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Urteil im Sparkassenskandal4 Jahre und 3 Monate Haft für Sparkassen-Mitarbeiter wegen veruntreuten Millionen

GIESSEN (jal). Im Untreue-Skandal der Sparkasse Oberhessen ist das Urteil gefallen. Das Landgericht Gießen verurteilte den früheren Chef des Rechnungswesens Maik H. wegen Untreue in 34 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten.

Die Staatsanwaltschaft hatte fünf Jahre und zwei Monate Haft gefordert, die Verteidigung, dass die Haft drei Jahre und sechs Monate nicht überschreiten sollte. Nicht nur wegen des umfassenden Geständnisses des Angeklagten im Zuge der Ermittlungen, sondern auch wegen der vorliegenden Bankdaten war es für alle Beteiligten des Prozesses unstrittig, dass H. die Taten wirklich begangen hat.

Demnach hatte H. als Chef des Rechnungswesens der Sparkasse Oberhessen über einen Zeitraum von zehn Jahren eine Gesamtsumme von genau 8.773.528 Euro und 71 Cent von internen Konten der Sparkasse zusammengezogen und sie über ein anderes internes Konto – das eigentlich nur für Geldeingänge gedacht war – auf ein Privatkonto bei der Deutschen Kreditbank in Berlin überwiesen. Zum Zeitpunkt als H. damit aufflog, waren 20 Einzeltaten schon verjährt. Die Frist dafür beträgt fünf Jahre. Übrig blieb somit „lediglich“ eine Summe von etwas über vier Millionen Euro, für die sich H. vor der Wirtschaftsstrafkammer verantworten musste.

Das Gericht verurteilte H. schließlich wegen 34 Fällen von gewerbsmäßiger Untreue. Lediglich fünf von den Einzeltaten wurden nicht mit einer besonderen Schwere bemessen, weil sie die einzigen waren, bei denen ein Betrag unter 50.000 Euro verschoben wurde.

Details über das Motiv

Bei der Eröffnung des Prozesses war die Öffentlichkeit ausgeschlossen, weshalb die genauen Details von H.s Motiv erst nach und nach in der Hauptverhandlung bekannt wurden. Demnach hatte der Angeklagte eine ausgeprägte Leidenschaft für SM-Sex-Praktiken, die er seitdem er 19 Jahre als war ausschließlich mit Prostituierten auslebte. Einige Zeit vor der ersten Untreuetat geriet er an ein hochpreisiges SM-Studio in Köln, wo er dazu überredet wurde, seine Phantasien in Verbindung mit Drogen auszuleben. Wie Staatsanwalt Matthias Rauch in seinem Plädoyer referierte, sollen diese „Sessions“ genannten Veranstaltungen erst zu branchenüblichen Preisen stattgefunden und später bis zu 15.000 Euro gekostet haben.

Im Laufe der Zeit, so schilderte H., sei er von Seiten des SM-Studios erpresst worden. Dem Gericht schilderte er, dass ihm nicht nur Fotos der Treffen zugespielt worden seien, sondern dass eine Frau aus dem Studio ihm sogar in den Familienurlaub gefolgt sei, um ihn dazu zu bringen, weiter an den Drogen- und Sexpartys teilzunehmen. Allein sie soll bis zu 1,7 Millionen erhalten haben.

Die Richter kurz vor der Urteilsverkündung.

Die Richter kurz vor der Urteilsverkündung.

Der Vorsitzende Richter Jost Holtzmann sagte, es sei nicht Aufgabe des Gerichts gewesen, herauszufinden, ob sich dieses Szenario wirklich so ereignet habe und ob es sich dabei um eine Erpressung im juristischen Sinne gehandelt haben könnte. Es habe keine expliziten Drohungen gegeben, jedoch sei wohl „subtiler Druck“ auf H. ausgeübt worden. „Es spricht nichts dafür, dass das falsch ist, was der Angeklagte berichtet hat“, sagte er. Die hohen Beträge seien irgendwann nicht mehr für die Entrichtung der Dienstleistungen des Studios gewesen, sondern um das Schweigen der Prostituierten zu garantieren. Weil er durch den Druck der Studios immer mehr Geld brauchte und die Belastung durch den Hausbau hinzu kam, habe er schließlich damit angefangen, Geld aus der Sparkasse abzuziehen.

