Gesellschaft0

Von der Kraft der eigenen GeschichteDrehbuchautorin, Regisseurin, Coachin: Katinka Kulens Feistl kommt am 23. März nach Alsfeld

ALSFELD/VOGELSBERG – Am 23. März können Teilnehmer:innen in Alsfeld an einem Workshop von Katinka Kulens Feistl zum Thema Storytelling teilnehmen und sie später bei einer Lesung in der Buchhandlung Lesenswert erleben. Frauen in allen Lebensbereichen sollen durch Kulens Feistls Arbeit gestärkt und sichtbar gemacht werden. Traudi Schlitt interviewte die Autorin kürzlich. Das Interview finden Sie hier.

Sie ist preisgekrönte Regisseurin, setzt sich für eine Frauenquote im Filmgeschäft ein, hat ein Buch über Scham als Superkraft geschrieben und gibt Workshops im Bereich „Storytelling“: Katinka Kulens Feistl ist ein Multitalent. Ihr großes Anliegen ist die Sichtbarkeit/ das „in-die-eigene-Lebenskraft-kommen“ von Frauen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Nun kommt sie im Rahmen der diesjährigen Frauenwoche mit gleich zwei Angeboten nach Alsfeld: Am 23. März kann man bei Katinka Kulens Feistl von 13 bis 16 Uhr einen Workshop besuchen, um 18 Uhr liest sie dann in der Buchhandlung Lesenswert am Marktplatz. Wir wollten wissen, warum Scham eine Superkraft ist, welche Möglichkeiten Storytelling schafft und warum sie für eine Frauenquote ist – das Interview zwischen Traudi Schlitt und Katinka Kulens Feistl:

„My lovely Shame“ heißt das Buch, in dem du aus einem ungeliebten Gefühl eine Superkraft machst? Wie bist du darauf gekommen und wie gelingt es, aus Peinlichkeit Kraft zu schöpfen?

Eine lange Zeit war mir sehr vieles im Leben peinlich. Ich fand mich nicht gut genug, nicht dünn, erfolgreich, clever genug. Für so vieles habe ich mich heimlich geschämt und versucht, es zu verstecken. Mit Mitte 40 geriet ich in eine Sackgasse und ein guter Freund riet mir, ich solle einfach spannende Geschichten über die peinlichsten Momente meines Lebens schreiben.

„In zwei Sachen bist Du fantastisch, Katinka,“ sagte er. „Du bist eine Expertin im Geschichten erzählen und Du schämst Dich ständig- darüber kannst Du Geschichten erzählen, die anderen Menschen helfen, sich NICHT MEHR ZU SCHÄMEN. Sondern auch mal darüber zu lachen.“

Ich war wie vom Donner gerührt, fand die Idee beängstigend und grandios. Das war der Anfang, dass ich meine peinlichsten Erlebnisse in faszinierende Geschichten verwandelt habe. So verwandelte ich Scham in meine Superkraft.

Du erzählst in diesem Buch Geschichten, die dich selbst in ein schlechtes Licht rücken könnten oder auch für dein Umfeld keine Ruhmesblätter sind. Hat dich das viel Überwindung gekostet und wie nimmt zum Beispiel deine Familie dieses Buch auf?

Ich finde nicht, dass irgendjemand in ein schlechtes Licht gerückt wird, sondern eher in ein wahrhaftiges. Menschen tun seltsame Dinge, sie lieben den Falschen, sind schnell beleidigt, laufen grandiosen Zielen hinterher und versuchen, der Wahrheit nicht zu oft ins Gesicht zu schauen. Ich habe jeder einzelnen Figur ihre Würde gelassen, niemanden bewertet. Aber natürlich habe ich selbst und andere Menschen um mich herum manchmal seltsam gehandelt. Als ich mir zum Beispiel einbildete, ich bräuchte viel Geld, um an eine Filmakademie zu kommen und, um berühmt zu werden. Tja, das war ein seltsames Ziel und die Ehe, die ich deswegen eingegangen bin, war definitiv NICHT die beste Idee. Hat es mich weitergebracht? Auf jeden Fall. Hab ich Freundschaft und Vergebung dadurch gefunden? Auch das.

Welche Geschichte in dem Buch magst du besonders und warum?

Ich muss gestehen, alle Geschichten bedeuten mir sehr viel und es war eine Freude, sie in die Welt zu bringen. Aber zwei waren mir besonders nahe, nämlich „Wenn Dir das Leben Los Angeles schenkt, kannst Du nicht in der Ecke sitzen und heulen“- wegen meiner wunderbaren, glamourösen Zeit in meiner Lieblingsstadt. Und „Das Mädchen mit dem Herzen auf der Zunge“. In der Geschichte habe ich zu meiner wahren Superkraft zurückgefunden, meiner Wahrhaftigkeit. Wenn ich ehrlich und wahrhaftig bin, bin ich am schönsten und am glücklichsten.

Du schreibst als Frau natürlich aus weiblicher Sicht. Findest du, dass Scham, Peinlichkeit und das Zurückweichen aus Scham eher weibliche Themen sind?

