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Zu wenig Frauen in der Kommunalpolitik: Romrods Bürgermeisterin Dr. Birgit Richtberg und die Alsfelder Kommunalpolitikerin Kerstin Dietrich über GründeSind es die Inhalte, braucht es die Quote?

VOGELSBERGKREIS (aep). Die Kommunalwahlen stehen vor der Tür, und sicher ist schon: Die weibliche Hälfte unserer Gesellschaft wird in den Parlamenten unterrepräsentiert sein. Das, obwohl politische Parteien heute schon aus Personalmangel verstärkt auf die Frauen setzen – oder ohnehin seit vielen Jahren eine Quotenregelung haben. Kerstin Dietrich und Dr. Birgit Richtberg, zwei seit vielen Jahren politisch aktive Frauen äußern sich über Ursachen und mögliche Lösungen. Die Gespräche zur Reportage:

 

Romrods Bürgermeisterin Dr. Birgit Richtberg kann mittlerweile auf eine zwölfjährige Amtszeit zurückgreifen – und auf eine Reihe von Neuerungen in der Stadt: das Mehrgenerationenhaus zum Beispiel oder die Sanierung der Synagoge, das Museum. as Bürgerhaus und das Schloss als Tagungsort waren schon da, als sie kam, aber Birgit Richtberg kam mit einem Anspruch, den sie formuliert mit: „Ich möchte Sinn stiften. Ich möchte fertig Gebautes mit Inhalt füllen.“

Das ist der 52-Jährigen, die der CDU nahe steht, in vielen Fällen auch gelungen, und sie ist bekannt für einen offenen Politikstil ohne Alleingänge – einen weiblichen? Sie selbst erklärt sich jedenfalls so: „Ich habe immer versucht, Menschen zu finden, die mitmachen.“ Im Gespräch mit OL-Redakteur Axel Pries erklärt sie aus ihrer Sicht, warum so wenig Frauen in Parlamenten zu finden sind – und ob mit ihnen eine andere Politik denkbar wäre.

Auch die Lebensphase bestimmt das Interesse

Frau Richtberg, Sie sind seit zwölf Jahren als Bürgermeisterin im Amt. Sehen Sie Unterschiede bei Ihren Schwerpunkten im Vergleich zu männlichen Kollegen?

Ich denke schon. Denn wenn ich mal die zwölf Jahre so Revue passieren lasse, dann habe ich selten „ich“ gesagt, sondern eher „Wir. Ich habe schon immer stärker, Zusammenarbeit gesucht, also ein Team unter den Kollegen wie auch in den Gremien. ch habe immer versucht, Menschen zu gewinnen, die Mitmachen.

Gab es denn im Umgang mit Ihren männlichen Kollegen einen, bei dem Sie dachten: „Du Gockel“?

Es wäre jetzt gemein, Namen zu nennen, nein Spaß beiseite, und ich schätze alle meine Kollegen sehr. Wenn man sich aber mal in die Verhaltenspsychologie begibt, dann bemerkt man unter männlichen Kollegen schon einige Verhaltensweisen, die eine Frau nie an den Tag legen würde. Das fängt schon an beim Betreten eines Raumes für eine Sitzung. Männer positionieren dann erst einmal demonstrativ ihre Taschen bzw. Arbeitsunterlagen auf dem Tisch und markieren damit ihren Platz. Das ist eine typisch männliche Verhaltensweise, und so ist das auch häufig mit Inhalten.

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Wie sieht es aus in den Parlamenten? Reportage und Interview

Zu diesen Interviews gibt es eine Reportage, die die Lage in Vogelsberger und hessischen Parlamenten aufzeigt und nach Ursachen sucht – auch in einem weiteren Gespräch noch mit der Grünen-Landtagsabgeordneten Eva Goldbach. Sie nennt eine grundlegende Änderung des Politikansatzes für eine Lösung, mehr Frauen in die Parlamente zu bekommen.

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Apropos Inhalte. Ich hatte schon früh den Eindruck, dass Sie den einen oder anderen Inhalt anders angehen als männlichen Kollegen, auch als Ihr Vorgänger noch. Es kamen bei Ihnen mehr Sozialthemen auf den Tisch. In Stadtverordnetenversammlungen wurde über den Alltag in Kindertagesstätten gesprochen – haben Sie den Eindruck, dass Sie das tatsächlich unterscheidet?

