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MEINUNG – Der Fall: Dem Zahnarzt fehlt Nachwuchs – Der Eindruck: Leidenschaft ist outBerufung – das ist ein Begriff der Vergangenheit

Draußen regnet’s. Da fällt mir mein jüngster Besuch beim Zahnarzt meines Vertrauens ein. Der hat die Zahl seiner Behandlungsstühle vergrößert, obwohl er zur Zeit alleine arbeitet. Das will der Gute gar nicht, aber die junge Zahnarzt-Anfängerin, die zuletzt ein paar Monate bei ihm mitwirkte, ist schon wieder weg: zu einer hochspezialisierten Stelle mit weniger, auf jeden Fall leichterer Arbeit. Nun sucht er händeringend, und eine seiner Helferinnen sagte auf meine verhaltene Frage nach dem Problem: „Nach Alsfeld will doch keiner!“

Aha! Da könnte man jetzt natürlich sofort auf die übliche Standort-Schelte einsteigen: Für junge Leute gibt’s ja auch nix hier! Seit das Filou zu hat, sogar gar nix! In die Richtung schweiften meine Gedanken auch eine Weile, bis mir klar wurde, von was wir hier eigentlich sprechen: Es geht um eine Zahnarzt-Stelle für Nachwuchs-Bohrer/innen! Zahnarzt! Das sind die mit dem Klischee vom Geld, denen man einen ausgeprägten Hang zur FDP-Wählerschaft nachsagt. Der junge Zahnarzt meiner Jugend hatte am Hafen eine Yacht und mindestens zwei Geliebte – sagten jedenfalls meine Eltern.

Die Zahnarztstelle hinterher tragen?

Selbst, wenn sich die Verhältnisse verändert haben – und ich möchte meinem fleißigen Zahnarzt nicht zu nahe treten – dürfte eine Stelle in einer Zahnarztpraxis besser dotiert sein als die von Jungjournalisten (ganz sicher), Facharbeitern (todsicher) oder Handwerkern (ganz todsicher). Für das Gehalt würde hier mancher täglich viele Kilometer fahren. Aber dem akademischen Zahnklempnernachwuchs muss man eine Einstiegsstelle in Alsfeld förmlich hinterher tragen?

Das wirft ein bezeichnendes und – wie ich meine – trauriges Licht auf die Akademiker-Jugend, mindestens dieser Branche. Hat man also das Studium beendet. Und nun muss sich prompt das Berufeparadies auf Erden öffnen: am besten eine topdotierte Facharztstelle mit Überstundenzuschlag in einer Metropole unweit einer wöchentlichen Festivalstätte, zwischen Theater und Kneipenmeile – bei Familienaussicht mit fußläufig ereichbarer Kindertagestätte, Grundschule und späterem Gymnasium. Wo Bauplätze natürlich spottbillig sind. Ende des Elans mit 27,5?

Facharzt – da ist schon die Überleitung vom Zahnarzt- zum Allgemeinmediziner-Problem auf dem Land. Das will ja auch keiner mehr tun, und ich frage mich schon länger: Tut eigentlich noch irgendjemand etwas aus Berufung? Weil ein Beruf, eine Aufgabe reizt? Ist noch jemand bereit, dafür Opfer zu bringen – Leidenschaft in eine Stellung mitzubringen, die nicht gleich reich macht – aber nebenbei hoch angesehen? Die unheimlich befriedigend sein kann? Fragt man mal Landärzte auf Suche und Ärzte-Vertreter, dann gewinnt man den Eindruck: Die jungen Leute gehen in diesen Beruf mit so kühlen Kalkül, als ob sie eine Sachbearbeiterstelle in einer Gemeindeverwaltung antreten. Erste Frage: Wann ist Feierabend?

Leidenschafts- und teilnahmslos im Hörsaal

Dazu passt, was eine Bekannte gelegentlich erzählte, die beruflich häufig mit den Aussagen deutscher Wirtschaftsvertreter und Uniprofessoren zu tun hat. Die beklagen nämlich nicht nur eine wachsende persönliche Unreife unter den jungen Studenten und Berufsanfängern (G8 lässt grüßen – unter anderem), sondern auch zunehmende Teilnahmslosigkeit ihrer Studenten im Hörsaal. Die jungen Leute wollen nicht studieren, weil es sie in ihrem beruflichen Interesse voran bringt, sondern, weil man das halt so macht, um irgendwann einen Abschluss zu kriegen (einmal abgesehen von Studienanforderungen, die offenbar altes Pennälerverhalten fördern). Diese leidenschaftslosen jungen Leute lassen studieren, beklagte dabei jüngst ein  Prof – der viel lieber ausländische Studenten vor sich hat: „Die wollen wirklich noch voran kommen.“ Die seien dann auch durchweg besser als die deutschen. Das tät passen zur Klage oben.

