einem mit mehreren Familien besetzten Lkw sehr erschöpft in Deutschland angekommen sei, habe sie realisiert, dass nun ein neues Leben anfange. Auch, wenn es immer noch ein bisschen schwierig sei, sich an eine neue Sprache, neue Leute und eine neue Umgebung zu gewöhnen, sei sie froh in Deutschland in Sicherheit leben zu können. Aber auch wenn sie ihr neues Leben liebe, vermisse sie ihre Heimat.

„Ich bin Afghanin, aber im Iran geboren“, beginnt Hania Shojaee die Schilderung über ihre abenteuerliche Flucht in die Freiheit. Ihre Eltern hatten schon vor ihrer Geburt Afghanistan verlassen müssen und waren in den Iran geflüchtet, wo die Familie neun Jahre „mit viel Angst“, wie sie es beschreibt, lebte. Hania schildert ihre über mehrere Jahre andauernde Flucht, mit dem vergeblichen Versuch in der Türkei unterzukommen, Verstecken in den Bergen und schließlich der weiteren Flucht mit 40 Menschen in einem eigentlich nur für sechs bis sieben Personen gedachten Boot, bis sie endlich nach einigen Stunden auf dem Meer von der griechischen Polizei aufgenommen und später unter schwierigen  Bedingungen in verschiedenen Camps leben mussten, bis sie nach drei Jahren endlich Ausweise bekamen und nach Deutschland reisen konnten. „Seit dem 12. September 2022 lebe ich mit meiner Familie in einer Wohnung in Lollar. Ich bin so glücklich, alles liegt hinter mir. Wir sind jetzt in Sicherheit“, sagt sie und ergänzt: „Das ist meine Geschichte, das ist mein Leben! Sei niemals schwach im Leben, tu was du willst, du schaffst das!“

„Eigentlich wollte ich alles vergessen, doch dann habe ich mich entschieden alles aufzuschreiben und wenn ich bei den Lesungen spüre, wie die Menschen Anteil nehmen, dann tut mir das gut und hilft mir“, antwortet Kateryna Klymenko, die ebenso wie Oleksandr Suiarko vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten musste, auf die Frage, wie sie die Lesungen empfinde.

Beide schildern den Beginn des Krieges im Februar 2022 mit den Bombeneinschlägen. „Mutter sagte, der Krieg hat begonnen. Russland hat uns angegriffen“, erinnert sich Kateryna, die aus Nikopol stammt, gegenüber einem Kernkraftwerk gelegen, das von den Russen gleich zu Beginn des Krieges besetzt wurde. Häuser, Krankenhäuser, ganze Städte brannten, erinnert sie sich.  „Diese Panik werde ich nie vergessen, das Gefühl, dass man sich jetzt von allem verabschieden muss, dass man gleich sterben könnte“, sagt sie. So lebte sie mit ihrer Familie ein paar Wochen in ständiger Angst, bis man sich entschied zu gehen und sie kommentiert dies mit „ich wollte nicht. Es tut weh. Ich kann nicht beschreiben, wie schmerzhaft es war, sich von meinem Vater und meinen Freunden zu verabschieden. Ich nahm nur einen Koffer mit dem Nötigsten mit. So viele Dinge, die der Seele wichtig sind, sind zu Hause geblieben.“ Ihr ist es heute wichtig, dass die Menschen verstehen, dass der Krieg in der Ukraine noch nicht vorbei ist und, dass Ukrainer nicht wegen eines Urlaubs, oder einfach kommen, weil sie nach Deutschland wollen, sondern „Ukrainische Frauen und Kinder kommen hierher, um ihr Leben zu retten, während ihre Männer um ihr Zuhause kämpfen.“

Ähnlich schildert Oleksandr, genannt Sasha, seine Erlebnisse von den ersten Kriegstagen als die Bomben einschlugen in der Ukraine. „In diesem Moment war mir entweder kalt oder heiß, mir war übel und mein Körper zitterte sehr. Ich hatte sogar das Gefühl, dass meine Seele zitterte“, beschreibt er die schrecklichen Erlebnisse, als 15-Jähriger Krieg erleben zu müssen. Auch er kam über Polen nach Deutschland und schildert, wie beeindruckt er von der guten Architektur und Infrastruktur in Deutschland war. „Jetzt gehe ich auf eine deutsche Schule und es gefällt mir hier sehr gut. Es ist eine neue, schöne, moderne Schule und ich habe viele Freunde.“

Zwischendurch las Gisela Puschmann das von ihr verfasse Gedicht „Lass mich ein Stück des Weges mit dir gehen“, welches sie insbesondere den jungen Menschen widme, wie sie sagte, die so tapfer die Flucht überstanden haben.

Er hoffe, so Rainer Lindner, dass das Verständnis der Menschen für Flüchtlinge durch die Geschichten der Jugendlichen gestärkt werde und wünschte dem jungen Autorenteam noch viele Gelegenheiten ihr besonderes Buch vorzustellen.

Gleichzeitig machte Lindner darauf aufmerksam, dass das Aktionsbündnis „Gemünden bleibt bunt“, der Flüchtlingsinitiative, der evangelischen Katharinengemeinde Gemünden, des Kirchenvorstandes Rülfenrod, der SPD Gemünden/Felda, des TSV Burg-Nieder-Gemünden sowie des VdK-Ortsverbandes Gemünden Felda, weiter mache.
Geplant seien weitere Veranstaltungen, Aktionen und Treffen auch gemeinsam mit „Mücke bleibt bunt“.

Foto: Flüchtlingsinitiative Gemünden

Ein Gedanke zu “Junge Flüchtlinge teilen bewegende Geschichten in Gemünden

  1. Als Kind habe diese Geschichten immer gehört, die Dörfer waren voll von Flüchtlingen. Die Menschen in der Haubtsache ,Frauen ,Kinder und alte sowie in der Regel Arme .Im Krieg gibt keine bösen und gute , nichts rechtfertig einen Krieg . Auch die für die Freiheit Sterben,Sterben , alle Menschen haben einen Schaden ihr Leben lang die im Krieg waren.

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