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Neue Schraubenfabrik in Bardejov errichtet - offenbar weitere ExpansionspläneDie Sache mit dem Kamax-Werk in der Slowakei

ALSFELD/BARDEJOV (jal). Während die Kamax ihr 50 Jahre altes Werk in Alsfeld schließen will, entsteht in der Slowakei ein neues – und die Expansion dort soll offenbar weitergehen. Ist das Kalkül oder Zufall? Deutsche Arbeitnehmervertreter schwanken ebenso wie die Politik zwischen Kritik und europäischer Solidarität.

Im Februar reiste eine ganze Reihe wichtiger Leute nach Bardejov. Der damalige stellvertretende Ministerpräsident der Slowakei für Information und Investitionen, Richard Raši, war genau so darunter wie Wirtschaftsminister Peter Žiga und der Chef des Regierungsbüros, Matúš Šutaj Eštok. Die Entscheider aus der Hauptstadt Bratislava waren extra 445 Kilometer quer durch ihr Land in den Nordosten gereist, um zu sehen, was mit den von ihnen gewährten Staatshilfen in der Region geschaffen wurde.

Dabei schaute die Abordnung in einer Schuhfabrik vorbei, ebenso in einer Halle, in der Geldautomaten hergestellt werden. Doch gleich am Morgen des Tages, so berichten es örtliche Medien, besuchten die Politiker den Standort der Kamax in Bardejov. Schon 2006 baute der Homberger Autozulieferer ein erstes Werk dort auf und produziert heute darin Spezialgerätschaften zur Herstellung von hochfesten Schrauben und Metallverbindungselementen.

Doch Kamax entschied sich, circa 20 Millionen Euro in eine neue Fabrik zu investieren, in der auch direkt Schrauben hergestellt werden sollten. Die slowakische Regierung gewährte der deutschen Firma dafür einen Zuschuss von fünf Millionen Euro, von denen zwei Millionen für die Beschaffung von Technik direkt ausgezahlt wurden und drei Millionen als Steuererleichterung bis 2031 obendrauf kamen. Einer Meldung des Portals nov-ost.info zufolge, welches sich auf Wirtschaftsnachrichten aus Osteuropa spezialisiert hat und örtliche Medien zitiert, wurde schon bei der Gründung des ersten Kamax-Werks in Bardejov über eine mögliche Ansiedlung des jetzt errichteten Schraubenwerks für den Zeitraum „nach 2009“ gesprochen.

Die neue Halle, so berichtete es das lokale Nachrichtenportal Online-Bardejov vor Kurzem, wurde in wenigen Monaten fertiggestellt. Mittlerweile werde dort bereits probegearbeitet. Um die staatliche Förderung zu erhalten, sagte Kamax die Schaffung 99 neuer Arbeitsplätze zu, etwa 100 bis 120 Menschen arbeiteten bislang in der ersten Fabrik. Die neue Produktionshalle sollte dem Förderantrag zufolge mit einer Formpresse, einer Abschrecklinie und Kontroll- sowie Messtechnik zur vollautomatischen Erkennung und Vermessung der gefertigten Produkte mit Lasersystemen ausgestattet werden.

Dem Artikel nach sind die Wachstumspläne der Firma in Bardejov noch nicht zwingend ausgeschöpft. „Die Erweiterung muss nicht beendet sein. Die Vision des Unternehmens spricht von vier Phasen [der Expansion], die Realität von mindestens zwei. Derzeit wird trotz des vom Coronavirus geprägten Zeitraums eine Expansion erwartet“, heißt es darin. „Im vollen Betrieb sollte eine solche Fabrik 300 Mitarbeiter haben, wir wollen 150 beschäftigen. Hier sehen Sie bereits den Anteil der Robotik, Automatisierung und Optimierung von Prozessschritten. Alles ist so angepasst, dass der Anteil zwischen Maschinenproduktion und Personal ausgeglichen ist“, zitiert die Zeitung den örtlichen Kamax-Chef Ján Ďuraj im Gespräch über das neue Werk. Dem Bericht nach hat sich Kamax die größten Grundstücke in dem dortigen Industriegebiet gesichert. Eine Perspektive sehe das Unternehmen auch in der Produktion von Teilen für Landwirtschafts- und Baumaschinen.

