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Kolumne "Rike's Report" am Sonntag: Sexismus, Alkohol, Witzlosigkeit - Wer zollt der Tradition an Fasching Respekt?Narri, Narro, Karneval – Bekenntnis zur Humorlosigkeit?

Frühling, Sommer, Herbst und Winter – und: Fasching. Bei manchen geliebt von vermutlich ebenso vielen gehasst. Doch egal ob Anhänger, Mitläufer oder Vollblut-Jeck, an keinem geht die fünfte Jahreszeit spurlos vorbei. Denn selbst wenn man sich der Horde nicht aus Überzeugung anschließt: Ein kleiner Faschingskreppel hier, eine Mütze voll bunter Kamellen da. Ein paar zerbrochene Bierflaschen am frühen Morgen, Lärmbelästigung à la „Drei Tage wach“ bis spät in die Nacht. Helau und Alaaf – flieht, ihr Narren!

Es war einst vor vielen Jahren: eine Gesellschaft, die das Erwachen von Natur und Frühling feierte. Die von Mesopotamien über Ägypten bis hin zu Kelten und Germanen die Götter ehrte. Die vor der sechswöchigen Fastenzeit noch einmal so richtig auf den Putz haute. Kommt Ihnen bekannt vor? Mir auch. Bis auf das Fasten. Oder kennen Sie viele Karnevalisten, welche ab Aschermittwoch die Schokolade und den Alkohol im Schrank stehen lassen? Welche Ihnen sagen können, was es eigentlich mit der Zeit der Narren auf sich hat? Ich nicht.

Ganz anders früher: Denn da war die fünfte Jahreszeit für viele noch ein Symbol für das Gleichheitsprinzip. Nach Neujahr konnte jeder Mithilfe von Masken und Kostümen eine Zeit lang sein, wer er wollte. Im Mittelalter kam schließlich der Witz dazu: Parodien über den Klerus und Verhöhnung der Machthaber. Der Fasching hatte eine Bedeutung, ein Sinnbild: Er war für einen bestimmten Zweck ins Leben gerufen, ja erfunden worden – man zollte der Tradition Respekt.

So manches hat sich bis heute durchgesetzt: Rio, Venedig, Québec, um nur wenige Karnevalhochburgen zu nennen, ziehen jedes Jahr aufs Neue Besucher von nah und fern zu sich. Berauschende Feste, malerische Kostüme, der Kunst scheint in diesem Sinne keine Grenzen gesetzt zu sein. So auch in Deutschland: Brennende Strohpupppen am Aschermittwoch, mit Freude und Gefühl gestaltete Festwagen und ein Engagement seitens der Menschen, das man sich an anderer Stelle nur wünschen kann. Wer „voll drin“ ist im Geschehen, der trifft hier immer wieder auf die Liebe zum Detail, auf Stimmung und jede Menge Spaß. Oder?

Wie so oft im Leben, fällt Schwarzmalern wie mir auch beim Thema Fastnacht ein großes ABER ein. Beginnen wir mir dem Offensichtlichen: dem Witz. Der Kleinkünstler Christian Felsner sagte Ende der 80er: „Karneval ist das aus tiefem Herzen kommende Bekenntnis des Deutschen zur Humorlosigkeit.“ Leider hatte der junge Mann recht. Der Narre aus weiter Ferne ruft nun: „Nicht immer alle über einen Kamm scheren!“ Nein, das geht natürlich nicht. Deshalb: Leider hatte der junge Mann, was manche Menschen betrifft, recht. Denn wer in das eine oder andere Gemeindehaus rein schaut, wer bei so mancher Festlichkeit Mäuschen spielt, der wird wahrlich enttäuscht sein: Derbe Sprüche unter der Gürtellinie, witzlose Späße um den Raum mit Worten zu füllen. Und sie da: ein Tusch als Antwort, gemeinschaftliches Schunkeln, gehaltloses Gelächter, hier und da ein wenig Fremdscham – je frivoler, desto mehr Zustimmung. Wohin sind die gut durchdachten Sketche? Die charmanten Witze auf Kosten des Bürgermeisters? Das politische Fünkchen Wahrheit in dem Meer von profanem und schmierigem Gerede?

