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Kolumne "Rike's Report" am Samstag: Dank an den Arzt statt Sodom und Gomorrha!Der nächste bitte!

Jeder Mensch hat Anforderungen: das Brot nicht zu dick, den Kaffee nicht zu süß, das Steak nicht zu durch. Oder auch: die Zahnärztin nicht zu hässlich, den Angiologen nicht zu alt, die Orthopädin nicht zu hektisch. Was der Patient vom Arzt will, sprengt des Öfteren den Rahmen: Sich Zeit nehmen für jedes noch so kleine Wehwehchen ist laut den Kranken Pflicht. Gegen eine halbe Stunde Sprechzeit haben viele nichts einzuwenden – aber bitte nicht länger als fünf Minuten im Wartezimmer, egal ob mit oder ohne Termin. Wie passt das zusammen? Gar nicht! Darf ich vorstellen: Der ganz normale Arzt-Patienten-Wahnsinn.

Ich hasse Wartezeiten: drei Stunden beim Hautarzt, fünf Stunden in der Notaufnahme, sechs Stunden im Orthopädischen Zentrum. Ganz egal, welche medizinische Fachrichtung man wählt, welchen Profi man braucht, auf welchen Arzt man auch wartet: Es kostet oftmals jede Menge Zeit. Wenn man schließlich aufgerufen und in das Behandlungszimmer gebeten wird, darf man wieder: Warten. Bis sich Herr oder Frau Doktor endlich in den Raum bequemt, zwei Fragen stellt, ein Rezept unterschreibt und einen nach fünf Minuten wieder auf den Flur schickt. Zwar hat man dann in den meisten Fällen was man will – Diagnose, Maßnahme, Medikament – doch eine vollkommene Zufriedenheit will sich nicht einstellen, ein kleines Fünkchen Missmut bleibt. Und das jedes Mal aufs Neue. So dachte ich. Seit ich jedoch selbst Medizin studiere, hat sich der Missmut verwandelt – und zwar in Verständnis. Unverständlich? Keineswegs.

Im Medizinstudium lernt man viel: die Anatomie des Menschen, vom Knochen über Muskeln bis hin zu jeder noch so kleinen Nervenfaser. Zellaufbau, physikalische Gesetzmäßigkeiten und chemische Prozesse. Krankheiten, Diagnosen, Heilungsmöglichkeiten – Medizin gilt nicht ohne Grund mit als der anspruchsvollste Studiengang, den es gibt. Doch nicht nur der Körper spielt eine wichtige Rolle: Im Laufe der knapp sechs Jahre an der Uni, lernen wir auch, was sich zwischen den Menschen so alles abspielt – oder abspielen sollte. Somit stehen Psychologie und Soziologie neben Biologie und Co. ganz oben auf dem Stundenplan – und sind auf den zweiten Blick gar nicht so unwichtig.

Denn eine der großen zu klärenden Fragen in den ersten Semestern lautet: Wie muss ich mich als Arzt verhalten, was erwartet der Patient von mir?

Nach persönlichen Recherchen und reichlich Input von seitens der Dozenten wird mir nun Folgendes klar: Ganz so einfach ist das nicht mit der Arzt-Patienten-Beziehung. Viel fachspezifisches Wissen soll er besitzen, der liebe Doktor – aber bitte so reden, dass man es auch versteht. Konzentriert soll er sein, fit und immer bei der Sache – aber Frühstückspausen? Unverantwortlich! Zeit soll Frau Ärztin sich für mich nehmen, soviel wie der Minutenzeiger hergibt – aber man möchte bitte auf keinen Fall mehrere Minuten im Wartebereich verbringen, denn man hat schließlich noch Besseres am Tag zu tun. Nicht allzu selten artet die Situation bei vielen Patienten aus: Dass man dann auch mal den Orthopäden mit Reizhusten und den Zahnarzt mit Fußschmerzen konfrontiert, ist selbstverständlich – immerhin sitzt einem ein Mediziner gegenüber. Also: Hau raus, was Dir wehtut, Patient!

Doch die Anforderungen der lieben Kranken sind leider alles andere als hieb- und stichfest: Zwischen Wunsch und Realität besteht meist eine unüberbrückbare Kluft. Denn das was sie erwarten und als selbstverständlich empfinden, ist im Praxisalltag schlichtweg nicht möglich – und das nachvollziehbarerweise.

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„Zeit ist das, was man an der Uhr abliest.“ – Albert Einstein. Foto: fg.

Nicht, dass ich es nicht immer noch unendlich nervtötend finde, wenn ich die Hälfte meines Tages auf unbequemen Plastikstühlen sitzen muss. Zu allem Überfluss informiere ich mich dann auch noch über das Leben der „very important persons“: Die neusten Modetrends, wer wen wann mit welchem Küchenmädchen betrogen hat und welche kleine Prinzessin bei welchem königlichen Anlass den Mund verzogen hat. Kurzum: Auch ich hätte eigentlich Besseres zu tun – lernen zum Beispiel.

Dennoch weiß ich inzwischen, dass es hinter den Kulissen nicht so geschmeidig abläuft, wie man es als Zuschauer vielleicht erwartet. Und deshalb bin ich weniger von der Wartezeit, als mehr von den unangebrachten Kommentaren seitens meiner Sitznachbarn genervt.

Bedeutet: Zum Wohle des friedlichen Miteinanders und als Zeichen Eurer Geduld, liebe Patientinnen und Patienten, bitte hört auf, ständig wegen allem immer nur zu meckern! Und zeigt wenigstens ein bisschen Verständnis. Denn auch Herr und Frau Doktor haben viel im Kopf. Sie müssen sich auf jeden Besucher neu einstellen, sich fokussieren und sind (hoffentlich) stets bedacht jedem gleichermaßen eine entsprechende Behandlung zukommen zu lassen– egal ob dieser jemand 22 oder 89 ist, frisch geduscht, oder seit Wochen keine Seife mehr gesehen hat, fließend drei Sprachen spricht oder seine Nachbarin als Dolmetscherin dabei hat.

Wie wäre es also statt Sodom und Gomorrha zu schreien, mal mit einem Dankeschön? Denn sind wir mal ganz rational und ehrlich: Mediziner sind auch nur Menschen. Auch wenn man zugeben muss, dass manche der Bezeichnung „Halbgötter in Weiß“ schon betörend nahekommen.

 

Ein gesundes Wochenende!

Ihre Rike

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