Dieses Bild ist im Schatten der neuen Halle entstanden, im Hintergrund sieht man das alte Kamax-Werk. Der grüne Raum dazwischen wartet dem Bericht zufolge noch auf seine „Entwicklung“. Foto: Online-Bardejov

Die Kamax hat schon mehrfach expandiert. 1935 in Osterode am Harz gegründet, betreibt sie heute Werke in der Slowakei genauso wie in Spanien, Mexiko, Tschechien, den USA und China. In Japan, Indien und Südkorea sitzen der Website zufolge Verkaufsteams, die neu aufgebaute Fabrik in Mexiko solle weiter wachsen, hieß es bei der Eröffnung. Seit 1970 gibt es das Kamax-Werk in Alsfeld. Für kurze Zeit in den 90er-Jahren war es einmal geschlossen, doch auf lange Sicht betrachtet hatte der Standort trotz der Expansion auch nach Osteuropa Bestand.

Aber das Werk in Alsfeld schreibt Verluste, die Belegschaft dort hat sich vor drei Jahren mit Gehaltsverzicht in einem Ergänzungstarifvertrag die Zusicherung erkauft, dass die Fabrik bis mindestens Ende März 2022 trotz der Schwierigkeiten weitermacht. Für einige Beobachter ist der Fall daher klar: Nach Auslaufen des Vertrags wäre für Alsfeld sowieso Schluss gewesen, mutmaßen sie – und nun nutze die finanziell in ihrer Gesamtheit betrachtet sehr gut aufgestellte Kamax (Gewinn der Holding 2018 nach Steuern: rund 25 Millionen Euro) die Einbußen durch das Coronavirus, um früher aus dem Ergänzungstarifvertrag auszusteigen, in Homberg Stellen zu streichen und die Produktion ins billigere Ausland zu verlagern. Ein Mitarbeiter formuliert es so: „Offiziell wird kein Produkt in die Slowakei verlagert. Aber wer das glaubt, glaubt auch noch an den Osterhasen.“

Ich halte nichts von plattem NationalismusStefan Sachs, IG Metall

„Selbst das ’niedrigste‘ Gehalt eines Mitarbeiters in einer technischen Position sollte nicht weniger als 1000 Euro betragen“, sagte der slowakische Kamax-Chef Ďuraj Bardejov-Online zufolge. Die Zeitung erklärt, dass damit der Bruttobetrag gemeint sei. 1000 Euro entspricht gerundet dem Durchschnittslohn in der Slowakei, wenn man alleinstehend ist und keine Kinder hat. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt der bundesweite Durchschnittslohn, betrachtet man Männer und Frauen zusammen, derzeit etwa 4000 Euro brutto, sagt das Statistische Bundesamt.

Die Reaktion von deutschen Arbeitnehmervertretern auf diese Entwicklung fällt unterschiedlich aus. „In der Slowakei steht eine leere Halle, die will gefüllt werden“, sagte Manfred Geisel, Betriebsratsvorsitzender aus Homberg, vergangene Woche auf einer Demo für den Erhalt des Alsfelder Werks. Stefan Sachs, Chef der IG Metall Mittelhessen, reagiert da etwas zurückhaltender. „Natürlich sehen wir das kritisch und sind für die deutschen Arbeitsplätze zuständig“, sagt Sachs im Gespräch mit OL. Kamax habe für alle europäischen Standorte Einschnitte angekündigt, in Bardejov scheine das nicht der Fall zu sein. „Aber ich halte nichts von plattem Nationalismus, um das mal klar und deutlich zu sagen“, schiebt er nach. Es sei kein guter Ansatz davon auszugehen, dass die Gewerkschaft nur den Erhalt der deutschen Arbeitsplätze fordern müsse und dadurch in Europa alles in Ordnung sei.

Boris Hanuščak, der Bürgermeister von Bardejov, im Gespräch mit Journalisten. Foto: Online-Bardejov

Der Mann, der in Bardejov schon seit 1998 das Sagen hat, heißt Boris Hanuščak. Mit etwa 32 000 Einwohnern ist seine Stadt ein bisschen größer als Bad Hersfeld. Der mittelalterliche Kern des Städtchens ist so einzigartig und schützenswert, dass ihn die Unesco schon vor einiger Zeit zum Weltkulturerbe erklärte. Hanuščak ist somit Chef einer außerordentlich schönen Stadt, der es wirtschaftlich gesehen jedoch deutlich besser gehen könnte. Der Bezirk, in dem Bardejov liegt, hat mit 8,19 Prozent die höchste Arbeitslosenquote in der gesamten Slowakei, im Westen beträgt der Wert gerade mal ein Drittel davon.

