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Müllfahrer, Künstler: Siegfried Schmelz schreibt zornige Gedichte und Lieder„Man kann schon ein bisschen anecken!“

LAUTERBACH. Er war mal engagierter Bio-Landwirt und fährt heute ein Müllauto – eines aber durchzieht sein Leben wie ein roter Faden: die Liebe zu Kunst, zur Musik, und damit kennt man ihn seit langem in Lauterbach. Jetzt wagt sich Siegfried Schmelz mit einem Gedichtband und einer eigenen CD auf den Markt – ohne größere Verkaufserwartungen. Aber das macht nichts: Er will zeigen, dass man auch ohne Studium künstlerisch aktiv sein kann. Ermutigung zum Nachmachen.

Kunst ist für den 57-Jährigen mehr als eine spielerische Ausdrucksform. „Kunst ist für mich eine Art Ventil“, erzählt er. Das kann man nachlesen, wenn man in seinem Gedichtband „Man sagt…“ blättert: eine Sammlung tiefschürfender Gedankensplitter über das Leben und die Menschen und wie sie miteinander umgehen, nur selten in Reimform, dafür von selbst gemalten Bildern begleitet. Als Ganzes ergeben sie das Motiv, das dem Dichter vorschwebt: Kritik an der Denkweise in der Gesellschaft. Hermann Hesse, Franz Kafka, Martin Walser sieht er als gedankliche Verbündete und erklärt seinen Drang zur Versform: „Das schöne an Gedichten ist, man kann mit ein paar Worten das ganze Leben erklären.“

„Begegnungen mit Hermann Hesse“, beschreibt der Barde selbst seine CD, deren Titel „Zwischen Nacht und Morgen“ Geheimnisvolles verschpricht. Gewisse Einblicke gewährt er auf seiner Website lautermusic. Da lässt sich denn auch nachvollziehen: Der Künstler hat sein Publikum.

„Ich pfeif auf sie, die feine Gesellschaft.“

„Nicht nur für Verrückte“, schreibt der Dichter vorne in den Band wie warnend. Es passt: Der Band klingt insgesamt ein bisschen nach Zorn, vor allem, wenn er im Nachklapp schreibt: „Ich pfeif auf sie, die feine Gesellschaft.“

Dabei ist Siegfried Schmelz vor allem Musiker. „das mache ich, seit ich 13 bin“, erzählt er bei einem Besuch in der Redaktion von Oberhessen-live. Das Müll-Auto hat er zur Pause vor der Tür geparkt und kommt mit Gitarre unter dem Arm hereinspaziert: der musizierende Müllfahrer. Der Proletarier mit Kunstgefühl. Damals, als er in verschiedenen ‚Unterhaltungsbands spielte, hatte er „schnell die Nase voll, immer nur Sachen nachzuspielen“. Er fing an, eigene Lieder zu schreiben und zu spielen. Erst einige, dann nur noch. Heute sind seine Lieder vor allem Vertonungen seiner Gedichte.

So und in der Bütt beim Lauterbacher Carnevalverein hat er sich einen Namen gemacht. Doch an die Kunst hat er vor allem ein persönliches Anliegen: „Kunst ist für mich ein  Ventil gegen die Depression.“ Wenn er ermüdet von der Arbeit heimkommt, dann kann er im Studio an der Staffelei oder mit der Gitarre entspannen. Und als ihn mal tiefe Depressionen, „eine Art Burnout“, überfielen – stark genug, dass er nicht mehr arbeiten konnte – da half ihm die Arbeit an Bildern, Worten und Liedern aus dem Loch.

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„Ein bisschen anecken“: Siegfried Schmelz hat einen Gedichtband und eine CD herausgebracht.

Das wirkt dann so entspannend wie Wüste, die er einmal im Jahr aufsucht und sich damit eine Ausnahmevom ökologisch orientierten Leben erlaubt: drei Wochen in Marokko am Rand der Sahara. Ballermann – dafür lohnt es sich nicht zu fliegen. Aber bei den Beduinen zu wohnen, ist etwas anderes. Deren einfaches Leben hat es dem Bioland-Mitbegründer angetan: „In der Wüste kann man sich verlieren.“

Siegfried Schmelz stört es wenig, dass sein Sendungsbewusstsein in Gedichten und Liedern längst nicht jeden erreicht. „Zorn im Buch?“, fragt er im Gespräch. „Wirklich?“ Nun, der Eindruck sei nicht schlimm: „Man kann schon ein bisschen anecken!“

Von Axel Pries

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