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Die Vogelsbergbahn und ihre Tücken, Stärken und Schwächen - Teil II: Seit Jahren kein Halt mehr in Wallenrod und RenzendorfWenn die Bahn an einem vorüberfährt

WALLENROD (cdl). Seit fünf Jahren hält die Bahn nicht mehr in Wallenrod und in Renzendorf. In Wallenrod fordern einige Bürger weiterhin den Bahnhaltepunkt wieder einzuführen – mit wenig Aussicht auf Erfolg.

Die beiden Bahnhöfe wurden damals geschlossen, weil die Hessische Landesbahn (HLB) den Auftrag bekommen hatte, einen Stundentakt zwischen Fulda und Gießen einzuführen.* Das sei nur durch die Schließung der beiden Haltestellen möglich, hieß es damals bei der HLB. Die Bürger sind da anderer Meinung: Nach ihrer Berechnung verlängert sich die Fahrzeit durch einen Halt in Wallenrod um lediglich zwei Minuten. Erst Ende des vergangenen Jahres haben sie nochmals einen Vorstoß bei Bürgermeister Rainer-Hans Vollmöller unternommen, erzählt der Wallenröder Ortsvorsteher Karl-Heinz Butzer.

Das größte Ärgernis für die Wallenröder ist, dass es sich in Wallenrod um einen Kreuzungsbahnhof handelt. Die Züge würden sowieso oft halten und auf den entgegenkommenden Zug warten. Dennoch sei das Ein- und Aussteigen nicht möglich. „In diesen Fällen hat das überhaupt keine Auswirkung auf die Fahrzeit“, so Butzer. Für die Schüler, die nach Alsfeld in die Schule gehen, hat sich seitdem die Fahrzeit extrem verlängert. Der Zug braucht gerade einmal zehn Minuten zum Alsfelder Bahnhof. Mit dem Bus, der viele unterschiedliche Dörfer anfährt, sind die Schüler über 40 Minuten pro Strecke unterwegs, berichtet die Sprecherin der Wallenröder Bürgerinitiative „Halt statt ALT“.

Als Alternative zum Bahnhaltepunkt wurde das ALT eingeführt

ALT ist die Abkürzung für „AnrufLinienTaxi“. Sie kommen als Ersatzlinienbusse außerhalb der Fahrtzeiten der Schulbusse zum Einsatz und wurden mit dem Wegfallen der Bahnhaltepunkte eingeführt. Der Fahrtpreis kostet allerdings nur so viel, wie ein Busticket. Für Stefan Sitzmann vom Fahrgastverband „Pro Bahn & Bus“ hat sich das Konzept in den vergangenen Jahren bewährt. Das ALT habe gerade im Raum zwischen Alsfeld und Lauterbach viele Haltestellen und man komme aus den umliegenden Ortschaften sowohl nach Alsfeld als auch nach Lauterbach. Somit sei das Netz des öffentlichen Personennahverkehrs sogar erweitert worden.

Die Sprecherin der Wallenröder Bürgerinitiative sieht das anders. Im Wallenröder Bahnhof seien Flüchtlinge untergebracht. Bisher sei es nicht gelungen, ihnen zu vermitteln, dass es sich im Prinzip um einen kostengünstigen Bus handelt. Sie würden einfach nicht begreifen, warum der Zug zwar halte aber niemand Ein- oder Aussteigen dürfe und sie ein teueres Taxi nehmen sollten.

Ein weiteres Argument, dass die Wallenröder seit dem Wegfallen des Bahnhaltepunktes vorbringen, ist, dass ihre Immobilen durch den Rückbau der Infrastruktur an Wert eingebüßt haben.

 

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In Richtung Lauterbach hielt der Zug nicht und rauschte durch den Bahnhof.

Steigende Fahrgastzahlen auf der Linie 35

Das Wegfallen des Haltepunkts sieht Sitzmann jedoch ebenfalls mit gemischten Gefühlen. „Als Verband bedauern wir weiterhin das Wegfallen des Kreuzungsbahnhofs“, so Sitzmann. Ausgerechnet zwischen Sickendorf und Wallenrod werde die höchste Geschwindigkeit mit 110 Stundenkilometern auf der kompletten Strecke zwischen Fulda und Gießen erreicht. Das sei für den Betreiber ein ausschlaggebender Punkt gewesen. Ein Haltepunkt in Wallenrod sei dennoch begrüßenswert.