Ich bin sicher, dass auch viele Männer ihre Scham-Themen haben. Aber eines weiß ich ganz gewiss. Wir Frauen wurden über viele Jahrhunderte beschämt und damit kleingehalten. Die meisten Frauen, die in meine Kurse kommen, sind wahnsinnig klug und wundervoll – trotzdem denken alle, sie seien nicht gut genug. Es wurde uns über viele Jahrhunderte beigebracht, dass eine Frau weniger wert ist als ein Mann. Als Frau ist man per se nicht so gut wie ein Mann. Das verlernt sich nicht so schnell in kurzer Zeit.

Was kann man gewinnen, wenn man sich mit seiner Scham auseinandersetzt?

Alles. Selbstliebe, Selbstbewusstsein. Sich neu in das eigene Leben verlieben. Vergebung. Humor.

Das Problem mit der Scham ist: wir schämen uns und schauen weg und kehren das Ereignis unter den Teppich. Aber, wenn wir nicht hinschauen, führt die Scham ein Eigenleben und macht unser Leben klein und eng. Ein Beispiel, das ich in den Vagina-Monologen gelesen habe: Eine alte Frau berichtete davon, dass der Mann, mit dem sie das erste Mal Sex hatte, sich darüber lustig gemacht hat, dass sie „unten rum“ so feucht gewesen sei. Die Frau hielt sich für anormal und hat für immer verschwiegen, das mit ihr „etwas nicht in Ordnung“ sei. Und hat sich nie mehr auf die körperliche Liebe eingelassen. Solche Dinge passieren, wenn wir uns schämen und sie wegsperren.

Zum Thema Storytelling: Gerade in der Werbung und der Öffentlichkeitsarbeit geht es ja häufig darum, die Message mit einer griffigen Geschichte zu verbinden. Was bedeutet Storytelling für dich?

Storytelling bedeutet für mich, in die eigene Kraft zu kommen. Die Geschenke des Lebens zu erkennen. Am liebsten ist mir dieser Satz dazu: Auch wenn etwas in Deinem Leben nicht rund läuft – Du kannst immer noch eine fantastische Geschichte darüber erzählen.

Geschichten leben ja davon, dass etwas nicht so läuft, wie geplant. Und das ist der Trost im Storytelling. Im Leben sind Konflikte oft unangenehm – in Geschichten sind sie Gold wert.

Dein Workshop im Freiwilligenzentrum geht über drei Stunden: Was können die Teilnehmerinnen mitnehmen?

Die wichtigsten Basics, um spannende und berührende Geschichten zu erzählen.

Du hast gemeinsam mit anderen Regisseurinnen die Initiative „Pro Quote Regie“ gegründet, die später in „Pro Quote Film“ umbenannt wurde und von vielen namhaften Filmschaffenden unterstützt wird. Warum braucht es in diesem Bereich eine Frauenquote und wo braucht es deiner Meinung nach ebenfalls Frauenquoten?

Im Filmbereich wurde 2012 deutlich, dass 89 Prozent der öffentlichen rechtlichen Filme und Beiträge von weißen, heterosexuellen Männern um die 50 gedreht wurden. Dabei hatten die Sender sich verpflichtet, die Diversität abzubilden. Wie kann eine einzige Bevölkerungsgruppe die gesamte Diversität abbilden? Natürlich blieben dabei über Jahrzehnte spannende, ambivalente, interessante Frauenfiguren auf der Strecke. Deshalb brauchen wir dringend die Quote: um andere Filme, andere Rollenvorbilder zu sehen. Wir brauchen sie in ALLEN Bereichen, denn ohne Quote bleiben immer weiter weiße, heterosexuelle Männer um die 50 ( oder älter) am Steuer. Die Auswirkungen sehen wir gerade weltweit.

Oft hört man im Zusammenhang mit der Gleichberechtigung in Deutschland „Aber ihr habt doch schon alles“ oder „Was wollt ihr denn noch?“ Was antwortest du darauf?

Beide Sätze sind faktisch total falsch. In allen Bereichen stimmen sie nicht. Man muss sich nur den Pay Gap in Deutschland anschauen, die Quoten in den Führungsetagen. Am liebsten antworte ich mit einem Satz von Alexandra Zykunov: „Frauen haben ein 32 Prozent höheres Risiko zu sterben, wenn sie von einem männlichen Chirurg operiert werden.“

Die Veranstaltungen mit Katinka Kulens Feistl finden statt am Samstag, dem 23. März. Der Workshop zum Thema Storytelling geht von 13 bis 16 Uhr und findet im Freiwilligenzentrum statt. Die Teilnahmegebühr beträgt 30 Euro. Dazu anmelden kann man sich direkt bei der Frauenbeauftragten Elisabeth Hillebrand (06642 250), und zwar bis zum 20. März. Die Lesung findet um 18 Uhr in der Buchhandlung Lesenswert statt. Karten im Vorverkauf gibt es ebenfalls dort.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren