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Kolumne: "Rike's Report" am Samstag: Was bleibt, wenn das Auto geht?Ey Mann, wo is’ mein Clio?

Ich wollte früher nie ein internetfähiges Handy haben. Doch dann entwickelte irgendein Held Whats App. Ich fand Barbie-Filme dumm und kitschig. Bis ich meinen ersten eigenen Fernseher in den Händen hielt. Ich sah nie die Notwendigkeit eines eigenen Autos. Bis ich 18 wurde. Der Weg dahin war weit und führte quer durch den Vogelsberg. Mal Hand aufs Herz: Wer erinnert sich noch an seine allererste Fahrstunde? Ich meine keineswegs die illegalen Versuche mit dem bereits volljährigen Freund auf dem Feldweg ein Dorf weiter – nein, ich meine eine richtige.

Ich tue es: Ein weißer 6er Golf, eine schlaflose Nacht hinter und nervenaufreibende nicht enden wollende Minuten vor mir – es ist, als wäre es gestern gewesen. Ich schwankte zwischen Aufregung und unbändiger Freude: Endlich! Nun konnte auch ich in die Welt der Automobile eintauchen und würde jegliche Raffinessen des technischen Wunders für mich entdecken. Und ich würde schließlich dazu gehören: 18 Jahre jung und damit erwachsen war ich bereits, doch um im tiefen Vogelsberg wirklich einen Stein im Brett zu haben, fehlte noch etwas: Der Lappen. Und dieses gute Stück sollte sich schon bald in meinem Besitz befinden.

Aber wie sagt man so schön: „Gut Ding will Weile haben.“. Und ich brauchte für mein gut Ding eine ganz schön lange Weile. Entgegen meiner Erwartungen, mich zunächst mit der Kiste vertraut machen zu können, erhielt ich in meiner ersten Fahrstunde die Aufgaben: Motor an, Kupplung kommen lassen, losfahren. Also wirklich – wer hätte gedacht dass man beim ersten Mal schon alleine fahren muss? So richtig? Wahrscheinlich jeder. Ich nicht. Dennoch meisterte ich das Ganze irgendwie ganz gut („Fahren Sie mal schneller, Bremse hab ich auch.“) und es folgte, was folgen musste: Gefahrenbremsung, Überlandfahrten, Autobahn und das ein oder andere über die Fahrbahn galoppierende Wildschwein – offensichtlich hatte es sich das Universum zur Aufgabe gemacht, mir meine Fahrerlaubnis nicht so ohne Weiteres zu überlassen.

Doch mit jeder Menge „Du schaffst das. Ganz ruhig.“ – Mantras, einer Portion Zuspruch seitens meiner Familie und dem guten alten Spickzettel ging es voran. Letzterer erfüllte leider nicht seine Erwartungen und so erwischte mich mein Fahrlehrer immer wieder dabei, wie ich während der laufenden Partie auf die Schaltung schielte, um zu sehen wo welcher Gang lag – keine Sorge, das weiß ich inzwischen!

Nach Monaten des Zittern und Bangens, bestand ich schließlich meine theoretische Prüfung. Blöd war im Nachhinein nur, dass ich mich zum Lernen für die Fragebögen in Papierform entschieden hatte, bei denen von Anfang an einer fehlte. Aber mal ehrlich: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet die Fragen von ebendiesem fehlenden Fetzen Pflanzenfasern in der Prüfung vorkommen? Bei mir lag sie bei 100 Prozent. Doch außer meinem Ego wurde an diesem Tag zum Glück nichts verletzt. Wenige Wochen später war es dann so weit: Nach einer fünfzehnminütigen Verspätung des Prüfers (Himmel, meine Nerven!) und einigen verbalen Missverständnissen („Wir wollen nach rechts Frau Gerbig, wieso blinken sie links?“) hatte ich die Pappe in der Tasche – so viel Aufwand für ein kleines Stück Plastik!

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Was zurückbleibt, wenn das Auto geht? Ein Schlüssenbund ohne Schlüssel.

Das war der erste Streich und der zweite folgte zugleich – beziehungsweise ein halbes Jahr später: Denn nach dem Führerschein kam, wie sollte es anders sein: Das Auto. Mein erstes Auto. Mein erstes eigenes Auto. Ein Auto! Nach all den Jahren der Verbannung auf den Beifahrersitz, ohne Entscheidungsgewalt über das Radio, frei von jeglicher Chance die Plätze mit Keksen vollzukrümeln und Kaffeetassen auf dem Boden zu lagern – ein Auto! Endlich war ich nicht nur volljährig, halbwegs erwachsen und von zuhause ausgezogen, nein: Nun war ich frei! Die endlose Unabhängigkeit begann am ersten Tag des Jahres 2013: Renault Clio, zehn Jahre alt, schwarz, Hagelschaden, Kratzer auf der Motorhaube und ein nicht funktionierendes Beifahrerfenster. Kurzum: Er war perfekt. In den darauffolgenden Monaten erfuhr ich eine vorher nie dagewesene Leichtigkeit: Verschlafen? Egal: Ich fahre zur Schule. Großer Einkauf? Egal: Ich fahre einkaufen. Freundin muss ins Krankenhaus? Egal: Ich habe ein Auto.