Das unterscheidet mich sicherlich, weil ich mich persönlich sehr für Menschen interessiere. Ich glaube an Menschen und an das, was sie können und wollen. Andererseits hat jeder Bürgermeister bestimmte Schwerpunkte. Ich bin hier in Romrod ins Amt gekommen, und es war ganz viel gebaut worden: ein tolles Bürgerhaus war gebaut worden, die Synagoge ist saniert worden, das Museum stand da zunächst als umgebaute Scheune und wollte zum Kulturzentrum werden – all diese Dinge sollten mit Leben gefüllt werden. Es macht ja keinen Sinn, Gebäude zu bauen, wenn sie keinen Sinn stiften. Außerdem durfte es sich für uns als kleine Kommune auch nicht zum dauerhaften Kostenfaktor entwickeln. Es mussten neue Konzepte gefunden werden und das gelang nur, weil es Menschen gab, die bereit waren, sich ehrenamtlich zu engagieren,

Sehen Sie denn diese Sichtweise als eine Richtberg’sche Richtung oder glauben Sie, dass es eine andere Politik geben würde, gäbe es mehr weibliche Bürgermeister?

Ich persönlich habe schon eine Affinität zu gewissen Themen, ohne zu wissen, ob das typisch weiblich ist. Themen, die Sinn stiften, die das tägliche Leben der Menschen beeinflussen, die interessieren mich, die treiben mich um. Das ist aber auch auf Resonanz gestoßen, das hat den Leuten gefallen. Ich denke schon, dass Frauen aus ihrem Sozialverhalten heraus Wesen sind, die stärker teamorientiert sind als Männer es sind. Das liegt ein Stück weit in ihrer Natur, aber auch in der Sozialisation – und deshalb muss man Frauen besonders ermutigen, mit zu machen in der Politik. Sonst fehlt eben die weibliche Seite der Politik. Und das ist sehr schade.

Ja, bei den anstehenden Kommunalwahlen sind wieder nur eher wenige Frauen dabei. Warum?

Es gibt unterschiedliche Gründe. Es ist immer auch eine Frage der Lebensphase. Die meisten Leute interessieren sich erst für Politik, wenn sie eine Familie gegründet haben – nur wenige gehen vorher schon als Singles in die Politik. Wenn man eine Familie hat, geht es dann um die Frage: Wie teilt man sich das auf: Familie, Politik? Sind Kinder da, sind es die Abendstunden, die entweder für Politik oder aber für das Familienleben investiert werden. Politik statt Familie?. Kann man das? Will man das? Lohnt sich das? Und beim Wollen ist immer das Negativ-Image dabei, das die Politik immer noch hat. Es scheint immer noch so, als ginge es im Parlament darum, sich zu zanken und nicht in erster Linie darum, konstruktiv als Team für den Ort tätig zu sein.

Der Wettbewerb der Meinungen in der Politik: Der reizt Frauen nicht?

Das ist genau der Punkt: Es geht nicht um den Wettbewerb bei den Frauen. Frauen kommen nur in die Politik, wenn sie das Gefühl haben, sie können oder müssten was bewegen, aber nicht um sich einem Wettbewerb auszusetzen.

Sind denn auch die Inhalte abschreckend? Der Alltag der Politik ist ja alles andere als schillernd. Es geht viel um Anträge, um Fördermittel, ums Bauen: Schreckt das ab?

Das kann sicherlich so sein. Es herrscht ja immer noch die Meinung vor, dass Frauen sich für Physik und Bauen nicht interessieren. Ich glaube, es interessiert sie schon – wenn man die pure Physik auf die Zusammenhänge des täglichen Lebens überträgt. Ich kann ein Projekt nicht nur in Zahlen darstellen, sondern ich muss immer sagen, was es für die Menschen bedeutet. Egal, ob es um den Kindergarten geht oder um unser Projekt Leben und Wohnen im Alter oder aber um die Kanalsanierung geht

Kommunalpolitik ist doch eigentlich etwas sehr Elementares für uns – etwas, das vor unserer Tür stattfindet. Ob die Straße aufgegraben wird, ob der Kanal da reingelegt wird und wir Wasser haben oder eben, wie unsere Kinderbetreuung aussieht: Das wird weniger in Berlin entschieden als hier. Solche Themen vor Ort: müssten die nicht auch Frauen – und nicht nur Frauen – stärker interessieren?

