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Peter Hendreich aus Görzhain hat eine besondere Beziehung zu alten FahrzeugenHistorische Trecker und Trucks töpfert er aus Ton

GÖRZHAIN. Wenn Peter Hendreich auf dem Sofa sitzt, dann ist er umgeben von mehreren 10.000 PS. Also, zumindest kann man das theoretisch so sagen. Der 49-Jährige fertigt Modelle von alten Traktoren und Lastwagen aus Ton. Sein nicht ganz alltägliches Hobby ist für ihn kein bloßer Zeitvertreib, vielmehr ebnete es dem gelernten Metzger den Weg hinaus aus einer schweren Lebenskrise. 

Seine Lieblinge füllen mehrere Meter Regal. Gut 50 Schlepper, Anhänger, Lastwagen, Baumaschinen und Autos erwarten Peter Hendreich, wenn er sein Zimmer betritt. Und das sind nur die Stücke, die er selbst behalten hat und an prominenter Stelle aufbewahrt. Insgesamt, so schätzt er, hat er in den vergangenen sechs Jahren über 150 Figuren erschaffen – darunter auch ein paar Entenbraten und saftig aussehende Steaks, alles aus Ton.

Peter Hendrich, so erzählt er von sich selbst, war schwer alkoholabhängig. Weil er betrunken gewesen ist, verpatzte er die Abschlussprüfung zum Altenpfleger. Es wäre die dritte Ausbildung gewesen, die der gelernte Metzger und Landwirt heute vorzuweisen hätte. Während einer Therapie kam die Idee auf, etwas Sinnvolles in seinem Leben zu finden. Jetzt füllt er die Zeit, die er früher im Suff zu ertränken suchte, mit Kreativität und Schöpfungskraft. Die Überlegung sei ja gut, aber so, wie er das vor habe mit dem Ton und den großen Fahrzeugen, so ginge das nicht, hätten die Leute bei der Therapie damals gesagt. Peter Hendreich bewies ihnen das Gegenteil.

Der erste Versuch ging schief. Oder doch nicht?

Er schnappte sich einen Klumpen nichtssagenden Ton und wurstelte so lange an ihm herum, bis er die Gestalt eines alten Traktors annahm. Peter Hendreich greift auf das oberste der vier Regale über seinem Sofa und zeigt seinen ersten Versuch. Die Glasur der milchig-grasgrünen Gefährts sei ein wenig daneben gegangen, sagt er. Andererseits sehe das eigentlich gar nicht so schlecht aus.

Fehler zu machen ist für ihn nicht schlimm. Fehler sind gut. Beim Töpfern kann so einiges schief gehen. Kaum nimmt er zu viel Ton, zerspringt sein Werk im Brennofen in Scherben. Versuchen, scheitern, weiter probieren – und dabei nicht ausrasten oder den Mut verlieren. Das sind genau die Dinge, die Peter Hendrich durch sein Hobby wiedererlernt hat. „Das finde ich wichtig für jeden, der solche Suchtprobleme hat: Sich etwas suchen, mit dem die Zeit sinnvoll rumgeht und nicht gleich aufgeben, wenn mal was nicht klappt“, sagt er. In der Alsfelder Bio-Metzgerei, einer Einrichtung von Hephata, hat Peter Hendreich einen Job bekommen.

Der Blick von oben: Peter Hendreich formt einen Schlepperreifen.

Der Blick von oben: Peter Hendreich formt einen Schlepperreifen.

In der Waschküche des Bauernhofs, auf dem er zu Miete wohnt, hat er in einer Ecke sein kleines Atelier eingerichtet. Bockwurstdosen mit Farbklecksen an den Rändern dienen als Pinselhalter, an an der Oberkannte eines Regals hängt eine Reihe Fotos von historischen Bulldogs. Der blaue da hinten in der Ecke, sagt Peter Hendreich in seien Künstlerkittel gehüllt und tippt mit einem Zollstock auf das Foto, der soll der nächste sein.

Ein Schnappschuss, eine alte Postkarte, mehr brauch er nicht, um aus einem Klumpen Lehm und ein wenig Wasser seine Modelle entstehen zu lassen. Das heißt, Modelle sind es eigentlich nicht, sagt Peter Hendreich, und er sei auch nicht wirklich ein Modellbauer.

Denen geht es nämlich vor allem darum, ein Original möglichst perfekt in Klein nachzubauen. Peter Hendreich macht sich hingegen über den Klumpen Dreck her, um in gewisser Weise etwas lebendiges zu erschaffen. So lebendig jedenfalls, wie alte Landmaschinen und Lastwagen sein können. „Ich mache Kunst am Modell, so könnte man das vielleicht sagen“, erklärt er.

Details ja, aber nicht stur nach Vorlage

Er achtet auch auf Details, aber eben anders, als jemand, der stur nach Vorlage oder sogar Originalplänen in Miniatur kopiert. Sein Truck mit den alten Holzplanken, zum Beispiel. Die Ladefläche ist krumm und schief, die tiefen, dunkeln Risse in den Blanken verraten, dass das Gespann schon etliche Kilometer über die Straßen gejuckelt ist.

