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Zwei Sichtweisen auf das Corona-ExperimentPro und Contra: Modellprojekt Alsfeld – ist das jetzt eine gute Idee?

MeinungALSFELD. Alsfeld ist Modellstadt. Mit Tests und gutem Konzept sollen dort wieder Öffnungen möglich sein – mitten in der dritten Corona-Welle. Ist das eine gute Idee? OL-Verleger Torsten Schneider und Chefredakteur Juri Auel haben dazu unterschiedliche Meinungen. Ein Pro und Contra.

Torsten Schneider, Pro: Die Menschen müssen gerade jetzt ihr Handeln selbst bestimmen können

Sicherlich hat die Kanzlerin aufgrund der aktuellen Entwicklung der Corona-Kennzahlen damit recht, dass gerade eher eine Verschärfung der Maßnahmen nötig wäre, anstatt weitere Lockerungen zu ermöglichen. Allerdings läuft die Politik aufgrund vieler unglücklicher, nicht nachvollziehbarer und falscher Entscheidungen Gefahr, die Unterstützung der Bevölkerung zu verlieren.

Zu was es führt, wenn immer mehr Menschen aufhören, Regeln zu befolgen, sehen wir in dem, was gerade geschieht. Immer mehr Menschen beschweren sich, halten die Maßnahmen rund um das Coronavirus für übertrieben, unnötig oder wittern gar eine Verschwörung. Das hat zuletzt die Querdenker-Demonstration mit laut Polizei mehr als 20.000 Teilnehmern in Kassel gezeigt, wird aber auch deutlich bei abendlichen Spaziergängen durch Wohngebiete. Denn dort sieht und hört man, wie sich offenbar unbekümmert auch viele Mitbürger aus der Mitte der Gesellschaft über die beschlossenen Maßnahmen hinwegsetzen.

Daher ist es an der Zeit, den Menschen die Verantwortung für ihr Handeln zu übertragen. Das Projekt „Corona-Modellkommune“ ermöglicht genau das. Denn nur wenn die Menschen sich im Öffentlichen wie Privaten entsprechend verhalten, die geltenden Corona-Regeln beachten und damit aktiv dazu beitragen, die Infektionen niedrig zu halten, sind Öffnungen in Einzelhandel, Gastronomie und allen anderen Bereichen möglich. Wie erfolgreich das Projekt wird, wie lange es geht oder ob es überhaupt startet, liegt nunmehr an uns selbst. Schaffen es die rund 100.000 Menschen im Vogelsberg, die Inzidenz „stabil unter 200“ zu halten, ist vieles denkbar. Schaffen sie es nicht, droht der Abbruch des Projekts.

Wenn in Alsfeld, als eine von drei hessischen Städten, am 8. April im ersten Schritt die Geschäfte wieder öffnen dürfen, können die Menschen der Region beweisen, wie ernst es jedem Einzelnen wirklich um die sooft zitierte „Freiheit“ ist. Dann werden wir sehen, ob nach einigen Tagen in Schritt Zwei auch die Gastronomie geöffnet werden kann oder doch wieder der Einzelhandel schließen muss – dann aber mit dem Unterschied, dass man es sich nicht mehr einfach machen und die Schuld auf die Politik schieben kann. Dann sind wir alle mit dafür verantwortlich, wie es weitergeht. Im Positiven wie im Negativen. Wir haben die unmittelbare Konsequenz unseres Handels quasi selbst in der Hand – nach 12 langen Monaten endlich wieder das erste Mal.

Und deshalb ist es richtig, auch – oder gerade – in dieser schweren Zeit, die Verantwortung, zumindest in kleinen Teilen, an die Bevölkerung zurückzugeben.

Modellkommune Alsfeld: Was halten heimische Unternehmer davon?

Juri Auel, Contra:  Das Modell-Projekt kommt zu früh

Irgendwie war es ein Reflex. Als man nach der Entscheidung des Landes, Alsfeld zur Modellstadt zu machen, Bürgermeister Stephan Paule anrief, rutschte einem ganz automatisch ein „Glückwunsch!“ heraus. Paule bedankte sich, höflich wie er ist, das Gespräch war sehr kurz – und dennoch konnte man durchs Telefon deutlich merken, wie sehr sich der CDU-Politiker über die Neuigkeiten aus Wiesbaden freute.