Ich glaube, das würde Frauen mehr interessieren, wenn Frauen das Gefühl hätten, sie könnten etwas beeinflussen. Und daran hängt es so ein bisschen. Häufig sind Politiker die Überbringer der schlechten Nachrichten oder sogar die, die sie beschließen müssen, etwa wenn das Wasser teurer wird. Aber die Frage ist, was kann man denn noch positiv bewegen? Häufig engagieren sich Menschen – nicht nur Frauen – sehr abhängig von Lebensphasen: in Sachen Kindergarten zum Beispiel, wenn Kinder da sind. Danach werden aus den Kindergarteneltern Grundschuleltern. Die Grundschuleltern verlieren wir dann bei der Mitgestaltung, wenn die Kinder nach Alsfeld wechseln (zur weiterführenden Schule – Red.). Das ist ein bekanntes Phänomen, das besonders beim Engagement der Frauen sichtbar wird.

Mal angenommen, Sie könnten ad hoc etwas ändern: Was würde das sein mit dem Ziel, mehr Frauen in die Parlamente zu bringen?

Ich hätte gerne weniger Vorgaben, mehr Spielräume, so dass man den Leuten zeigen kann: Hier könnt Ihr etwas bewegen. Nicht immer nur sagen, das geht doch nicht, sondern: das geht doch! Solche Spielräume haben wir viel zu wenig.

Sie meinen bestimmte Projekte…

Bestimmte Projekte, für die ich Fördermittel bekommen kann, damit wir immer wieder Spielräume finden, in denen wir etwas Neues aufgleisen können. Zum Beispiel die Spielplatz-Initiativen, wie wir sie schon in allen Orten hatten: Da sind die Eltern – das sind vor allem die Frauen – stark dabei, sammeln Spenden, überlegen, wie der Spielplatz werden soll, und dann verdoppelt die Stadt Romrod den Einsatz. Aber auch Freiräume sind gefragt, innerhalb derer man Neues anfangen kann. Um beim Thema Spielplatz zu bleiben: Es wäre undenkbar, dass auf einem Spielplatz ein selbstgebautes Baumhaus steht. Das wäre gegen alle Vorschriften!

Generell muss man aber sagen: Der Zwang zur Zeit-Optimierung ist gerade bei Frauen unheimlich groß. Und wenn man heute schon Beruf und Familie auf einen Nenner bringen muss, wie soll man da noch ehrenamtliche Kommunalpolitik mit unterbringen? Daran scheitert es ganz oft.Letztlich empfinden es gerade die Frauen anscheinend als sinnvoller, ihren Kindern vorzulesen – und vielleicht ist es das auch. Dennoch brauchen wir Frauen und Männer, die das Leben in den Orten für sich und ihre Kinder mitgestalten und mitbestimmen wollen. Wenn sich die Menschen im ländlichen Raum zu Hause fühlen wollen, dann brauchen wir ihre Fantasie, ihren Gestaltungswillen und ihre Bereitschaft, mitzumachen.

Kerstin Dietrich: Quote als Anschub für die Parität

14 Jahre in der Kommunalpolitik hat sie hinter sich, darunter auch eine Wahlperiode im Vogelsberger Kreistag: die ehemalige Grünen-Politikerin Kerstin Dietrich, die in Alsfeld in der ALA aktiv ist. Gestartet war sie noch als Mitglied der Grünen, trat aus Protest gegen die Koalition mit der CDU im Land aber Ende 2013 aus – und arbeitet seither parteilos in der Grünen-Fraktion im Kreistag mit.

Und sie wird nicht mehr dabei sein, wenn die neuen Parlamente sich nach der Wahl zusammen finden. Kerstin Dietrich, die ihre politische Aktivität vor vielen Jahren bereits in Gießen begonnen hat, will nicht mehr. Ohnehin sei ihr Verhältnis zur Kommunalpolitik nie ein sehr herzliches gewesen – eher ein zweckmäßiges, erklärt sie. Eines eben, um etwas zu bewegen. Anfangs habe ihr die Aufgabe auch Spaß gemacht, doch heute schaut sie eher resigniert zurück. Eine Reihe Projekte, die ihr wichtig waren, seien nie so zum Zug gekommen, wie sie sich wünschte. Zum Beispiel, dass Alsfeld etwas mit dem Label „Fair Trade Stadt“ anfängt. „Für solche Sachen hast du hier keine Lobby.“

Da beschloss die 49-Jährige den Ausstieg, „aus privaten Gründen.“ Nach 14 Jahren setzt sie neue Prioritäten und erklärt: „Ich sehe für mich und mein politisches Selbstverständnis kein Fortkommen.“ Mit der Rolle von Frauen in der Kommunalpolitik hat Kerstin Dietrich sich immer wieder beschäftigt, und im Gespräch erklärt sie ihre Sichtweise.

