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Notfallplanungen in Homberger Kitas sorgen weiterhin für Unmut bei den Eltern„Das was hier geschieht, hat nicht mehr viel mit Qualität zu tun“

HOMBERG (OHM) (ls). Nicht einmal einen Monat ist es her, dass gut 50 Eltern auf dem Homberger Marktplatz standen und dort gegen die herrschenden Zustände in den städtischen Kitas demonstrierten. Antworten wollten sie, und Veränderungen. Doch getan habe sich seitdem nicht wirklich etwas, sagen zwei Mütter. Die Bürgermeisterin verteidigt sich – und verweist auf Erfolge, die von den Eltern offenbar übersehen würden.

Kinga Walter und Julia Diehl-Wadewitz sitzen am hintersten Tisch in dem modernen, lichtdurchfluteten Café der Bäckerei Dickel im Homberger Stadtteil Nieder-Ofleiden. Die Sonne scheint durch die bodenlange Fensterfront. „Wir fühlen uns von der Stadt einfach nicht verstanden“, sagt Julia Diehl-Wadewitz. Vor nicht einmal einem Monat stand die junge Mutter noch gemeinsam mit anderen Müttern auf dem Marktplatz der Ohmstadt und demonstrierte gegen die Verhältnisse in den Kitas. „Getan hat sich seit dem nichts“.

Es war der 15. April, als sich etwa 50 Eltern für ihre Anliegen und Sorgen auf dem Marktplatz stark machten. Stark für die Bildung, die Betreuung und die Zukunft ihrer Kinder. Im Hombergs Kitas und auch im Krabbelhaus nämlich, liegt seit einigen Monaten einiges im Argen. Angefangen hatte alles bereits im vergangenen Sommer. Ohne Vorwarnung wurden nach Angaben der Eltern die Betreuungszeiten gekürzt, die Gebühren allerdings erhöht. „Seitdem wird die Situation in den Kitas hier in Homberg immer schlimmer“, erklärt Kinga Walter.

Claudia Blum wurde, gebürtige Lauterbacherin, wurde 2016 zur neuen Bürgermeisterin gewählt. Die Kritik lässt sie nicht kalt. „Jedes Jahr steigen die Personalkosten durch die Tariferhöhungen. Wir wollen schließlich auch zukünftigen Eltern und Kindern eine gute Betreuung bieten“, sagt sie. Mit den Änderungen der Satzungen haben man die Kinderbetreuung auch für die Zukunft gut aufgestellt.

„Wir fühlen uns nicht ernst genommen“

Besonders in den Wintermonaten habe man als Eltern die schlechte Planung zu spüren bekommen, heißt es hingegen von den Müttern. Krankheitsbedingte Ausfälle, eine entsprechend dünne Personaldecke und Notfallpläne, die sich schlecht mit den Plänen von berufstätigen Eltern vereinbaren ließen. Mit einem offenen Brief haben sich die Eltern und Elternbeiräte bereits im März an den Magistrat und die Bürgermeisterin gewandt, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Darin hieß es, dass die Sparmaßnahmen nicht zulasten der Kinder erfolgen dürfen. Man forderte die alten Öffnungszeiten und die ursprüngliche Personalsituation, um Homberg weiterhin für Familien attraktiv zu machen.

Julia Diehl-Wadewitz auf der Demo auf dem Marktplatz in Homberg Ohm. Foto: archiv/lme

Eine Reaktion auf den Brief gab es laut den Müttern nicht und auch ein Besuch bei der Bürgermeisterin blieb ihren Angaben nach bislang erfolglos. „Wir sind enttäuscht und fühlen uns nicht ernst genommen mit unseren Sorgen. Auch die Reaktion der Bürgermeisterin auf unsere Demo hin, war enttäuschend. Sie sagte, man hätte es auch anders lösen können als auf den Marktplatz zu gehen, aber genau das haben wir im Vorfeld ja versucht – ohne Erfolg“, fasst Julia Diehl-Wadewitz die Gefühle der Eltern zusammen.

Blum hingehen wehrt sich: der Elternbeirat sei bereits am 19. Juni des vergangenen Jahres zu allen Änderungen angehört worden. „Den städtischen Gremien und mir als Bürgermeisterin ist die Kinderbetreuung sehr wichtig und selbstverständlich werden die Sorgen der Eltern ernst genommen“, entgegnet sie.

Notbetreuung seit vier Wochen

Seit nunmehr vier Wochen herrscht Notbetreuung im Krabbelhaus in der Homberger Friedrichstraße. Ein Zustand, der – besonders für berufstätige Eltern – kaum erträglich ist, wie die beiden Mütter als Vertreter des Elternbeirates des Krabbelhauses erzählen. Insgesamt 36 Kinder zwischen einem und drei Jahren werden derzeit im Krabbelhaus in drei Gruppen betreut – zwölf davon würden bis zum Nachmittag bleiben und nicht mittags abgeholt werden. Zehn Betreuer gibt es für die Kita, wobei sich eine Betreuerin im Anerkennungsjahr befinde.

