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„Das Leben und Sterben ändert sich ständig“Stefan Weiller mit „Letzte Lieder“ am 28. September im Cubus der Villa Raab

ALSFELD (ol). Am 28. September kommt der Autor und Regisseur Stefan Weiller mit seinem Bühnenprogramm „Letzte Lieder“ nach Alsfeld. Er folgt damit einer Einladung der Stiftung Lichtermeer. Was es mit den „Letzten Liedern“ auf sich hat, beantwortet der Autor im folgenden Interview. Die Fragen stellte Traudi Schlitt.

Wir wollten wissen, was man sich unter den „Letzten Liedern“ vorstellen muss, was den Künstler daran fasziniert und mit was die Gäste rechnen dürfen. Herr Weiller, Sie sind Autor und Regisseur. Und sie sind derjenige, der die „Letzten Lieder“ sammelt. Wie kommt man dazu?

Stefan Weiller: Vor Jahren lernte ich über eine Reportage, für die mich eine Zeitung beauftragt hatte, eine Frau kennen, die wusste, dass sie an einer unheilbaren Erkrankung leidet und bald sterben wird. Sie hatte eine starke Verbindung zu Musik, die auch am Ende ihres Lebens für sie bedeutsam blieb. Das brachte mich auf die Idee, bei Sterbenden nach Soundtracks des Lebens zu suchen. Die Letzten Lieder werden aufwendig von mir überregional recherchiert und geschrieben; sie lassen sich leider nicht einfach „einsammeln“, wie reife Früchte von einem Baum. Schön ist, wenn man nicht merkt, wie viel schwere Arbeit von mir darin steckt.

Was hat Sie nach den ersten „Letzten Liedern“ so fasziniert, dass sie weitergemacht haben und ja auch immer noch weitermachen?

Das Leben und Sterben ändert sich ständig und von Generation zu Generation. Während der Corona-Pandemie starben wir anders, als wir es vorher taten und vielleicht schon morgen tun werden. Der medizinische Fortschritt, KI, die gesellschaftlichen Bedingungen, Kriege, neue Infektionskrankheiten, kulturelle Veränderungen, knappere Ressourcen, Pflegenotstand, Sterbehilfe und veränderte Lebensweisen – all das beeinflusst das Leben und die Art wie wir sterben werden. Vordergründig rede ich zwar mit Menschen über ihr liebstes Lied, aber letztlich erfahre ich in den Gesprächen, wie sie ihr Sterben wünschen, gestalten und erleben. Das bleibt für mich ein riesiges Thema, dem ich mich mit Faszination, Respekt, mit Angst und weiterhin mit Entschlossenheit stellen will.

Hat sich durch die Gespräche und das Überarbeiten der Interviews Ihre Sicht auf den Tod, vielleicht auch auf den eigenen Tod, geändert?

Ich will keine Schmerzen leiden und wünsche mir neue Wege und angstfreie Begleiter, das Leid zu verringern. Meine Recherchen in der Schweiz haben mir gezeigt, dass es enorm entlastend sein kann, wenn eine weitere Tür – die zum assistierten Suizid – offensteht, ohne durchgehen zu müssen. Wir brauchen, um wirklich wählen zu können, den Ausbau der Hospizangebote und die offene Debatte.

 … und auch die Sicht auf das Leben?

Das Leben ist ein Rätsel. Ich liebe seine Fragen.

Wie nah kommen Sie den befragten Menschen und wie schaffen Sie es, trotz der notwendigen Nähe Distanz zu bewahren?

Als Diplom-Sozialpädagoge und im Journalismus erlernte ich einen professionellen Umgang, um mein Gegenüber nicht mit meinen Empfindungen zu belasten. Professionalität ist wichtig. Ich wünsche mir Fachexperten mit Herz, wenn ich mich in einer Krise befinde, weil ich dann an meinen eigenen Gefühlen genug zu tragen habe. Und ich verbiete mir, vor einem fremden Sterbenden zu weinen. Das stünde mir nicht zu. Trotz dieser Grenze entsteht eine große Nähe zu meinen Gesprächspartnern.

Ist Ihnen unter all den vielen Begegnungen eine ganz besonders in Erinnerung geblieben und wenn ja, warum?

Mich verblüfften all jene Menschen, die in ihrer letzten Lebenszeit nicht nur sich selbst gesehen haben, sondern auch die Bedürfnisse der Menschen um sich herum wahrnehmen konnten.

Es heißt, in Ihren Lesungen oder Konzerten geben sich Lachen und Weinen die Hand. Wie passt Fröhlichkeit zum Sterben?

Humor ist ein Entschluss, eine schwankende Brücke über dem Abgrund des Todes. Heute dauert unsere letzte Lebensphase ja oft mehrere Monate oder Jahre, die zwischen Diagnose und Todeseintritt liegen. Zum Glück wird da auch immer wieder gelacht. Davon erzähle ich gerne.

Aber: Zu sterben ist kein Comedy-Programm. Darum sind mir in meinen Veranstaltungen ernsthafte Momente der Trauer und des Kummers wichtig. Die Letzten Lieder sind ehrlich, das macht sie für manchen unbequem. Aber ich will nicht lügen und mit verstellter Stimme einen Bund Radieschen über meinen Kopf halten, damit die Leute darüber kichern sollen, während wir uns gemeinsam das Gemüse von unten betrachten. Das wäre mir zu plump, anbiedernd und harmlos.

Die Letzten Lieder besitzen immer einen großen fachlichen Anteil, in dem es um tiefgründige Fragen des Sterbens geht. Unterhaltung und Information – das ist mein Anspruch, dem ich gerecht werden will.

Was genau macht ein Lied, das ja erstmal nur eines von vielen im Soundtrack des Lebens ist, zu einem letzten Lied?

Dass es herausragt, weil sich eine persönliche Geschichte damit verbindet.

Kennen Sie schon Ihr letztes Lied?

Ich hoffe, vor meinem Mann und in seiner Begleitung sterben zu dürfen, sodass mein letztes Lied sein Atem ist.

Mit welchen Gefühlen werden die Gäste Ihre Veranstaltung verlassen?

Jeweils mit eigenen. Und das ist gut.

Traudi Schlitt: Vielen Dank für das Gespräch.

Die Veranstaltung mit Stefan Weiller findet am Donnerstag, dem 28. September um 19 Uhr im Cubus der Villa Raab statt. Einlass ist ab 18 Uhr, Tickets gibt es zum Preis von 10 Euro im Vorverkauf in den Buchhandlungen Lesenswert in Alsfeld und Lesezeichen in Lauterbach. In der Pflege oder im Hospizwesen tätige Menschen bekommen eine Ermäßigung. Karten für den ausgefallenen Termin im Juni behalten ihre Gültigkeit oder können vor Ort zurückgegeben werden.

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