OL-Kerstin-Dietrich

Hört nach 14 Jahre in der Vogelsberger Kommunalpolitk auf: Kerstin Dietrich.

Beim Blick auf die Listen zur nächsten Kommunalwahl stellt man fest: Frauen sind wieder in der Minderheit, teilweise weit in der Minderheit. Woran liegt das?

Es gibt mehrere Gründe. Einer ist die klassische Situation. Man muss dieses zeitintensive ehrenamtliche Engagement innerhalb der Familie klären. Du brauchst Unterstützung von deinem Partner, denn Kommunalpolitik bedeutet, viele Abende – in den Sitzungswochen zwei bis drei pro Woche – außer Haus zu sein und das oft mehrere Stunden lang. So etwas muss jemand zu Hause mittragen, gerade wenn man noch kleinere Kinder hat. Dazu kommt die klassische Situation der Doppelbelastung, die dadurch zur Dreifachbelastung wird. Von der Zweifachbelastung – Familie und Beruf – zur Dreifachbelastung, das ist schon noch einmal ein Schritt.

Das ist anscheinend eine klassische weibliche Sichtweise auf das Engagement. Ich schätze, wenn ich zehn Männer fragen würde, wäre die familiäre Unterstützung bei acht kein Thema.

Ja, das stimmt! Deshalb sitzen auch hauptsächlich Männer jenseits der 55 in den Kommunalparlamenten.

Worin liegt denn bei dieser Konstellation das Kernproblem?

Das ist das klassische, alte Modell, das wir nach wie vor leben, da hat sich nicht viel getan. Da müssen wir noch eine Generation warten. Ich denke, dass die Generation meiner Tochter mit den Selbstverständlichkeiten, was die Rollenverteilung zu Hause betrifft, noch einmal anders umgehen wird. Ich bin sicher: Wenn du durch den Kreistag gehst und die Männer dort fragst, dann kommt die Frage, ob die Frau den Rücken freihält, erst ganz hinten. Erst geht in erster Linie um Spaß an Politik und auch den Wunsch, etwas umzusetzen. Dazu aber auch, eine Position zu erreichen – und Macht in einem gewissen Rahmen. Für mich spielte der Wunsch, über Politik eine Machtposition zu erlangen, überhaupt keine Rolle. Das ist eine klassische Frauen-Männer-Geschichte, die du auch im Job genau so beobachten kannst.

Also, Männer legen in ihre Tätigkeit ein anderes Gewicht…

…ja, und auch eine andere Befriedigung. Nämlich jene, die sie durch ihre – in Anführungsstrichen – wichtige Rolle bekommen. So als Stadtverordneter oder ein Stadtrat im Magistrat. Da fühlt man sich schon als wer. Ich glaube, dass dies bei Frauen eine geringere Rolle spielt.

Frauen in die Politik zu holen: Das ist aber auch ein Ziel, das sich inzwischen jede Partei gesetzt hat. Die SPD hat 1988 sogar ihre Frauenquote festgelegt, die zumindest auf dem Land eigentlich nichts bewirkt hat. Die Grünen haben eine Quote, aber man bekommt mit, dass auch in sehr konservativen Parteien um Frauen als mögliche Kandidatinnen längst gebuhlt wird, weil man sie dringend für die Listen braucht. Man fragt sich: Was machen die alle falsch, dass keine Frauen kommen?

