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Reportage zur Kommunalwahl am 6. März: kaum Frauen unter den Kandidaten und in Parlamenten – Suche nach Ursachen: Drei Politikerinnen geben AntwortenVor dem Wahlgang: Wo sind all die Frauen hin?

VOGELSBERGKREIS. Wenn am 6. März die Kommunalwahlen anstehen, dann steht ein Ergebnis schon fest: Die Politik wird wieder stark männlich geprägt sein. Denn da können Parteien noch so sehr propagieren, Frauen in die Politik (be)fördern zu wollen: In den Wahllisten kommt Weiblichkeit eher selten vor. Und in den aktuellen Parlamenten noch seltener. Wer einmal zurückschaut, erkennt sogar: Der Trend ist wieder rückläufig. Warum? Eine Betrachtung der Situation und Erklärungsversuche.

Seit Anfang des Jahres sind die offiziellen Wahllisten öffentlich, in denen die Parteien ihre Kanditatinnen und Kandidaten für die Kommunalwahlen vorstellen. Da muss man schon suchen, will man den weiblichen Anteil herausfiltern. Die Alsfelder CDU etwa nennt unter 49 Namen ganze sechs weibliche. Die SPD unter 37 auch nur neun. In Lauterbach nicht anders: Neun von 41 CDU-Kandidaten sind Frauen, nur sechs von 38 SPD-Kandidaten. Kaum besser sieht sogar die ALA-Liste in Alsfeld aus mit vier von 16. Immerhin: Die Grünen in Lauterbach haben zumindest bei den 16 Namen ihrer Wahlliste eine paritätische Aufteilung.

 Vogelsbergkreis insgesamt unter dem Landesdurchschnitt

Dabei kann man aber fast sicher sein: Diese bereits männlich geprägten Aufstellungen für den 6. März sind in punkto Frauenanteil sogar nur Wunschlisten. Die gewählte Realität sah in den vergangenen Jahren auch mit der Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens noch anders aus. Dieses Verfahren spülte tatsächlich die eine oder andere Kandidatin nach oben, die in der jeweiligen Partei unter „ferner liefen“ aufgestellt war. Dennoch: Nicht einmal jedes sechste Mitglied eines Vogelsberger Kommunalparlaments ist aktuell weiblich. Damit hinkt  der Vogelsbergkreis insgesamt hinter dem Landesdurchschnitt von knapp 23 Programm her – und der Altkreis Alsfeld mit schlappen 12,6 Prozent noch viel stärker. Hessenweit ist ein Stadt-Land-Gefälle erkennbar.

Selbst im Kreistag ist nicht einmal jedes vierte Mitglied weiblich. Im größten Vogelsberger Parlament kommen nur die Grünen auf eine paritätische Verteilung – sogar mit sechs von elf Mitgliedern auf einen leichten Überhang weiblicher Mandate. Während wiederum die Linke, die eigentlich gendermäßig zu den Schrittmachern zählt, bei ihren drei Köpfen ausschließlich männlich vertreten ist.

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Frauen in hessischen Kommunalparlamenten: deutlich unterrepräsentatiert. Quelle: statistisches Landesamt Wiesbaden

Vor zehn Jahren waren mehr Frauen in der Vogelsberger Politik aktiv

Was bei diesen Zahlenspielereien am meisten ins Grübeln bringt: Vor zehn Jahren war der Vogelsbergkreis sogar schon weiter, zeigt eine Reportage auf, die der Autor dieses Beitrags damals noch für die Oberhessische Zeitung geschrieben hat. Da brachten es Parlamente im Altkreis Alsfeld durchschnittlich auch schon auf knapp 18 Prozent, und landesweit fand man 20 Prozent Frauenanteil in Kommunalparlamenten, ermittelte damals Caroline Seibert, Mitarbeiterin der Universität Gießen 2004 in einer Studie.

In Gemünden fanden sich neun Frauen im damals noch 23-köpfigen Parlament. Heute sind es vier unter 15. In Alsfeld gab es mit Bärbel Heinrich einen weiblichen Parlamentsvorsitz. Die CDU-Fraktion in Alsfeld wurde von Ingeborg-Beckmann-Launer geführt. Da muss man schon weit zurück gehen, um für den Status Quo Fortschritte auszumachen: 1985, da waren gerade fünf Prozent der Kreistagsmitglieder weiblich.

