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Club Soroptimist International Lauterbach-Vogelsberg lud zu bewegenden VorträgenWenn Frauen unter „Hypermaskulinität“ leiden…

LAUTERBACH (cdl). Trotz des ernsten Themas „Macht Geld Vertreibung – Frauen auf der Flucht“, war es am Freitagabend eine fast schon ausgelassene Veranstaltung in der Aula der Lauterbacher Schule an der Wascherde. Verantwortlich dafür waren die beiden Protagonistinnen Shymaa Aldayyeni und Frozan Hamidi sowie die musikalische Begleitung des Abends durch Youssif Nassif und Stephan Pussel.

Die Veranstaltung wurde von Susanne Bolduan und Dr. Barbara Peters von Soroptimist International (SI) Lauterbach-Vogelsberg moderiert. Neben den beiden Protagonistinnen, die über die Gründe ihrer Flucht berichteten, hatte der Veranstalter Sybille Fezer von der Frauenrechts- und Hilfsorganisation Medica Mondiale eingeladen. Fezer ist seit kurzem die Regionalreferentin für Syrien, Irak und Afghanistan bei der NGO Medica Mondiale. Für die Frauenrechts- und Hilfsorganisation war sie bereits in vielen Ländern weltweit im Einsatz unter anderem in Brasilien, im Kosovo, im Kongo und in Liberia.

Sybille Fezer nannte die Fluchtgründe für Frauen wie Arbeits- und Bildungsverbot, familiäre Gewalt, Zwangsverheiratung, sexuelle Folter, Zwangssterilisation oder Zwangsabtreibung

Sybille Fezer nannte die Fluchtgründe für Frauen wie sexuelle Folter, familiäre Gewalt, Zwangsverheiratung,  Zwangssterilisation, Zwangsabtreibung oder Arbeits- und Bildungsverbot.

In ihrem Vortrag beleuchtete sie die Ursachen von Gewalt an Frauen, insbesondere in Krisengebieten. Wichtig war ihr zunächst herauszustellen, dass sexualisierte Gewalt bei kriegerischen Auseinandersetzungen seit jeher weltweit in sämtlichen Kulturen zum Einsatz kommt. Sexualisierte Kriegsgewalt sei so alt, wie die Geschichte des Krieges. Als Beispiel zog sie den Raub der Sabinerinnen heran und  fuhr mit den trojanischen Kriegen, die wegen der schönen Helena geführt wurden, fort. Quintessenz ihrer Beschreibung: „Damals wie heute werden in Konfliktsituationen Vergewaltigungen bewusst zur Demoralisierung der Zivilbevölkerung eingesetzt. Die Botschaft der Angreifer: Ihr seid nicht mehr in der Lage eure Frauen zu schützen – also kapituliert.“ Auch wenn militärische Einrichtungen zur Friedenssicherung wichtig seien, werde beim Militär schon in Friedenszeiten das Training auf das Töten ausgelegt. Das System Militär fördere laut Fezer Gewalt. Bei einem Konflikt würde es dann zu einer „Hypermaskulinität“ kommen, was automatisch auch zu Vergewaltigungen führe.

Um den Zuhörern die Zusammenhänge ein wenig klarer zu machen, bediente sie sich zur Veranschaulichung des „Gewalt Dreiecks“ des berühmten norwegischen Friedens- und Konfliktforschers Johann Galtung. Dieses besteht aus den drei Säulen „Kulturelle Gewalt“, „Strukturelle Gewalt“ und „Direkte Gewalt“.

Gegen Ende ihres Vortrags über Ursachen und Folgen von sexuellen Übergriffen in Konfliktgebieten kam Fezer auch auf das Medienthema „Silvesternacht in Köln“ zu sprechen und mahnte: „Das Thema darf nicht politisch instrumentalisiert werden. Hier wird das Motiv der nicht mehr zu schützenden „blonden Frau“ vor den einfallenden Horden verwendet und somit Urängste geschürt.“

 Shymaa Aldayyeni floh mit ihrem Mann aus dem Irak

Als nächstes trat die 26-jäh­ri­ge Shy­maa Al­day­ye­ni ans Rednerpult. Die Ärz­tin floh gemeinsam mit ihrem Mann aus dem Irak und ist nach kurzen Aufenthalten in Mainz und in Gießen seit vier Mo­na­ten in Lau­ter­bach zuhause. Die junge Frau scheint mit einem großen Sprachtalent gesegnet zu sein, denn nach nur wenigen Monaten spricht sie so gut Deutsch, dass sie ihre Geschichte mühelos dem Publikum erzählen und auch auf Fragen der Hörer eingehen konnte.

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Egal wie ernst ihre Erzählungen auch waren – Al­day­ye­ni  machte mit jedem Wort deutlich wie glücklich und dankbar sie und ihr Mann momentan sind.

Ihre Flucht starte das junge Ehepaar am 17. Oktober 2015. Sie dauerte bis zum 1. November, als sie in Mainz ankamen. Der erste Schritt war ein Flug nach Istanbul. Von dort aus sollte sie ein Schlepper nach Westeuropa bringen, was allerdings scheiterte. Daher reisten sie in den Süden der Türkei, um auf einem vier Meter langen und zwei Meter breitem Boot mit 13 Erwachsenen und fünf Kindern auf die Insel Rhodos überzusetzen. „Das waren die längsten zwei Stunden meines Leben“, berichtete Al­day­ye­ni. Von Rhodos führte sie ihr Weg nach Athen und weiter bis an die Mazedonische Grenze. Dort waren sie knapp zehn Tage lang festgesetzt und sie hätten sehr viel Leid bei den vielen anderen Flüchtlingen beobachten können. Auf dem weiteren Weg hätten sie auf der Straße und im Wald geschlafen bis sie in Österreich angekommen seien und von dort aus mit dem Zug nach Mainz befördert wurden.