„Unsere Bürgermeisterin beruft sich immer wieder darauf, dass der Personalschlüssel den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Sie sagte sogar, dass man über den gesetzlichen Vorgaben liegt. Damit hat sie vielleicht Recht, aber die enorme Krankheitswelle muss doch gezeigt haben, wie schnell man dennoch unter Druck geraten kann. Das muss sich einfach ändern“, erklärt Walter. Teilweise sind es in den vergangenen Wochen so wenige Betreuer gewesen, dass Gruppen zusammengelegt worden sind, Kinder zuhause blieben und sogar engagierte Eltern als Aushilfe mit in die Kita kamen, um die Kinder zu betreuen. Anders wäre es in den letzten Wochen nicht gegangen.

„Wir haben untereinander klären müssen, wer sein Kind zuhause behalten kann und wer nicht. Die Kinder wurden zwar betreut, aber das was hier geschieht, hat nicht mehr viel mit Qualität zu tun“, sagt Julia Diehl-Wadewitz. Den Betreuern wolle man keine Schuld geben, „die tun, was sie können“. Vielmehr wolle man, dass die Sorgen der Eltern in der Stadt gehört werden und sich endlich etwas tut.

Blum: Personalengpass nicht durch Kürzung der Öffnungszeiten verursacht

Getan hat sich tatsächlich etwas. Erst Ende der vergangenen Woche schickte die Stadt einen Brief an alle Eltern. „Zunächst möchte ich mich bei den Eltern bedanken, die in den Wochen der außergewöhnlichen Krankheitssituation ihr Kind zu Hause betreut haben und damit geholfen haben, dass eine zwangsweise Schließung einer Gruppe vermieden werden konnte. Mir ist bewusst, dass Sie als Eltern auf die Betreuung ihrer Kinder angewiesen sind und die krankheitsbedingte schwierige Situation im Krabbelhaus Sie ebenfalls vor große Probleme gestellt hat“, schrieb die Bürgermeisterin darin. Und auch sei sie froh, dass die meisten kranken Erzieherinnen mittlerweile wieder gesund seien und man im Krabbelhaus nun wieder „normale“ Betreuungssituationen habe.

Die Forderungen der Eltern an einer Wäscheleine.

Weiterhin erklärt Blum in dem Schreiben an die Eltern, dass in den letzten Wochen in allen Kindertageseinrichtungen viel Personal krank gewesen sei. „Solch eine Krankheitswelle haben wir bisher nicht erlebt. Das hat die Einrichtungen, die Verwaltung und natürlich auch die Eltern belastet.“ In allen Einrichtungen habe man versucht, in Absprache mit den Elternbeiräten und Eltern Lösungen zu finden, damit Gruppen oder Einrichtungen nicht geschlossen werden mussten. Das sei durch individuelle Notfallpläne geglückt.

„Bei erhöhten Krankheitsfällen, die durch die Einrichtung selbst nicht aufgefangen werden können, versuchen wir zunächst Vertretungen aus anderen Einrichtungen zu organisieren“, sagt die Rathauschefin und begründet, dass das in den letzten Wochen kaum möglich war, da es in allen Einrichtungen besonders viele Krankheitsfälle gegeben habe.

„Im Krabbelhaus waren in der 15. Kalenderwoche vier und in der 16. drei Erzieherinnen gleichzeitig erkrankt, was absolut ungewöhnlich ist“, erklärt sie. Der Vorwurf der Eltern, dass der Personalengpass durch die Kürzung der Öffnungszeiten verursacht worden sei, sei nicht zutreffend.

„Geld, das einfach flöten geht“

Die Eltern kritisieren auch noch andere Dinge. Es geht ums Geld. „Es gibt Landesförderungen, die man aber hier in Homberg nicht in Anspruch nimmt. Das sind über die Hand etwa 68.000 Euro. Geld, das einfach flöten geht. Davon könnte man Fortbildungen für die Erzieher bezahlen oder aber noch mehr Betreuer einstellen“, sagt Diehl-Wadewitz. Diese Vorwürfe weist Blum zurück: „Die Aussage des Elternbeirats, dass Fördergelder nicht in Anspruch genommen werden, ist so pauschal nicht zutreffend.“ Man beantrage verschiedene Fördergelder, wie die Pauschale für eingruppige Kindertagseinrichtungen. Die Förderung für die Arbeit nach dem Bildungs- und Erziehungsplan könne man allerdings im Moment noch nicht beantragen, da die Voraussetzungen noch nicht gegeben seien.

