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GPD55+ auf großer Fahrt in die LandeshauptstadtIm Wahljahr neue Aspekte politischen Wirkens entdecken

VOGELSBERG (ol). Stadt. Land. Wahl. – Unter diesem Motto führte am vergangenen Mittwoch eine Fahrt eine Gruppe von fast 40 Vogelsbergerinnen und Vogelsbergern in die Landeshauptstadt. Angeboten hatte die Fahrt der Fachbereich GPD55+ der Evangelischen Dekanate Alsfeld und Vogelsberg in Kooperation mit dem Diakonischen Werk Vogelsberg.

In der Pressemitteilung des Dekanates heißt es, Ziel war es, vor der anstehenden Landtagswahl Einblick in die parlamentarische Arbeit vor Ort zu ermöglichen und unabhängig von Parteipolitik den Blick darauf zu schärfen, was außerhalb des direkten politischen Prozesses von Bedeutung ist, erläuterten die Organisatoren der Exkursion Franziska Wallenta und Holger Schäddel. Auf dem Programm stand daher der Besuch einer Plenardebatte auf den Publikumsrängen des Hessischen Landtags und im Anschluss daran ein kirchenpolitisches Gespräch mit Pfarrerin Clarissa Graz, Vertreterin der Diakonie Hessen im Ev. Büro am Sitz der Landesregierung.

Stiller Start in den Tag: Die Andacht in der Krypta der Marktkirche. Foto: Traudi Schlitt

Pünktlich um 12 Uhr startete dieser Spätsommertag in der Weltkurstadt Wiesbaden mit einer Andacht in der Krypta der Marktkirche, begleitet von den Glocken desneoklassizistischen Baus und dessen Glockenspiel. Weit weniger pünktlich ging es dagegen im Landtag weiter: Nachdem die Abgeordneten am Vormittag weit über die veranschlagte Zeit hinaus getagt hatten, traten sie erst beim Eintreffen der Vogelsberger Gruppe ihre zweistündige Mittagspause an, sodass sich am Ende der Besuch im Plenarsaal auf gute 15 Minuten verkürzte. Als Entschädigung für diesen Fast-Ausfall des Hauptprogrammpunktes gab es zum einen eine sehr ausgedehnte Einführung in die Geschichte des Landes Hessen, zum andere eine kleine Führung durch das Gebäude, in dem der Hessische Landtag seit seiner Gründung im Jahr 1946 tagt.

Es handelt sich dabei um das Stadtschloss, errichtet Mitte des 19. Jahrhunderts als Residenz der Herzöge von Nassau. Darüber hinaus gab es Einblicke in das politische und parlamentarische System Hessens, den Weg eines Gesetzentwurfes sowie zu den einzelnen Fraktionen und ihrer Vorsitzenden. Auch zur Geschäftsordnung hörten die Gäste aus dem Vogelsberg das eine oder andere und wer wollte, konnte noch ein wenig in die kurz zuvor im Foyer stattgefundene Eröffnung der „Wanderausstellung Integration“ reinschauen, an der auch die Vhs Vogelsberg mit einem Beitrag beteiligt ist.

Schloss statt Plenum: Überraschungen gab es hier wie dort zu sehen. Foto: Franziska Wallenta

Das Thema der Debatte: Sozialer Wohnungsbau

Die Führung durch die historischen Räume des Schlosses fiel wegen der umfangreichen Baumaßnahmen zwar relativ kurz aus, sorgte dennoch für einige Aha-Effekte, denn kaum jemand hätte hinter der sachlich gehaltenen Fassade so viel Prunkt vermutet. Das Musikzimmer der Herzöge hatte in den Anfangsjahren als Parlamentssaal gedient, war aber bald zu klein geworden, um zusätzlich zu den Abgeordneten auch Platz für Besucher und Pressevertreter zu bieten. Die ehemalige Reithalle wurde in mehreren Schritten zum Plenarsaal umgebaut, wie man ihn heute kennt, zahlreiche Erweiterungen und Umbauten sorgten für Platz für die Verwaltung und die Fraktionen.

Die Themenauswahl in der Debatte schließlich folgte der Tagesordnung. Als Landtagspräsident fungierte an diesem Tag Wolfgang Greilich von der FDP, als erster Redner nach der Mittagspause trat Hermann Schaus von der Linken ans Pult. Er verteidigte einen Gesetzesentwurf seiner Fraktion zum Thema Sozialer Wohnungsbau und griff die Regierungsparteien wegen „fünf vertaner Jahre“ an. Der Eindruck, den dieser kurze Einblick in eine Live-Debatte im Landtag hinterließ, war anfangs ernüchternd: Von den oben gelegenen Zuschauerrängen war zu sehen, dass einige Politiker zu spät kamen oder zwischendurch schon wieder gingen, sie waren mit Handy und Laptop beschäftigt, lasen Zeitung, unterhielten sich oder bereiteten ihre eigenen Beiträge vor.