Na, ja, durch diese politischen Ebenen zu aufzusteigen, das ist schon ziemlich mühsam – da mal durch- und hoch zu kommen. Bei den Grünen ist das weniger, aber so stelle ich mir das in den großen Volksparteien vor: Bis du da drin bist, bis du diese ganzen Sitzungen hinter dir hast, das kostet unglaublich viel Energie und Zeit, und da brauchst du jemanden, der dir den Rücken freihält. Und in dem klassischen Familienmodell sind es tatsächlich die Männer, die das von sich behaupten können. Frauen sind nach wie vor primär diejenigen, die sich mit Kindererziehung und Kinderzeiten auch auseinander zu setzen haben, es ist nach wie vor zuerst ihre Aufgabe. Man sieht das am Bezug von Erziehungsgeld: Da wird schon gefeiert, wenn das vier oder fünf Prozent der Väter in Anspruch nehmen. Weil Männer nach wie vor die Jobs mit dem Haupteinkommen haben.

Es ist eine Frage der Freizeit? Oder spielt auch die politische Kultur eine Rolle?

Es liegt auch an patriarchalischen Strukturen. Die gibt es überall da, wo noch mehr Männer als Frauen sind, wie in den Sitzungen heute. Und ich habe solche Sitzungen durchlitten, wenn ich mir dachte: Muss der jetzt auch noch etwas dazu sagen? Es ist doch alles gesagt! Nach dem alten Spruch von Karl Kraus: Es ist bereits alles gesagt, aber noch nicht von mir. Dieses Gefühl habe ich manchmal, und das treibt mich in den Wahnsinn. Dann denke ich: Mein Gott, ich vertue hier so viel Zeit von meinem Leben, und ich hätte es gerne kürzer und effektiver.

Das ist eine patriarchalische Struktur?

Ja. Viele Männer empfinden diese Sitzungen offenbar als befriedigend für ihr Ego, sie streiten, beleidigen sich auch mal, darauf muss dann auch noch unbedingt retouchiert werden. Es kommt noch eine sexistische Spielart dazu: Es ist für Frauen schwerer, in einem Parlament aufzutreten, wo 50 Männer sitzen, die einen angaffen, wenn man nach vorne geht oder die blöde Bemerkungen machen.

Macht das noch jemand?

Ja!

Liegt es denn auch an den Inhalten, die in der Kommunalpolitik bewegt werden? Ich habe oft bei Sitzungen in den Gemeinden gedacht: Hier sitzt ein Haufen Kerle zusammen, der sich aufs Bauen versteht. Alles, was man in Beton oder unter Asphalt gießen kann, wird mit Priorität behandelt, während soziale Themen als weiche Themen gelten. Vielleicht würden mehr Frauen in Parlamenten andere Prioritäten setzen?

Ja! Worum geht es denn, wenn du dich entscheidest, in die Kommunalpolitik zu gehen? Entweder ist es ein bestimmtes Projekt über das du da rein kommst – zum Beispiel, die Stadt für Kinder freundlicher zu machen, eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Dafür dann auch mal Autos von bestimmten Plätzen zu verbannen. Zukunftsfähige Energieversorgung zu sichern. Dafür Mitstreiter zu finden, ist ziemlich schwer, aber das könnten Anliegen sein, für die man in die Kommunalpolitik geht. Dann bist du da auch im Grunde richtig, denn dann kannst du sehen, dass du in deiner Partei oder deiner Fraktion Mitstreiter findest, vielleicht auch den Bürgermeister und die Verwaltung überzeugen. Das ist durchaus eine mögliche Geschichte. Nur, dass das eben zehn bis 20 Jahre dauert, das glauben die wenigsten vorher. Du brauchst einen unglaublich langen Atem.

Inhalte… Also man beschäftigt sich ja eigentlich mit allem: mit Tourismus, mit Wirtschaftsförderung, mit Baugebieten – auch mit Beton. Ich denke da werden falsche Prioritäten gesetzt. Es wird sich viel mi Auto-Infrastruktur beschäftigt und wenig als Gemeinschaft gedacht. Das ist ein Männer-Bild. Straßen sind hier auf dem Land aber auch ein ganz wichtiges Thema – da muss man als Grüne auch dazu lernen, wenn man ins Parlament kommt. Da kommt man erst mit anderen Vorstellungen etwa zu einer fahrradfreundlichen Stadt mit viel Platz für Kinder zum Spielen. Aber dann sieht man, dass die Menschen hier auf dem Land auf das Auto völlig angewiesen sind, der ÖPNV ist kein wirklicher Ersatz– und du bist es ja selber auch. In Berlin würde ich in einem Stadtrat ganz anders argumentieren. Im Prinzip hat man aber auch hier die Chance, sich mit allen möglichen Inhalten zu beschäftigen.