„Alle Leiterinnen der städtischen Kindertageseinrichtungen haben grundsätzlich Interesse an der pädagogischen Arbeit nach den Grundzügen und Prinzipien des Bildungs- und Erziehungsplans. Die geforderten Fortbildungen können voraussichtlich im Frühjahr 2020 erfolgen“, schreibt Blum weiter.

Dass der Betrieb nur dadurch aufrecht erhalten werden könne, wenn Eltern einspringen, das sei keine langfristige Lösung, sagen die Eltern. Doch genau das war in den letzten Wochen der Fall. „Wir haben uns doch bewusst für Homberg entschieden, dann sollte auch darauf geachtet werden, dass die Stadt familienfreundlich ist, denn was aktuell passiert, ist für berufstätige Eltern nicht attraktiv“, ergänzt Walter.

Keine Besserung in Sicht

Um das hohe Defizit der Stadt von 1,6 Millionen Euro zu senken, wurden die Betreuungszeiten und auch die Personalstunden der Betreuer in den Homberger Kitas gekürzt. „Es darf nicht sein, dass die Sparmaßnahme sich auf unsere Kinder auswirkt“, erklärt Diehl-Wadewitz. Drei wichtige Fachkräfte hätten seit dem letzten Jahr gekündigt. Dazu erklärt Blum, dass für die Kita in der Hochstraße bereits zwei neue Erzieherinnen eingestellt wurden und weitere Kräfte zum neuen Kindergartenjahr kommen.

Hombergs Bürgermeisterin Claudia Blum spricht von einem gut aufgestellten Personalschlüssel in der Kommune.

„Als Stadt haben wir rechtzeitig Stellenausschreibungen geschaltet und zügig Bewerberinnen ausgewählt. Es ist schwierig, während des Kindergartenjahres neue Kräfte einzustellen. Diese Erfahrung mussten wir bereits in 2017 machen“, sagt sie. Das Krabbelhaus hingehen sei personell gut aufgestellt und die Situation sei ausschließlich der extremen Krankheitssituation geschuldet.

Blum geht aber noch weiter: „Ende 2017 wurde eine dritte Gruppe im Krabbelhaus eröffnet, um die Betreuungskapazitäten zu erhöhen. Ich habe den Eindruck, dass das von vielen Eltern nicht registriert wurde. Ohne die dritte Gruppe, zu der es keine rechtliche Verpflichtung gibt, wäre die Betreuungssituation wesentlich schwieriger.“ Auch der immense Zuschussbedarf des Krabbelhauses werde oftmals nicht registriert. Die Stadt zahle pro Kind zwischen 8.360 Euro und 11.546 Euro. Das sei deutlich mehr als in allen anderen Einrichtungen.

Schon auf der Demo im März stellte sich Blum der Kritik der Eltern, verteidigte sich und machte gleichzeitig wenig Hoffnung auf Besserung, denn die Kürzungen sei eine Anordnung vom Land gewesen, die man nicht rückgängig machen könne. „Was daraus resultiert, bekommen wir seit mehreren Wochen zu spüren und es ist schade, dass sich nichts ändert. Wir Eltern stehen dem machtlos gegenüber, denn das Gesetz wird erfüllt. Entweder wir schlucken das, oder wir betreuen unsere Kinder selbst“, sagt Diehl-Wadewitz. Eine Besserung, so glauben auch die beiden Mütter, ist für die kommende Zeit nicht in Sicht – jedenfalls was das Krabbelhaus angeht.

Ein Gedanke zu “„Das was hier geschieht, hat nicht mehr viel mit Qualität zu tun“

  1. Früher hatte man es nur mit dem wiehernden Amtsschimmel zu tun. Heute springt in allen Amtsstuben und öffentlichen Einrichtungen das Känguru herum, das mit leerem Beutel große Sprüche kloppt.
    Es hat sich doch inzwischen ein Politikstil etabliert, Reformen unter blumigen Bezeichnungen wie „Gute-Kita-Gesetz“ lediglich auf Pressekonferenzen groß anzukündigen, aber sie finanziell dann so schlecht zu versorgen, dass sich ihr vermeintlicher Nutzen in sein Gegenteil verkehrt. Die Proteste der Betroffenen gegen schlechte Organisation und Unterfinanzierung lässt man ins Leere laufen. Das „Volk“ wird sich schon wieder beruhigen. Bewährtes Gegenmittel gegen notorische „Unruhestifter“: Öffentlichkeitsarbeit, die die Verhältnisse schön färbt und Missstände leugnet oder verniedlicht. Wer sich beschwert, lebt in der falschen Echokammer oder Schneekugel und will die Wohltaten nicht sehen, mit denen die Politik ihn überschüttet. Ich nenne das Realitätsverlust der Politik!

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