Einen Abstecher gab es natürlich auch in den Kurpark. Foto: Traudi Schlitt

Erst als der SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümpel in die Debatte um das Thema Sozialer Wohnungsbau einstieg, kam etwas Dynamik und Aufmerksamkeit in die Runde. Da jedoch mussten die Vogelsberger schon wieder den nächsten Gästen Platz machen.

Diakonische Themen mit Politik verankern

Das sorgte zwar nicht für Begeisterung, jedoch war der nächste und letzte Programmpunkt des Tages dafür umso interessanter. Pfarrerin Clarissa Graz berichtete aus ihrem frisch geschaffenen Aufgabenbereich: Als Lobbyisten in Sachen sozialer Themen der Diakonie ist sie seit Anfang des Jahres am Sitz der Landesregierung aktiv und versucht als „Klinkenputzerin in der guten Sache“ Themen aus den diakonischen Bereichen auch in der Politik zu verankern und sowohl bei Parteien als auch bei Verbänden und Organisationen dafür zu werben.

Schon früh hatte die Diakonie Hessen zur Landtagswahl ihre Broschüre „Unerhört. Sozial“ herausgebracht, die Denkanstöße und Fragen enthält, über die sie mit einigen Vertretern der Landtagsfraktionen nun auch schon im Gespräch ist. Im Austausch mit der Reisegruppe, der auch einige ehrenamtlich in der Diakonie Tätige angehören, ging sie auf Kritik und Anregungen ein: Die Kirche müsse ihre Leistungen beispielsweise in der Pflege besser kommunizieren und auf schnellere Verbesserungen drängen. Seit dreißig Jahren hätte sich sowohl in der Qualität der Pflege als auch in der Behandlung der dort Tätigen nichts getan, obwohl auch die Sozialverbände dieses Thema schon jahrelang auf ihren Agenden hätten.

Diskutierfreudig und mit viel Erfahrung bei der Sache zeigte sich die Vogelsberger Reisegruppe im Gespräch mit Pfarrerin Clarissa Graz. Foto: Traudi Schlitt

Graz nahm diese Kritik auf, betonte aber, dass gerade in der Pflege dicke Bretter gebohrt werden müssten, und warb um Geduld im demokratischen Prozess. Die Reisegruppe zeigte sich diskutierfreudig und engagiert; am Ende hatte sie der Diakoniebeauftragen sicher jede Menge weiteren Input geliefert. Graz ihrerseits gab den Gästen mit auf den Weg, mit ihrer Teilnahme an der Landtagswahl „um die Kraft in der Mitte der Gesellschaft zu ringen.“

Nach diesem inhaltsreichen Tag waren die Abendstunden in der Hauptstadt noch frei für einen ausgedehnten Bummel. Erst spät erreichte der Bus die heimatliche Haltestelle – und das mit rundum zufriedenen Teilnehmerinnen und Teilnehmern: Sie hatten viel erlebt und erfahren, einen Tag lang Großstadtluft an der politischen Front geschnuppert und über einige relevante Themen nachgedacht und diskutiert.

Ein Gedanke zu “Im Wahljahr neue Aspekte politischen Wirkens entdecken

  1. >> Seit dreißig Jahren hätte sich sowohl in der Qualität der Pflege als auch in der Behandlung der dort Tätigen nichts getan, obwohl auch die Sozialverbände dieses Thema schon jahrelang auf ihren Agenden hätten.<<
    "Es" hat sich nichts getan, aha. Aber "Er" oder "Sie" oder bestimmte Gruppen von Betroffenen hätten etwas tun können. Und wenn nur die Missstände einmal deutlich beim Namen genannt worden wären anstatt ständig alles schön zu reden. Und warum schauen wir zu, dass sich da dreißig Jahre in zentralen Bereichen der Daseinsvorsorge nichts tut? Warum ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad der Pflegekräfte so gering? Warum geben die sich mit Hungerlöhnen und miesen Arbeitsbedingungen zufrieden und schauen zu, wie alles immer schlechter wird? Warum hauen die pflegenden Angehörigen, die am persönlichen Limit sind, nicht mal ordentlich auf den Putz?
    "Die Kirche müsse ihre Leistungen beispielsweise in der Pflege besser kommunizieren und auf schnellere Verbesserungen drängen", heißt es in dem obigen Artikel. Ach, müsse sie? Warum hat sie denn nicht längst?
    Stattdessen erzählt die "Diakonie-Beauftragte" was von "dicken Brettern", die "gebohrt werden müssten" und wirbt für "Geduld im demokratischen Prozess". Wenn im "demokratischen Prozess" aber nach 30 Jahren das dicke Brett immer noch nicht durch ist, dann stimmt da was nicht. Da fehlt entweder der richtige Bohrer oder es kann jemand nicht bohren. Viele von uns sind in einem Alter, da ist "Geduld haben" der falsche Ansatz. Gebt mal mehr Druck auf den Bohrer, denn wir wollen den "großen Durchbruch" ganz gern noch erleben! Aber wer nach diesem Ausflug in die Welt der Politik "rundum zufriedenen" wieder nach Hause fährt, darf sich nicht wundern, wenn das noch weitere 30 Jahre dauert.

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