Die Kanzlerin, Paules Parteikollegin, denkt da anders. Sie ist strikt gegen Modellprojekte, so wie es jetzt eines in Alsfeld geben soll. Sie glaube nicht, „dass das ein Weg ist, der uns zum Brechen der dritten Welle führt“, sagte sie bei „Anne Will“. Öffnungen, auch im Rahmen begrenzter Projekte, hält Angela Merkel zu dieser Zeit für unangebracht.

Man muss kein Fan der Kanzlerin sein, um einzugestehen, dass sie mit dieser Einschätzung recht hat. Genau wie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der sagt: „‚Testen statt Lockdown‘ ist Wunschdenken, genau wie ‚Abnehmen durch Essen‘.“

Im Rückblick ist bislang in der Pandemiebekämpfung wahrlich nicht alles perfekt gelaufen. Allem voran der schleppende Verlauf der Impfkampagne enttäuscht die Menschen und trägt einen großen Teil zur Frustration bei. Doch wenn man das mal beiseite lässt, steht fest: Merkels Weg der Vorsichtigkeit ist der richtige. Gestern verkündete Schweden, einst für seinen Sonderweg der Offenhaltung gefeiert, geplante Lockerungen auszusetzen. Zu gefährlich die aktuelle Situation. Und Macron weitet in Frankreich den Lockdown aus.

Der Versuch in Alsfeld kommt daher zu früh. Es ist jedoch verständlich, wenn Vertreter der Wirtschaft oder Eltern und Kinder, die sich Normalität zurückwünschen, sich nun über den Modellversuch freuen. Es ist ein gewagtes Experiment, das Risiken mit sich bringt und gleichzeitig Hoffnung birgt. Ein Blick auf das ZDF Politikbarometer zeigt aber auch, dass die Zahl der Bundesbürger, die sich härtere Maßnahmen wünschen, innerhalb eines Monats stark angewachsen ist.


Hätten die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten früher auf Merkel gehört, hätten sie früher noch härteren Lockdown-Maßnahmen zugestimmt, dann hätten wir jetzt vielleicht eine Situation, die genau die richtige wäre, um solche Modellprojekte wie in Alsfeld zu starten. Was es jetzt bräuchte ist also eigentlich ein noch härterer, bundesweiter und möglichst einheitlicher Lockdown, um die Dynamik der dritten Welle zu brechen, und uns dann mit Schutzmaßnahmen abgesicherte Modellprojekte und Öffnungsschritte erlauben zu können.

So lange das Impfen zu langsam geht und die Wirkung auf die Infektionszahlen somit auf sich warten lässt, sind bei hohen Inzidenzen ganz offensichtlich harte Maßnahmen der einzige Weg, einen Kollaps des Gesundheitssystems zu vermeiden. Beim ersten Lockdown hielten sich die Menschen noch freiwillig aus Angst vor dem Virus an Einschränkungen. Doch mittlerweile kann man sich auf die Eigenverantwortung der Menschen offenbar nicht mehr sonderlich verlassen, Stichwort Corona-Müdigkeit. Hinzu kommen die neuen, viel ansteckenderen Virus-Varianten. Und man darf nicht vergessen, dass Tests eine gewisse Fehlertoleranz haben. Nicht umsonst warnen Experten davor, sich mit einem negativen Test zu sicher zu fühlen.

Umso wichtiger ist es, dass die Verantwortlichen klipp und klar dafür sorgen, dass die Notbremsregelung eingehalten wird. Liegt die Inzidenz im gesamten Vogelsberg drei Tage über 200, soll Schluss sein. Aktuell beträgt der Wert 166,6. Da stellt sich die Frage, ob das Projekt überhaupt wie geplant am 8. April wird starten können. Dem Experiment in Tübingen, dem Modell für Modellversuche sozusagen, droht übrigens wegen zu hoher Fallzahlen ein vorzeitiges Ende.