Das ist die Art von Leben, die Peter Hendreich in seinen Figuren sehen will. Deswegen nimmt er sich stundenlang Zeit, um mit Zahnstochern Konturen zu formen oder um mit Holzstäbchen Schlepperreifen ihr grobes, griffiges Profil zu verleihen. So etwas wie die Struktur der Ladefläche ließe sich nur mit Ton herausarbeiten, sagt er. Modelle aus Plastik oder Metall interessieren ihn nicht. Zu trocken, zu steif, sagt Peter Hendreich.

Der Schlamm ist noch dran: Peter Hendreich mag es, mit kleinen Details seinen Figuren Leben einzuhauchen...

Der Schlamm ist noch dran: Peter Hendreich mag es, mit kleinen Details seinen Figuren Leben einzuhauchen…

...deswegen schaut aus einem der Säcke vor dieser Dreschmaschine auch ein kleines Mäuschen raus...

…deswegen schaut aus einem der Säcke vor dieser Dreschmaschine auch ein kleines Mäuschen heraus…

... manchmal drapiert er ganze Szenen um seine Fahrzeuge, so wie bei diesem Holzwagen hier.

… und manchmal drapiert er ganze Szenen um seine Fahrzeuge, so wie bei diesem Holzwagen hier.

Noch etwas findet der Künstler langweilig: Kriegsgerät. Ein Freund hat ihm das Plastikmodell eines Panzers da gelassen, mit der Bitte, es doch in Ton nachzubauen. Peter Hendreich, der selbst gedient hat, freut sich eher weniger darüber. „So ein Panzer ist ein depressiver Gegenstand“, sagt er. Der Verherrlichung von Kriegsgerät könne er nichts abgewinnen.

Viel lieber lässt er den Gefährten, die er selbst von früher kennt, in klein wieder auferstehen. Die alten Maschinen, sagt er, erinnern ihn an die Zeit, in der „die Welt noch in Ordnung“ gewesen ist. Peter Hendreich ist am Land in der Nähe von Wetzlar aufgewachsen, sein Vater war Lastwagenfahrer, der Sohn ist oft vorne am Bock mitgefahren. Daher kommt seine Vorliebe für alte Trecker und Trucks.

Das Wiedererkennen zählt

„Ich freue mich, wenn das jemand erkennt und sagt, so ein Fahrzeug habe ich früher selbst gefahren, besessen oder bin als Kind mal drauf gesessen“, sagt Peter Hendreich. Neulich hat ihm ein Arbeitskollege das Modell eines alten Unimogs abgekauft, aus genau diesem Grund. „Der sieht genau so aus wie der Unimog, den wir früher hatten“, sagte der Mann.

Hat einen Arbeitskollegen von Peter Hendreich glücklich gemacht: Das Ton-Modell eines alten Unimogs.

Hat einen Arbeitskollegen von Peter Hendreich glücklich gemacht: Das Ton-Modell eines alten Unimogs.

Manchmal lässt er aber auch seine Phantasie freien Lauf. Dann kommt so etwas wie die kleine Kettensäge heraus, die er mit einem BMW Boxermotor ausgestattet hat. Das gibt es in freier Wildbahn so natürlich nicht, Peter Hendreich macht es aber Spaß, sich das zumindest mal vorzustellen.

Sein Lieblingsstück hat allerdings schon ein reales Vorbild. 15 Kilo schwer und über einen halben Meter lang ist das Modell einer Kettenraupe der Firma Kaelble. Knapp 50 Stunden hat er daran gesessen. Einen Tieflieger zum Transport des gelben Ungetüms gibt es ebenfalls, nur ist der eine Nummer zu klein. Ein neuer ist bereits in Planung. Wie bei allen seinen größeren Modellen, so sind auch die wichtigen Teile des Bulldozers beweglich. Das Schild an der Front und der Aufreißer am Heck lassen sich, wenn auch nur leicht, anheben.

Peter Hendreich neben seinem Lieblingsstück: Das Modell einer alten Kettenraupe der Marke Kaelble, Gewicht: 15 Kilo.

Peter Hendreich neben seinem Lieblingsstück: Das Modell einer alten Kettenraupe der Marke Kaelble, Gewicht: 15 Kilo.

Wer solch ein von Peter Hendreich gefertigtes Modell auch zu Hause haben will, der muss jetzt stark sein: Im großen Stil verkaufen will der Künstler seine Werke nicht, nur für gute Bekannte macht er mal eine Ausnahme. Der Künstler versichert: Auch ohne Aufträge von Fremden hat er noch genug Ideen, die er mit seinen Händen und einem Klumpen Ton wahr werden lassen möchte.

Hier entsteht ein neuer Traktor: Peter Hendreich bei der Arbeit.

Hier entsteht ein neuer Traktor: Peter Hendreich bei der Arbeit.

Von Juri Auel – mehr über den Autor 

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