Gefragt, warum Kamax sich bei ihren Expansionsplänen wohl für Bardejov entschiedenen habe, spricht Bürgermeister Hanuščak nicht von den Lohnkosten. Stattdessen verweist er in einer E-Mail an Oberhessen-live auf den Maschinenbau, der in der Region rund um seine Stadt eine langjährige Tradition habe. Und er erwähnt eine örtliche Schule für Ingenieurwesen, mit der Kamax intensiv zusammenarbeite.

Es sei ihm immer wichtig gewesen, dass es der Stadt gutgehe, dass Einheimische wie Touristen gut über sie sprechen würden, fügt Hanuščak an. Aber welcher Bürgermeister sagt das nicht über seine Stadt? Insofern überrascht es auch nicht, wenn Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule die europäische Solidarität im Blick habend sich diplomatisch, aber dennoch bestimmt über das Thema äußert: „Grundsätzlich ist natürlich nichts Verwerfliches daran, in einem EU-Land wie der Slowakei zu investieren. Einen sehr negativen Beigeschmack hätte es aber, wenn die Arbeitsplätze der Einen gegen die der Anderen ausgespielt würden“, sagt Paule, der die geplante Schließung des Alsfelder Werks generell als „großen Fehler“ bezeichnet.

Bleibt die Frage, was die Kamax selbst zu dem ganzen Thema sagt. Oberhessen-live hat der Firma einen umfangreichen Fragenkatalog zugesandt. „Ihre detaillierten Fragen können wir leider aktuell nicht vollständig bearbeiten“, heißt es von Unternehmenssprecher Marc Kennedy dazu, der zunächst eine Beantwortung der Fragen gegen Ende der nächsten Woche in Aussicht gestellt hatte und nach der Bitte um eine aktuelle Stellungnahme zumindest teilweise auf die Fragen von OL einging.

„Kamax ist ein globaler Automobilzulieferer. Unsere Kunden erwarten von uns, dass wir nicht nur höchste Qualität liefern, sondern auch regional verfügbar sind. Nicht nur aus diesem Grund ist eine Schraubenproduktion ausschließlich in Deutschland nicht denkbar“, heißt es darin. Kamax strebe an, die verschiedenen Standorte zu spezialisieren. Für Alsfeld sei gemäß dieser Strategie schon nicht mehr vorgesehen gewesen, klassische Schrauben zu produzieren. Die neu zu entwickelnden Produkte sollten nun zukünftig in Homberg gefertigt werden. Kennedy wiederholt zudem die Aussagen des Unternehmens im Bezug auf die schwierige Lage in der Branche, die durch den Wandel der Automobilindustrie ausgelöst und durch Corona verschärft worden sei. „Allein in Deutschland gehen wir aktuell bis zum Jahresende von einem Umsatzdefizit von 100 Millionen Euro aus.“

Die kommenden beiden Tage sind wichtig in der Frage, wie es mit Kamax in Alsfeld weitergeht. Am Montag gibt es eine Betriebsversammlung, am Dienstag stehen Verhandlungen der Arbeiter mit der Firmenleitung an.

Mitarbeit: Darinka Tesarová

Fotos des Kamax-Standorts in der Slowakei

Linktipps aus der OL-Redaktion

Sachs: „Kamax hat genug Kohle, aber nur nicht für uns“

„Sie nutzen Corona für ihre Zwecke“

8 Gedanken zu “Die Sache mit dem Kamax-Werk in der Slowakei

  1. Wir sehen hier EU-Sozialismus in seiner reinsten Form.

    Es werden Steuergelder ausgegeben für Unternehmen, die einfach ein paar Länder weiter hüpfen und dort für Neugründungen Geld kassieren. Während sie an ihrem früheren Standort die Bude dicht machen.

    Wer verliert? Die Angestellten in der alten Heimat.
    Wer gewinnt? Das Unternehmen und die Angestellten in der neuen Heimat.

    Der Firmenboss lacht. Und er lacht zurecht. Die Gesetze machen es möglich.