Es drängt sich die Frage förmlich auf: Wenn der Anteil über Jahre unter dem Strich doch gewachsen ist, ehe er stagnierte, und Fraktionen heute unabhängig von der Couleur schon aus Personalmangel dringend auf Frauen setzen – SPD und Grüne seit den Achtzigern per Quote – warum macht der weibliche Anteil der Bevölkerung sich so rar?

Eine Erkenntnis zur möglichen Ursache findet sich in verschiedenen Meinungen und Untersuchungen wieder: Männer und Frauen haben unterschiedliche Beweggründe, sich politisch zu engagieren. Zusammengefasst könnte man sagen: Frauen engagieren sich politisch, wenn sie Themen wichtig und interessant genug finden, dass sie dafür die Zeit opfern, während Männer auch themen-unabhängig aus dem „Politik-machen“ Motivation und Bestätigung schöpfen. Zugleich: Frauen sehen sich in einer Doppel- und Dreifach-Belastung durch Beruf und Haushalt, während Männer von weiblicher Unterstützung zu Hause profitieren. Es gibt – je nach politischem Hintergrund – weitere Denk- und Lösungsansätze, die bei verschiedenen Anlässen ermittelt wurden. Studien dazu schossen in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden.

Studie: radikale Lösung mit Quote der Kandidaten

So ließ die SPD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag 2013 eine Studie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung zu dem Thema erstellen, die im Netz nachlesbar ist. Die Heinrich Böll-Stiftung kam 2009 zu eigenen Schlüssen. Auch der Hagener Politik-Wissenschaftler Lars Holtkamp stellte dazu eine Studie vor. In Zusammenarbeit mit Dr. Elke Wiechmann von der Fern-Universität Hagen und Sonja Schnittke, Studentin für Frauenstudien in Dortmund erstellte er zudem 2009 eine Studie über Frauen in der Kommunalpolitik, die auch eine radikale Lösung vorschlägt, um zu paritätisch besetzten Parlamenten zu kommen: eine strikte Paritätslösung für wählbare Kandidaten als neues Wahlrechtsmodell nach französischem Vorbild (siehe Seite 62 ff). Ein Modell, das in Deutschland allerdings verfassungsrechtliche Bedenken hervorruft und von Kritikern als Bruch mit der demokratischen Grundidee der Parteienfreiheit und freien Wählbarkeit angesehen wird.

Lösung: befristete, themenbezogene Mitarbeit?

Eine andere, aber ebenfalls revolutionär anmutende Idee, um mehr Frauen für die Parlamentsarbeit zu gewinnen, äußert indes die Vogelsberger Grünen-Landtagsabgeordnete Eva Goldbach im Interview mit Oberhessen-live (siehe unten): Wenn Frauen sich stärker auf Themen bezogen in der Politik engagieren, warum kommt man ihnen nicht entgegen und öffnet das starre Parlamentssystem für befristetes ehrenamtliches Engagement?

Auch die langjährige Grünen-Politikerin Kerstin Dietrich aus Alsfeld und Romrods Bürgermeisterin Dr. Birgit Richtberg gaben Oberhessen-live Interviews zur Grundfrage: Warum sind so wenig Frauen in der Politik. Sie bieten verschiedene Lösungen an. Aber siehe da: Obwohl Dietrich und Richtberg aus ganz verschiedenen politischen Lagern kommen, zeigen sie sich in einem Punkt einig: Frauen haben im persönlichen Bereich schlicht „die Raufe voll“ und wenig Zeit.

von Axel Pries

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Wo sind die Frauen? Drei Politikerinnen versuchen Antworten

In einem Interview äußert sich hier die Grünen-Landtagsabgeordnete Eva Goldbach. Außer ihr waren aber auch die ALA-Stadtverordnete und ehemalige Grünen-Kreistagsabgeordnete Kerstin Dietrich sowie die der CDU nahestehende Romröder Bürgermeisterin Dr. Birgit Richtberg bereit, in Gesprächen Ursachenforschung zu betreiben. Diese Interviews finden Sie in einem separaten Beitrag bei Oberhessen-live.