Positiv sieht Sitzmann jedoch die aktuelle Entwicklung der Linie 35 – die offizielle Bezeichnung der Zugstrecke zwischen Fulda und Gießen. Die Fahrpläne seien verdichtet worden und die Fahrgastzahlen auf der Strecke stiegen seitdem kontinuierlich an. Ob man den Haltepunkt in Wallenrod zumindest beim Kreuzungsverkehr wieder nutzen könnte, sei ein politische Entscheidung. Der Kreis müsse für jeden Haltepunkt zahlen. Einfacher sei der Fall bei der Haltestelle Renzendorf. Dort habe man wenige Argumente gehabt. Das Einzige, was dort Sinn gemacht hätte, wäre die Diskussionen vor 15 bis 20 Jahren wieder aufzunehmen und den Haltepunkt in den Nachbarort zu verlegen. „Die Fahrgastzahlen in Renzendorf waren verschwindend gering.“

Einschnitt für Berufspendler

Für einen langjährigen Wallenröder Pendler bedeutete das Wegfallen des Haltepunktes einen massiven Einschnitt. Er war bis vor wenigen Monaten täglich knapp sechs Stunden (drei Stunden pro Strecke) mit dem Zug nach Südhessen zur Arbeit unterwegs. Doch bevor er mit dem Zug fahren konnte, musste er mit dem Auto nach Lauterbach. Somit hatte seine Frau das Auto nicht mehr zur Verfügung. Einen zweiten Wagen wollte sich die Familie aus Kostengründen aber nicht anschaffen.

Für ihn sei das Pendeln mit dem Zug dennoch alternativlos gewesen. Es habe zwar deutlich länger gedauert wie mit dem Auto, dennoch sei die Fahrt mit dem Zug angenehmer. Klar habe er auch mal über einen Firmenwagen nachgedacht. Aber alleine aus Kostengründen sei das nicht infrage gekommen. Der Zug sei im Monat 300 Euro billiger. Da er ein eigenes Haus in Wallenrod besitzt und dort verwurzelt ist, stand auch ein Wohnortwechsel nie zur Debatte. Mittlerweile hat er den Job gewechselt und der tägliche Weg zur Arbeit ist deutlich kürzer geworden.

Die Bahn Linie 35

Die HLB setzt seit Kurzem den „Verstärkerzug“  Lint 54 auf der Strecke ein. Foto: Pro Bahn & Bus

Mit dem Wegfallen der Haltepunkt ging Infrastruktur verloren

Thomas Kern aus Brauerschwend pendelt seit 16 Jahren von Lauterbach nach Frankfurt mit dem Zug. Das Wegfallen der Haltepunkte sieht er äußerst kritisch, auch wenn er selbst nur indirekt betroffen ist. Denn bereits seit dem ersten Tag fährt er zunächst mit dem Auto nach Lauterbach, weil zu seinen Fahrtzeiten, in Verbindung mit dem Anschlusszug in Fulda, die Züge früher schon nicht alle in Renzendorf hielten.

Für den selbst erklärten, begeisterten Bahnfahrer ist die Bahn äußerst wichtig für die Infrastruktur einer Region. „Sie ist kostengünstiger als der Pkw, umweltfreundlich und dort wo Schienen liegen, brauche es keine Busse und schon gar kein ALT“, so Kern. Die Fahrplanverdichtung und Fahrtdauer hätten seiner Meinung nach auch ohne das Wegfallen der Haltepunkte umgesetzt werden können. Es müsse irgendwo nur ein Rollstuhlfahrer zusteigen und schon hätte sich das mit den zwei Minuten schnellerer Fahrtzeit erledigt. Damals habe die Politik versagt, denn jeder Haltepunkt koste den Kreis Geld und man habe am falschen Ende gespart.