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    1. Sich Wortinhalte ändern müssen!
      Da braucht nicht mal ein Salzekuchen
      Lang nach dem passenden zu suchen
      Und so entsteht aus diesem Kuss
      Der reinste EU-Sozialismus

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  2. Endlich sieht man mal klar an einem Beispiel was mit den deutschen Steuermilliarden an Brüssel passiert: es werden deutsche Arbeitsplätze vernichtet und ins EU-Ausland transferiert.
    Die deutsche Politik schweigt dazu aus falsch verstandener Solidarität und die Profiteure grinsen sich eins.
    Herzlichen Glückwunsch zur Solidargemeinschaft EU.

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    1. Das kommt davon weil du immer alles billig kaufst bzw. nach dem Motto Geiz ist Geil lebst, hör auf andewren die Schuld zu geben.

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      1. Ja genau! Neulich zum Beispiel überlegte ich – just 4fastening – ein paar ultrahochfeste Schrauben samt Muttern und Scheiben zu erwerben. Doch das Zeug von Kamax war mir einfach zu teuer. Ich kaufte dann beim Discounter in der Nähe billigst noch zwei Lappen Schnitzelfleisch von Tönnies für rund 1,27 Euro. Die gesamte Ersparnis verjubelte ich dann noch mit ein paar spottbilligen Damen aus Osteuropa. Es gibt eben überall Gewinner und Verlierer. Der Kamax-Betriebsrat in Alsfeld ist eben nicht clever. Anlässlich der Einführung der Hartz-IV-Gesetze im Jahr 2005 konnten VW-Betriebsräte noch zum eigenen Vergnügen Millionen Firmengelder bei fröhlichen Puff-Partys in Prag und anderswo „investieren“, statt den Verlagerungen ihrer Arbeitsplätze ins osteuropäische Ausland lediglich hilflos zuzusehen und dann nur blöde in ihre Trillerpfeifen zu blasen (https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/volkswagen-bordell-affaere-die-generalabrechnung-beginnt-1490740.html). Das waren noch ganze Kerle! Erst stand der Hosenstall offen, danach die ganze Welt (Globalisierung statt Globoli!). Oder denken wir an die wackeren Gewerkschafter, die sich bei Coop- und Neue Heimat-Affaire mit öffentlicher Unterstützung der gesamten Sozen-Prominenz nach Herzenslust am Gemeineigentum bereicherten (https://www.deutschlandfunk.de/strohmaenner-scharlatane-und-spekulanten.724.de.html?dram:article_id=98695). Da wurde – ganz im Sinne der Theorien von Kamax und Friedrich Engels – nicht gegeizt, sondern voll auf die K**** gehauen. Nicht kleckern, sondern klotzen / Und fressen bis zum Kotzen! Und das Ergebnis: Krisensichere und gut bezahlte Arbeitsplätze. Natürlich nicht für jeden, versteht sich. Sondern nur für die, die nicht dauernd anderen die Schuld geben und durch falsche Sparsamkeit letztlich die eigenen Arbeitsplätze gefährden.

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      2. Falsch,das nennt sich Kapitalismus, Globalisierung,Ausbeutung und Raffgier.
        Den Profit durch den Standortwechsel steckt sich KAMAX in die Tasche,da kommt beim kleinen Malocher nichts davon an,der muß weiter sehen wie er klar kommt und das billigste Zeug kaufen,ob er will oder nicht.
        Am besten noch auf Kredit,dann verdient die Bank auch noch mit,läuft doch in Deutschland.

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      3. @ Kapitalismus in Reinform

        Den EU-Sozialismus in seinem Lauf
        Halten nicht Ochs und nicht Esel auf
        Denn Kamax und Engels in all ihren Werken
        Konnten uns nur in der Einsicht bestärken
        Dass Shit eben happens aus Gründen des Shits
        Dass sich die Maximierung eines Profits
        Nur auf dem Wege erreichen lässt
        Dass den Proletarier man restlos auspresst
        So dass schon der Augenschein diesem beweist
        Auf welchen Haufen der Teufel stets scheißt
        Derweil man den Mensch durch den Menschen ausbeutet
        Und ihm dann auch noch ideologisch bedeutet
        Dass der Sozialismus sei auch nicht viel Wert
        Denn dort sei es im besten Fall umgekehrt.

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