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Kommunalpolitik neu: an Projekten orientiert

Seit 2013 vertritt Eva Goldbach den Vogelsbergkreis für Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag. Die 50-Jährige ist Mitglied im Kreistag und seit 2015 auch Vorsitzende der Europa Union im Vogelsberg. Die Lauterbacherin zählt zu jener Partei, die sich Gender-Grundsätze auf die Fahnen gesetzt hat – und das hört bei der Sprache mit dem Anhang *innen nicht auf. Die Grünen besetzen ihre Listen strikt paritätisch.

Im Gespräch mit OL-Redakteur Axel Pries erklärt sie, wo und warum es aus ihrer Sicht hapert – und nennt einen Lösungsansatz, der interessant erscheint: eine Änderung des bisherigen Politikverständnisses, mit dem – zumindest auf kommunaler Ebene – die Politik nicht nur Frauen schmackhafter, gelebter und nachvollziehbarer werden könnte.

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Neuer Ansatz in der Kommunalpolitik? Die Landtagsabgeordnete Eva Goldbach.

Frage: Es gibt immer noch weniger Frauen in der Kommunalpolitik als man möchte – quer durch alle Parteien. Worin sehen Sie den Hauptgrund dafür?

Goldbach: Ich glaube, der Hauptgrund sind die struktuellen Gegebenheiten. Es fehlt nicht an dem Potenzial oder der Motivation bei den Frauen, sondern es liegt vor allem daran, wie die Arbeit in den Kommunalparlamenten gestaltet ist. Dazu gibt es eine schöne Studie vom Bundesfamilienministerium, in der Frauen dazu befragt wurden, warum sie die Arbeit in den Kommunalparlamenten als schwierig ansehen. Und da kamen Schlagworte wie: Arbeitsklima, Arbeitsweise, Sitzungs- und Redekultur. Das heißt, die Frauen werden abgeschreckt, wenn sie sehen, wie zeitaufwändig das ist, wie viele Sitzungen stattfinden, wie lange die dauern und zu welchen Zeitpunkten sie stattfinden. Ich glaube, das ist das Hauptproblem.

Das klingt jetzt so, als ob man das beliebig verschieben könnte, die Arbeit und die Themen zu besprechen.

Nein, aber wenn mehr Frauen in die Kommunalparlamente kommen, könnte man daran etwas ändern. Ein paar Zahlen: Um von null Prozent Frauenanteil auf 20 Prozent zu kommen, hat es 90 Jahre gedauert. Und von 20 auf heute 32,3 Prozent, waren es noch einmal 30 Jahre. Wir müssen dahin kommen, dass wir eine paritätische Besetzung haben. Und wenn dann mehr Frauen da sind, und auch Positionen wie den Fraktions- oder Ausschussvorsitz übernehmen, dann können wir auch die Arbeitsweise beeinflussen. Die Frage ist immer: Wie kann man effektiv arbeiten, und wie nutzt man die zur Verfügung stehende Zeit? Das heißt: Sitzungen könnten schneller und effektiver durchgeführt werden.

Brauchen wir so viele Ausschüsse?

Man sollte vielleicht auch mal schauen: Brauchen wir so viele Ausschüsse? Könnten wir die zusammenfassen? Und noch ein Aspekt. Es besteht ja immer eine Bindung für fünf Jahre. Ist es vielleicht möglich, dass man sich zum Beispiel in einer Fraktion mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen für einen begrenzten Zeitraum einbringt? Konkretes Beispiel: Kreistag, Schulneubau. Man bringt sich für ein solches Projekt in einem begrenzten Zeitraum ein, danach übernehmen andere Personen neue Aufgaben Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Arbeitsweise in den Kommunalparlamenten anders zu organisieren. Es ist eben auch eine sehr männlich geprägte Kultur, die wir da haben. Die sieht so aus: viele Sitzungen, lange Sitzungen….

Das heißt also: Frauen würden wenige, kurze Sitzungen benötigen.