Bräuchte es denn vielleicht so etwas wie eine kritische Masse Frauen in den Parlamenten, um mal die Prioriäten zu verändern? Womit diese kritische Masse wiederum andere Frauen anzieht, weil die merken, dass sich was tut?

Im Idealfall wäre das so. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass die Parteigrenzen auch die Frauen begrenzen.

Das heißt?

Hier wird wenig Networking gemacht. Etwa, dass man auf Kreisebene sagt: Jetzt müssten sich doch mal alle Frauen der Koalition zusammen setzen und schauen, wie wir da umsteuern können. Wir sind bei den Grünen doch ganz viele, in dieser Legislaturperiode waren von den acht Sitzen sechs mit Frauen besetzt, es sind auch bei der SPD sieben bis acht Frauen, die tatkräftig voran gehen – wir müssten uns eigentlich mal zusammen setzen. Das war anfangs unsere Idee, aber wir haben’s nicht hingekriegt.

Die Frauen der unterschiedlichen Fraktionen haben sich nicht solidarisiert.

Nein, sie haben es nicht gemacht. Wir hätten sicherlich innerhalb unserer Fraktionen noch einmal Gewichte verschieben können.

Einmal einfach gefragt: Was müsste sich verändern, dass Frau mehr Politik macht?

Ich glaube, dass der persönliche Ansatz mehr sichtbar sein müsste: Was berührt mich hier vor Ort, und was betrifft mich ganz direkt? Kann ich wirklich etwas beeinflussen an Sachthemen? Es muss dabei ja nicht nur um Soziales gehen. Auch eine Verknüpfung von Themen mit der Frage „Was macht diese Stadt lebenswerter?“ wäre denkbar. Das wurde im Leitbildprozess der Stadt Alsfeld sichtbar, der leider nicht nachhaltig als politische Leitlinie umgesetzt wird. Oder bestimmte Projekte unter einem Titel zu führen. Etwa in Richtung ökologischer Ausbau oder Nachhaltigkeit. Oder: „Wir werden Innovationsstandort für einen bestimmten Bereich.“

Ich frage noch einmal anders: Was oder wer müsste sich verändern? Die Politik, die Frauen, die Männer oder die Gesellschaft?

Ich bin eine große Freundin davon, dass der Staat dabei eine Rolle spielen muss. Und zum Beispiel so etwas wie eine Quote vorgeben. Bei den Grünen war das ja ausgesprochen erfolgreich…

…bei der SPD nicht…

…bei der SPD nicht, das ist hier im ländlichen Raum wohl nicht so einfach umzusetzen. Bei den Grünen aber schon – und da findet man auch den Großteil der Frauen in den Parlamenten. Ich halte auch viel von der Quotierung in Führungspositionen. Da muss der Staat mit gesetzlichen Vorgaben eine Rolle spielen. Gesellschaftliche Veränderungen finden nur sehr langsam statt, und deshalb braucht man die Unterstützung von solchen Gesetzen. Frauen und ihre Positionen werden über eine Quote sichtbar, sie werden selbstverständlich. Und dann erst ändern sich Rahmenbedingungen. Frauen werden heute auf dem Arbeitsmarkt gebraucht, sie kämpfen sich in ihre (Leitungs-) Positionen – und dann kommt der Ruf nach Ganztagsbetreuung für die Kinder, nicht umgekehrt. Und wenn die Quoten erfüllt sind, braucht man sie vielleicht nicht mehr.

Ein Gedanke zu “Sind es die Inhalte, braucht es die Quote?

  1. Mit großem Interesse haben wir den Artikel, sowie die Interviews dazu gelesen. In weiten Teilen können wir den Argumenten zustimmen.
    Warum nicht auch mal als Paar in die Politik einsteigen?
    Vor 10 Jahren haben wir uns entschlossen, gemeinsam als Ehepaar einen Großteil unserer Freizeit der Kommunalpolitik zu widmen. So sind wir gemeinsam aktiv im Parteivorstand, Stadtparlament, Magistrat und im Ortsbeirat Altenburg tätig. Wir haben überwiegend positive Erfahrungen gesammelt und kandidieren auch am 06. März wieder gemeinsam.

    Birgit und Frank Börner

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