Und es würde natürlich auch zur uralten Generationenschelte passen, durch die schon Plato sich verewigt hat (war das Plato mit der „faulen, aufsässigen Jugend“?). Aber die trifft es eigentlich auch nicht. „Die Jugend“, sofern man diesen Begriff überhaupt verallgemeinern kann, ist genau so, wie wir Erwachsene der 40- bis 60-Jährigen sie geformt haben: materialistisch, verwöhnt, konformistisch eingestellt. Wo soll denn die Leidenschaft für einen Beruf, eine Aufgabe, für Grenzüberschreitung und -erweiterung herkommen, wenn das Leben von Kindesbeinen an lauwarm und auf Einkommensmaximierung  ausgerichtet dargeboten wird?

„Wir haben das Feuer der Jugend ausgetreten!“

Die Generation derer, die selbst noch als 16- bis 20-Jährige mit Interrailkarte und Daumen im Wind auf eigene Faust durch Europa reiste, kann sich für den eigenen Nachwuchs Entdeckung und Abenteuer nur vorstellen, wenn sie dem Lebenslauftuning dienen: Sprachferien im Ausland, Austauschangebote – alles wohl organisiert und vorgekaut. Und natürlich mit allem ausgestattet, was erwachsener Komfort verlangt. Leben im Vollkasko-Feeling, bevor es wirklich begonnen hat. Von einem derart geprägten Mensch wird Abenteuerlust und Leidenschaft verlangt? Wie sagte der Kabarettist Thomas Freitag bei seinem jüngsten Auftritt in Alsfeld mal düster: „Wir haben das Feuer der Jugend ausgetreten!“

Bei einem Urlaub im polnischen Danzig vor ein paar Jahren haben meine Frau und ich uns zunächst geschämt über unsere antiquierten Vorstellungen von der postkommunistischen Gesellschaft Polens. Und dann haben wir uns gefreut: Polen, zumindest in Danzig, kommt modern, unheimlich jung und wissbegierig her. Oft wurden wir von jungen Leuten auf deutsch angesprochen, und das Gespräch ging dann in die Richtung: „Ich will in Deutschland studieren! Ich will was lernen!“ Die Augen leuchteten dazu. Diese jungen Leute müssen zu denen gehören, die der oben genannte Prof als Auslandstudenten lobte, weil sie wirklich etwas lernen wollen.

Das Alsfelder Krankenhaus, so wird erzählt, käme ohne seine ausländischen Ärzte gar nicht mehr aus.  Mir ist das recht. Und vielleicht wird es ja auch mal eine junger Mann oder eine junge Frau aus Polen sein, die mich nächstes Mal bei meinem Zahnarzt begrüßt. Für den Fall krame ich schonmal eines der wenigen polnischen Worte raus, die ich aus Danzig mitgebracht habe: Dziekuje! Es heißt, was Sie sich gerade denken.

Axel Pries

Ein Gedanke zu “Berufung – das ist ein Begriff der Vergangenheit

  1. Wir sind mittlerweile auch in vielen anderen Berufen auf engagierte Ausländer angewiesen!
    Es stimmt aber durchaus, daß wir als Eltern-Generation allein schon durch unser eigenes Vorbild zum Benehmen und zur Eigen-Darstellung der heutigen Jugend beigetragen haben. (Pestalozzi: „Erziehung ist BEISPIEL und Liebe, sonst nichts“) Das bekannte Problem ist die Vermittlung der zum Zusammenleben unerläßlichen Werte.
    Ein anderes Problem sind die „Hubschrauber-Eltern“, die quasi ständig über ihren Kindern „kreisen“, damit ihnen ja nix passiert. Diese Kinder wachsen dann in die einer „Vollkasko“-Umgebung auf und entwickeln deshalb irgendwann zuwenig Eigeninitiative.
    Ich unterscheide übrigens immer zwischen den „alten Jungen“, die durch ihre Null-Bock-Mentalität überdeutlich demonstrieren, daß sie ihre Zukunft vielfach bereits hinter sich haben, und den „jungen Alten“, die das Gefühl vermitteln, noch was „reißen“ zu können.

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