Dass es sich bei dem Angeklagten um einen verheirateten 44-Jährigen Vater von drei Kindern handelte, der als Lokalpolitiker aktiv war, einen angesehenen Beruf ausübte und niemandem von seinen Verstrickungen erzählte, war für das Gericht keine Randnotiz – sondern ein zentraler Punkt bei der Urteilsfindung. „Sie haben ein Doppelleben geführt. Sie haben ihre bürgerliche Persönlichkeit komplett abgespalten und sich so einer hohen Gefahr ausgesetzt, die sich dann verwirklichte“, sagte Richter Holtzmann. Er betonte dabei, dass nicht H.s sexuelle Neigung an sich, sondern nur sein Umgang mit ihr zu kritisieren sei.

H. wollte nur von de Zinsen leben

Die eine Hälfte des veruntreuten Geldes gab H. dem Gericht zufolge für die mutmaßlichen Erpressungen und SM-Dienstleistungen aus, die andere Hälfte investierte er unter anderem in Aktien, Wertpapiere, Grundstücke und Mini-Goldbarren. Mehrere Millionen parkte er auch auf Konten, die er für seine Frau, seine Mutter und seine drei minderjährigen Kinder verwaltete. Bei einer ersten Vernehmung mit der Polizei hatte H. gesagt, er habe später mal nur von den Zinsen leben wollen.

Wie Richter Holtzmann erläuterte, wirkte sich vor allem H.s Deal mit der Sparkasse positiv auf das Urteil aus, In dem Vergleich verpflichtete er sich, die volle Summe von rund 8,7 Millionen und nicht nur den strafrechtlich relevanten Teil mit fünf Prozent Zinsen über dem Leitzins zurückzuzahlen. Allein mit den beschlagnahmten Summen, die sich noch auf diversen Konten befänden, komme man etwa auf 4,3 Millionen Euro – was bereits mehrere Tausend Euro über dem strafrechtlich nicht verjährten Betrag liege, sagte ein Sparkassen-Mitarbeiter vor Gericht. H.s Verteidiger Michael Simon machte jedoch deutlich, dass sein Mandant lebenslang Schulden haben werde.

Vertreter der Staatsanwaltschaft.

Vertreter der Staatsanwaltschaft.

In ihren Plädoyers waren Verteidiger Simon und Staatsanwalt Rauch anderer Meinung darüber, ob der geschlossene Vergleich über die volle Schadenssumme einen vollen Täter-Oper-Ausgleich nach § 46a StGB darstelle, was den Strafrahmen nach unten drücken würde. Da ein solcher Ausgleich ein erhebliches persönliches Opfer erfordere und das Geld der Widergutmachung aus den kriminellen Taten selbst stamme und sowieso eingezogen worden wäre, könne diese Regelung nicht angewandt werden, meinte der Staatsanwalt. Das Gericht gab letztlich dem Verteidiger Recht, indem es urteilte, dass die Herkunft des Geldes keine Rolle spiele. H. stehe die Erleichterung zu, da er sich verpflichtet habe, die volle Schadenssumme mit Zinsen zurückzuzahlen.

Richter Holtzmann sagte, die Wiedergutmachung sei zwar äußerst lobenswert, allerdings nicht vollumfänglich. So habe H. noch wenige Tage nachdem er aufgeflogen war Wohn- und Nutzungsrechte von Grundstücken und Gebäuden auf Familienmitglieder übertragen, um so die Vermögenswerte ihren Wert betreffend „zu entkernen“ und sie für eine Verwertung im Sinne der Sparkasse Oberhessen unattraktiv zumachen. Holtzmann erklärte jedoch, dass die Rechtezuteilung aus diesem Grund „fruchtlos“ sei und aufgehoben werden könne.

Kontrolle bei der Sparkasse hat „faktisch nicht stattgefunden“

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Seitens der Sparkasse eklatante Fehler begangen worden sind und eine Kontrolle der Arbeit des Angeklagten „faktisch nicht stattgefunden hat.“ Es sei im „vertretbaren und denkbaren“ Bereich, dass H. in einem aufwendigen Zivilprozess um die Wiedergutmachung der Sparkasse Oberhessen grobe Fahrlässigkeit hätte nachweisen können, was dazu geführt hätte, dass auch viele zivilrechtlichen Ansprüche der Sparkasse bereits als verjährt zu betrachten gewesen seien. Heißt im Klartext: Hätte H. es darauf angelegt, hätte er der Sparkasse Oberhessen wegen ihrer mangelhaften Kontrolle weit weniger bezahlen müssen, als er es nun freiwillig tun will. Auch das wertete das Gericht zu seinen Gunsten.