Der Grund,  warum ein junges Ärzteehepaar flieht

Das Leben im Irak sei seit dem Krieg im Jahr 2003 immer schlechter geworden und das Land seitdem äußerst instabil. Im Jahr 2007 sei eine Bombe direkt neben ihrem Haus explodiert. Der schrecklichste Tag sei für sie der 22. März 2014 gewesen. An diesem Tag sei ihre Heimatstadt angegriffen worden und ihre komplette Nachbarschaft und Freunde seien getötet worden. „Mein Leben habe ich dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass ich zu diesem Zeitpunkt an der Arbeit im entfernten Krankenhaus war.“ In jüngster Vergangenheit habe ihr Mann fernab der Heimat als Sunnit in einem Schiitischen Krankenhaus praktizieren müssen. Aus Angst sei er ohne Papiere zur Arbeitsstelle gereist, da man ihn als Sunnit höchstwahrscheinlich getötet hätte.

Bei der anschließenden Fragerunde zeigte sich die junge Frau nicht nur schon erstaunlich sprachgewandt, sondern wusste sogar auf momentane politische Debatte und die Wahlausgänge zu antworten. Sie war gefragt worden, ob sie sich über die momentane Entwicklung in Deutschland Sorgen mache. Die stets gut gelaunte Frau brachte ihre Dankbarkeit zum Ausdruck hier sein zu dürfen und sagte: „Ich habe damit kein Problem, dass in Deutschland 20 Prozent gegen mich sind, im Irak waren es 80 Prozent.“

Frozan Hamidi kam mit ihren drei Kindern vor zwei Jahren aus Afghanistan

Als dritte meldete sich Fro­zan Ha­mi­di zu Wort. Sie hat drei Kinder und ist von Beruf He­bam­me. Seit knapp zwei Jahren leben sie gemeinsam in Deutschland, weil Hamidi in ihrer Heimat ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte. Sie schilderte nicht ihre Flucht, sondern berichtete über die Situation von Frauen in Afghanistan.

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Fro­zan Ha­mi­di lebt seit knapp zwei Jahren in Deutschland. Sie möchte sich zukünftig für Frauenrechte in Afghanistan einsetzen.

In ihrem Heimatland herrsche seit nunmehr 40 Jahren fast ununterbrochen Krieg. Daher hätten auch fast 40 Prozent der Bevölkerung keinerlei Schulbildung. Frauen und Kinder seien von den Entscheidungen der Männer abhängig. Frauen hätten keinerlei Rechte und sollten nur im Haushalt tätig sein. Arbeiten komme für Frauen nicht infrage, doch oft seien die Ehemänner im Krieg gestorben und jemand müsse das Geld für die Kinder und einen selbst verdienen. Die Polizei sei in diesem Land korrupt und würde Frauen nicht helfen, vielmehr würden die Polizisten sogar drohen und auch vergewaltigen. Das habe ihrer Meinung nach oft mit der mangelnden Bildung der Polizisten zu tun.

In Deutschland dagegen sei es für sie und ihre Kinder sehr sicher und es herrsche freie Meinungsäußerung und Gleichberechtigung. Ihre Kinder hätte jetzt die Möglichkeit in die Schule zu gehen und später eine Ausbildung zu machen. Sie sei sehr bemüht trotz dreier Kinder einen Job als Krankenschwester zu bekommen. Sie habe einen großen Traum: Wenn sie deutsche Staatsbürgerin wird, möchte sie in Afghanistan ein Projekt für Frauenrechte auf die Beine stellen.

In der Fragerunde wurde Ha­mi­di nach den Taliban gefragt. Deren Einfluss sei weiterhin enorm und nicht nur Frauen und Kinder würden unter deren Herrschaft leiden, sondern auch Männer. Sybille Fezer von Medica Mondiale nutzte an dieser Stelle nochmal die Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen, dass Afghanistan kein sicheres Herkunftsland  und gerade die Situation für Frauen im Land katastrophal sei.

Orientalisches Fingerfood und Kanunspiel

Neben dem eigentlichen Thema begleitete ein Rahmenprogramm durch den Abend: In der Pause verkauften Schüler der Vogelsbergschule aus Afghanistan, dem Irak und Eritrea orientalisches Fingerfood. Mit den Einnahmen stocken sie ihre Klassenkasse für eine Klassenfahrt nach Berlin auf. Für ein kulturelles Highlight sorgte die Weltmusik von Youssif Nassif, unterstützt vom lokalen Musiker Stephan Pussel. Der Kanunspieler unterhielt das Publikum mit seiner Kunst und schaffte immer wieder ein Gegengewicht zu den ernsten Themen des Abends. Den Organisatorinnen der Veranstaltung war somit eine gute Symbiose zwischen Information und Unterhaltung gelungen. Sämtliche Spenden des Abends gehen an Medica Mondiale.

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Youssif Nassif unterhielt mit einem hierzulande eher unbekannten Instrument, dem Kanun.

 

 

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