Die Substanzlosigkeit nimmt wie so oft mit steigendem Fuselpegel zu. Es wäre nicht verwunderlich, wenn so mancher Notarzt und Ordnungshüter nach Aschermittwoch eine Handvoll rote Kreuze in seinem Kalender machen würde: Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen und Kindern, daraus resultierender Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen. Zu leugnen ist ein Zusammenhang nicht. Stellt sich die Frage: Ist das der Geist der Fastnacht? Ungeachtet seiner Mitmenschen, zechend die Nacht zum Tag zu machen?

Vermutlich nicht. Aber noch wahrscheinlicher: Die wenigsten interessiert es. Denn wie heißt es so schön: Was in Las Vegas passiert, bleibt in Las Vegas. Bedeutet das dann auch: Was an Karneval passiert, bleibt an Karneval? Beobachtet man so manches Exemplar der Gattung Mensch, kommt die Vermutung auf, dass es viele genauso halten. Die Freundin zuhause wird in die Vergessenheit verschoben, der Verlobte für einen Abend auf die Ersatzbank geschickt. Da kann es schon mal vorkommen, dass Herr Hase den anwesenden Damen seine Möhre feilbietet. Oder die sexy (!) Kuh vom Tisch nebenan, Asterix und Obelix an ihrem Euter nuckeln lässt.

Ist es das, was sich so viele wünschen? Eine Nacht lang alle Hemmungen fallen lassen und der sonst so geschickt aufgebauten Fassade ein Schnippchen schlagen? Denn an Fastnacht, so scheint es, ist für viele alles erlaubt. Was sonst von der Gesellschaft das restliche Jahr über verpönt ist nun alltäglicher Standard. Über Bord geworfen sind Normen und Werte, ist das gut einstudierte Spießbürgertum. All die geheimen Wünsche: Statt des schüchternen Bankangestellten einen Abend lang Maverick sein. Statt der prüden Hausfrau endlich einmal, als sexy Krankenschwester die Hüllen fallen lassen. Doch ist es wirklich das wahre Gesicht, das man zeigt – oder ist es vielmehr die Möglichkeit, aus der eigenen Haut zu schlüpfen, den tristen und reizlosen Alltag für ein paar Stunden zu vergessen? Eine Parade der Aussichtslosigkeit?

Der deutsche Aphoristiker Erhard Bellermann sagte einst: „Wenn kein Fasching wär´, wäre mancher immer nur irgendwer.“ Diese Erkenntnis ist leider auch noch nach achtzig Jahren mehr Sein als Schein. Und dennoch wird so manches dieser Worte wohl nur auf taube Ohren stoßen. Aber: Es geht nicht darum, den Fasching und seine Narren zu verteufeln.

Es geht vielmehr darum: Was bedeutet Fasching für uns? Ist es eine Lebenseinstellung, ein Brauch? Doch wenn wir darauf pochen, dass die Fastnacht eine zu wahrende Tradition ist: Sollten wir uns dann nicht auch Gedanken über das Woher machen, über die Ursprünge, über die Fundamente dieser Feierlichkeit? Und wenn wir jedes Jahr aufs Neue den Elferrat preisen, die Bütten mit Gelächter huldigen und jeden Tusch mit Schunkeln glorifizieren – sollten wir dann nicht auch darauf bedacht sein, uns entsprechend zu verhalten und ein wenig mehr Niveau, Anstand und Salonfähigkeit unter das Karnevalsgeschehen mischen? Die Frage, die ich mit auf den Weg geben möchte, ist: Hat die Tradition nicht mehr verdient?

Alaaf und Helau!

Ihre Rike

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