Wenn man Menschen in die Region locken wolle, sei die Bahn für viele Menschen ein wichtiges Argument. Ein Haus mit Bahnanschluss in Renzendorf oder Wallenrod habe einen viel höheren Wert. Die Orte hätten dadurch direkten Anschluss an die Mittelzentren Fulda und Gießen. Fulda liegt zudem an der Nord/Südtrasse mit direkten ICE-Anschlüssen. Von Fluda nach Berlin sei man mit dem ICE nur drei Stunden unterwegs. „Schneller, bequemer und billiger geht es nicht.“

Die Bahn bringt mehr Vorteile als der Pkw

Er selbst sieht in der Nutzung der Bahn viele Vorteile und nutzt die Bahn neben dem täglichen Pendeln auch privat wie etwa Wochenendausflüge nach Berlin oder München. Für ihn ist das Bahnfahren die bequemste Art der Fortbewegung. Mit dem Auto könnte er pro Strecke etwa eine halbe Stunde schneller sein und dadurch täglich circa eine Stunde Zeit einsparen. Jedoch sieht er die Zeit nicht als verloren an, denn Tätigkeiten wie für den Ortsbeirat oder Vereinsarbeit erledigt er oft im Zug. Darüber hinaus nutzt er die Zeit in der Bahn, um seinen Arbeitstag zu reflektieren und sieht die Fahrt somit als Zeitgewinn.

Gerade bei jungen Menschen habe er beobachtet, dass für sie sogar einer Viertelstunde zähle, und rät ihnen zur Entschleunigung durch das Nutzen der Bahn zum Arbeitsplatz. Autofahren empfindet er dagegen als verlorene Zeit. Seit die HLB die Linie 35 betreue, komme es im Gegensatz zu früher praktisch kaum noch zu Verspätungen und er habe seit der Übernahme der Bahnstrecke durch die HLB vor fünf Jahren, gerade morgens, fast keinen Anschlusszug mehr verpasst. Daher richtet er seine Kritik ausschließlich gegen die politischen Versäumnisse und nicht gegen den Streckenbetreiber. Er ist der festen Überzeugung, dass die HLB den Stundentakt auch mit zwei Haltestellen mehr einhalten könnte.

* Nicht die HLB wollte den Stundentakt einführen, sondern die Aufgabenträger. Mittels Ausschreibung wurde HLB als günstigerer Anbieter für fest geschriebene Dienstleistung ermittelt.

 

 

 

 

4 Gedanken zu “Wenn die Bahn an einem vorüberfährt

  1. Also, der Herr Esser hat meiner Ansicht schon recht, mit seinen Angaben. Das kann ich mal ganz entspannt behaupten, da ich selbst Tf bin und die Strecke mehrfach die Woche befahre.
    Gefährliches Halbwissen hier.

  2. Die von Hr. Esser beschriebenen Streckenabschnitte sind, wenn überhaupt, reine Theorie.
    Entscheidend ist dass was der Triebwagen der HLB wirklich fährt.
    Wer mit einem GPS-Gerät die Strecke abfährt bekommt,zumeist, allerhöchstens 110 km/h angezeigt.
    120 km/h nur an max. zwei/drei Abschnitten für wenige Sekunden….und auch nur dann wenn er es sehr eilig hat.
    Einer dieser Abschnitte liegt bei Wallenrod….
    Aber auch hier wird in der Regel die oben erwähnte 110 km/h gefahren

  3. Also wer täglich 6 Stunden pendelt und dann erst einen Wegfall eines Halts in Wallenrod braucht, um einen Jobwechsel in Betracht zu ziehen… Ohne Worte. Sollte man hier lieber nicht als Argument für den „Pendlerbahnhof Wallenrod“ bringen.

    Und die Immobilienpreise sind seit dem auch unter Frankfurter Niveau abgestürzt… Ist doch sonst alles so teuer im Vogelsbergkreis.

  4. Die Höchstgeschwindigkeit zwischen Fulda und Gießen beträgt 120 Km/h….
    Und zwar : km 80,1 – 82,2 (lauterbach – angersbach); km 13,8 – 20,1 (reiskirchen – göbelnrod) sowie km 7,8 – 9,9 (gießen – großen buseck)
    Mfg

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