Trotz der fehlenden Kontrollmechanismen habe es dem Angeklagten allerdings „erhebliche kriminelle Energie“ abverlangt, seine Machenschaften mit internen Buchungen zu verwischen. Auch habe er nicht nur das Vertrauen seines Arbeitgebers, sondern das persönliche Vertrauen seiner Mitarbeiter missbraucht, um nicht aufzufliegen. Das habe das Gericht negativ bewerten müssen. Für den Angeklagten habe gesprochen, dass er bislang keine Vorstrafen habe und dass bereits während des Ermittlungsverfahrens extensiv mit unverpixelten Bildern in bundeweiten Medien über ihn berichtet worden sei, was eine Rückkehr in sein bisheriges Leben nach der Haft nahezu unmöglich mache.

Ein Sparkassen-Logo.

Ein Sparkassen-Logo.

Die bereits verbüßte U-Haft soll auf die Strafhaft angerechnet werden. Das Gericht hat die Möglichkeit der Revision zugelassen. Verteidiger Simon erklärte, sein Mandant werde die Entscheidung der Richter akzeptieren. Die Staatsanwaltschaft will hingegen prüfen, ob sie das Urteil annimmt.

Die Sparkasse Oberhessen begrüßte in einer Pressemitteilung das Urteil. Im Prozess sei die „hohe kriminelle Energie“ des Verurteilten deutlich geworden. „Begünstigt durch das Vertrauen in den Verurteilten wurden angewiesene Kontrollen innerhalb des bestehenden Kontrollsystems der Sparkasse Oberhessen von einzelnen Mitarbeitern nicht hinreichend erfüllt“, heißt es in dem Schreiben. Der Vorgang sei einmalig in der Bank, es seien alle „gebotenen“ personellen und organisatorischen Konsequenzen gezogen worden.

Im Zuge des Skandals wurde die Kontrolle des Rechnungswesens in eine externe Abteilung ausgelagert. Der direkte Vorgesetzte des Angeklagten wurde beurlaubt und soll die Sparkasse zum Jahresende verlassen. Einer Mitarbeiterin wurde gekündigt, die Sparkasse muss sie laut einem Gerichtsbeschluss aber weiter beschäftigen. Drei Mitarbeiterinnen wurden versetzt.

5 Gedanken zu “4 Jahre und 3 Monate Haft für Sparkassen-Mitarbeiter wegen veruntreuten Millionen

  1. Wie wirkt sich dieser Verlust auf die Gebühren der Sparkasse aus? Vordergründig wahrscheinlich null? Hintergründig …..!! Wie sagte mal ein Chef der Deutschen Bank über einen Verlust: Alles Peanuts. Aber für den kleinen Kunden ein Vermögen dass er indirekt bezahlen muss! Auch bei der Sparkasse.

  2. Diejenigen, die fürs Controlling verantwortlich sind und den Betrug erst ermöglicht haben, gehören wegen Beihilfe auch hinter Gitter.
    Wie oft habe ich mich schon über die Sparkasse Oberhessen geärgert – von total überhöhten Gebühren, Anlageverluste durch unfähige Depotverwaltung bis zu Schalterangestellten, die eine Ton am Leib haben wie ein altpreußischer Reserveoffizier.

  3. Der Prozess wurde im Eiltempo abgewickelt, und statt Offenheit gibt es von der Sparkasse Oberhessen weder wirkungsvolle personelle Konsequenzen noch eine Aufklärung, die der Sache angemessen wäre. Hier greift das Merkelsche Motto „Einfach weiter so“. Vertrauensbildende Maßnahmen in Richtung der Kunden und der Träger sehen anders aus. Bis auf wenige Ausnahmen war die Berichterstattung in den Medien leider auch nur sehr oberflächlich, ist sicher im Sinne des „Alles unter den Teppich kehren!“

  4. Also ich stimme Julius ungern zu. Aber hier hat er wirklich Recht.
    Die Strafe ist ob der Schwere des Betruges an den Kunden und der Allgemeinheit viel zu gering, zudem ist 4 Jahre warten bis es mit dem Restgeld endlich auf die Malediven geht ja auch eher ein Anreiz als eine Abschreckung für Nachahmungstäter.

    Wieder mal: Armes Deutschland mit dieser Justiz.

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