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Corona-Modellkommune Alsfeld: Die wichtigsten Fragen und Antworten

7 Gedanken zu “Pro und Contra: Modellprojekt Alsfeld – ist das jetzt eine gute Idee?

  1. Die Öffnung der Geschäfte ist mit Kosten verbunden, die durch die sicherlich nicht zahlreichen Kunden gar nicht eingefahren werden. Eine denkbar schlechte Idee. Überall wird darauf hingewiesen, dass die Menschen zu Hause bleiben sollen. Warum sollen sie nun nach Alsfeld gelockt werden?? Damit die Zahlen noch weiter ansteigen, Schulen und Kitas geschlossen werden und der Handel unterm Strich noch mehr Verlust macht?? Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht.

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  2. Das ist doch nur alles irre was sich hier die Verantwortlichen einfallen lassen. Heute schon wieder über 24.000 Neuinfektionen und wieder mehr Tote und die Britische Variante des Virus wird immer stärker. So ein desolates Impfdesaster der Bundesregierung. Besorgt endlich mehr Impfstoff. Wir wollen geimpft werden und nicht an dem Virus verrecken. Merkel, SPAHN und Schulden Scholz kannste echt ab✔️🙈

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  3. Es ist verrückt nur mit einem negativen Test einkaufen gehen zu dürfen. Wenn der Paule sowas vor hat, dann bitte mal bei den Lebensmittel Geschäften wie Aldi, Lidl, Tegut und Rewe testen. Massenhafte Menschenansammlung. Teilweise kein Abstand im den Läden und Mund Nasen Schutz bei dem/der ein oder anderen Kundschaft nicht korrekt aufgesetzt.
    Aber was soll die ganze Testerei. Besorgt endlich genügend Impfstoff das auch die arbeitende Bevölkerung geimpft wird. Am Arbeitsplatz in großen Betrieben wo viele Arbeitnehmer ihren Lebensunterhalt verdienen müssten diese Menschen geimpft werden. Die Pandemie wird nur durch das Impfen – HERDENIMMUNITÄT – besiegt werden. Viele Politiker labern nur als noch vom testen. Aber Merkel, SPAHN und EU Uschi keiner von diesen Versagen in diesem Impfdesaster machen deutliche Aussagen, wann und wieviel Impfstoff an die Hausärzte und Betriebsärzte geliefert wird. Diese wollen zeitnah impfen, ihre Patienten warten schon sehnsüchtig darauf, die wollen geimpft werden. Aber die Politik in Berlin bekommt es nicht auf die Reihe. Aber korrupte Politiker die noch diese Situation mit den FFP2 MASKEN ausnutzen und jede Menge Geld kassieren, die gibt es. Echt nur noch ein Armutszeugnis für dieses Deutschland.

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    1. Sie sollten sich vielleicht fragen, ob sie es in der Situation besser gemacht hätten anstatt nur zu jammern und schuldige zu suchen.
      Achso und bevor ich es vergesse: Allein durch das Impfen wird Pandemie sicherlich nicht aufgehalten. In Indien haben sie jetzt schon Malesse mit der Supermutante gegen die nach aktuellem Kenntnisstand keiner der Impfstoffe wirkt. Bevor Sie also nur ihrem Ärger über Politiker hier Luft machen, informieren Sie sich doch demnächst und nutzen die Zeit somit sinnvoller.

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      1. Die Volksvertreter sollen endlich mal an die arbeitende Deutsche Bevölkerung denken und diese schützen. Die Politik hat versagt, dass sind Fakten. Auch Ärzte im Interview sind schockiert über dieses Desaster. Sehen und hören Sie keine Nachrichten. CDU, CSU SPD sind korrupte Politiker (Masken Affäre) ❗Wissen Sie über was ich mir Gedanken mache, wem ich als Bürger welchem Politiker noch vertrauen kann❗Den ALTPARTEIEN auf keinen Fall. Dem Selbstdarsteller Söder ❓Auf keinen Fall. Bleibt nur noch die FDP oder AFD.

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  4. der meinung des ol-chefredakteurs ist nichts hinzuzufügen, bei 43 neuansteckungen bis mitternacht muss die kette unterbrochen werden, die menschen müssen zuhause bleiben, auch nach einem jahr corona, sonst wird die katastrophe immer grösser, die warnzeichen sind ja deutlich genug, menschenleben gehen vor wirtschaftlichen interessen, denn tote können nichts mehr ausgeben

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  5. Bei den ansteigenden Zahlen wird das bis zum 08.04. sowieso nichts.
    Schon alleine der Verweis auf Tübingen ist ein Witz, Tübingen ist gescheitert.

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