Frauen würden kürzere Sitzungen machen, effektiver arbeiten und versuchen, nur so viel wie nötig zu tagen. Die Studie des Familienministeriums zeigt auch, dass die Frauen, die in Kommunalparlamenten engagiert sind, zum großen Teil weder Kinder im Haus haben noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Das zeigt ganz klar: Wir kriegen die Frauen, die beides haben, nur ganz schlecht in die Kommunalparlamente. Das gelingt uns nur, wenn wir anders arbeiten.

Nun haben sich Parteien wie die SPD sogar eine Quote gegeben, aber auch das funktioniert nicht. Führen Sie das alles auf diese Faktoren zurück?

Nein, nicht nur. Das ist einer der Gründe, warum es schwierig ist. Der andere Grund ist: Wir brauchen auch den unbedingten Willen der Parteien, mehr Frauen in die Parlamente zu bringen. Wir Grünen besetzen unsere Listen ja immer paritätisch – die Ämter sind quotiert. Das machen die SPD und die Linken auch, aber wir haben auch auf Landesebene überlegt, wie wir mehr Frauen in die Politik bekommen. Klar ist: Die Politik auf Landesebene will, dass mehr Frauen in Kommunalpolitik gehen. Deshalb haben wir bei der letzten HGO-Änderung (Hessische Gemeindeordnung – Red) im Dezember festgeschrieben, dass die Kommunalparlamente einen höheren Frauenanteil anstreben sollen und – das war mir ganz wichtig – dass in den Aufsichtsgremien bei kommunalen Unternehmen Frauen auch paritätisch vertreten sein sollten. Die Linke wollte mehr – eine feste Quote – und die FDP wollte das gar nicht, aber wir können die Parteien auch nicht dazu verpflichten, Frauen auf ihre Listen zu setzen. Wir müssen klar sagen: Das ist unser Ziel, da wollen wir hin, aber die Parteien müssen die Möglichkeit haben, erst einmal die Frauen zu finden und zu motivieren, auf die Liste zu gehen.

Der Aspekt mit der projektbezogenen Politik klingt richtig interessant. Wie weit, bis zu welcher Parlamentsgröße würden Sie denn dieses Modell bevorzugen?

Ich glaube, das kann man nicht an der Größe des Parlaments festmachen, sondern an den Aufgaben, die zu erledigen sind. Es gibt Themen und Aufgaben, mit denen man sich befasst. Das kann auf kommunaler Ebene der Kindergarten-Neubau sein oder die Gründung einer Stadtbibliothek – typische Beispiele – und die sind klar abgrenzbar. Es geht immer darum, welche Aufgabe es ist. Wie sie zeitlich abgrenzbar ist, und dann kann man sich zeitlich befristet einbringen.

Das birgt aber auch die Gefahr, dass viele sagen: Prima, wir machen da mit, wo es Spaß macht, und alles andere, was schwierig wird, bleibt liegen. Und ich habe den Verdacht, beim Kanalbau sind die Männer dann wieder unter sich.

(lacht) Nein! Aber klar, Sie haben Recht: Es gibt Sachen, die ständig bearbeitet werden müssen. Wenn man ein Mandat annimmt, kann man nicht nur das machen, was einem Spaß macht. Aber in das eigene Fachthema kann man sehr viel einbringen, sich intensiv damit befassen, aber bei anderen Themen, die weniger aufwendig und nicht das eigene Themengebiet sind, betreibt man weniger Aufwand. Aber natürlich muss man, wenn man in einem Ausschuss Mitglied ist, auch zu den Ausschusssitzungen gehen. Deshalb ist es ja wichtig, nur so viel Sitzungen wie nötig zu machen – und kurz und effektiv. Noch einmal die Frage: Brauchen wir immer so viele Ausschüsse?

Es wäre vielleicht einen Gedanken wert, die Kommunalpolitik projektbezogener gestalten zu lassen. Das Alsfelder Freiwilligenzentrum macht es ja vor: Die Leute lassen sich für bestimmte Projekte ansprechen. Vielleicht könnte man die politische Arbeit nach ähnlichem Muster umgestalten.

Vielleicht kann man das ja verbinden und die Bürger*innen über diese Schiene allgemein mehr für die Kommunalpolitik zu gewinnen. Menschen sind meist bereit, sich für einen begrenzten Zeitraum intensiv einzusetzen. Frage ist: Wie können wir diese Bereitschaft auch in den Kommunalparlamenten nutzen?

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