Trotz meiner steten Bemühungen der Umwelt zuliebe meinem Kleinen regelmäßige Pausen zu gönnen, gebe ich hier nun offen zu: Ich war faul. Um mich selbst zu beruhigen erzählte ich mir, wie vollkommen in Ordnung es sei zu fahren, statt zu laufen: Ich bin schneller wieder zuhause und kann etwas Sinnvolles tun. Die Fahrt dauert ja nur ganz kurz. Das Fahrrad steht leider noch bei meinen Eltern im Schuppen – Ach wie Schade!

Ich hatte keine andere Wahl – wirklich! Mein Cliochen wurde zum zweiten Zuhause auf vier Rädern: Schlafsachen im Kofferraum (Man weiß ja nie wo man landet..) und Schokolade im Handschuhfach, ich war für alles gerüstet. So begleitete er mich zu meinen Abiturprüfungen, machte so manche wilden Fahrten mit (Erstaunlich, wie viele Leute man in einen Kleinwagen quetschen kann, wenn man es nur lange genug probiert.) und wiegte meinen süßen Kater ruckelnd in den Schlaf, als ich ihn als kleines Baby zu mir holte. Ohja, mein Auto machte viel mit, mit mir. Und ich mit ihm: TÜV, neue Reifen, ABS-Sensor-Ring – Himmel was so ein Ding alles hat! Und verbraucht. Und kostet.

Vor allem letzteres bewog mich vor wenigen Wochen dazu, die alles entscheidende Frage zu stellen: Brauche ich als Studentin in einer Stadt voller Busse wirklich ein Auto? Sollte ich meinen Liebsten nach 3 ½ gemeinsamen Jahren abtreten? Eine engelsgleiche Stimme in mir sagte: Ja! Ich könnte dann immer Fahrrad fahren, fit (oder sogar sportlich?) werden, der Natur was Gutes tun! Doch die dröhnenden Worte des Teufelchens waren lauter. Zu Fuß einkaufen? Ich sollte erst einmal alle großen Besorgungen erledigen. Dann könnte ich das Auto verkaufen.

Mit dem Bus zu meiner Oma? Ich sollte erst einmal ihren Garten in Schuss bringen. Dann könnte ich das Auto verkaufen. Mit dem Zug in den Vogelsberg? Ich sollte erst einmal die großen Geburtstage abwarten. Dann könnte ich das Auto verkaufen. Und so ging es weiter: Ich sollte und dann könnte ich und ich sollte und dann könnte ich. Und ich tat es. Und trat mir irgendwann entnervt selbst in den Allerwertesten: Schluss! Aus! Ende! Was hatte dieser Franzose nur mit mir gemacht? Wie konnte ich so faul und gemütlich werden? Er musste weg. Und zwar schnell.

Mit Staubsauger, Glasreiniger und Lappen bewaffnet gingen meine liebe Freundin (Danke!) und ich dem dreckigen Verräter wenig später an den Kragen. Und schwupps, stand er vor mir: Glänzend, leuchtend, sauber. Ich musste mich zusammenreißen, meinen persönlichen Kram nicht sofort wieder in ihn rein zu werfen. Bevor der kleine Mephisto in meinem Kopf weiter mit seinem Dreizack in meinem Hirn herum bohren konnte, machte ich einen Termin beim nächsten Autoankäufer.

Und siehe da: Wenige, durchaus nervenaufreibende Tage später (Tipp: Verlegen Sie niemals Ihren Fahrzeugbrief. Ist echt sch****.), war es soweit: Ich stieg ein letztes Mal in mein erstes eigenes Auto. Und kurz darauf wieder aus. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell: Begrüßung, Inspektion, Blabla, Preisvostellungen, Nachdenken, Handschlag – ein letztes Foto von mir und meinem kleinen Schwarzen, ein letztes zärtliches Streicheln über die Motorhaube und das war es. Ich ging und schaute mich nicht noch einmal um. Aber das tat der Clio vermutlich auch nicht.

Inzwischen sind einige Tage vergangen und ich kann sagen: Beim heiligen Christophorus, das war die beste Entscheidung seit langem! Nicht nur, dass sich mein Kopf endlich von jeglichem finanziellen und organisatorischen Tohuwabohu loseisen konnte. Nein: Inzwischen kann ich den Busfahrplan auswendig, mein Fahrrad ist nun keine Gefahr für den öffentlichen Straßenverkehr mehr (Es sei denn, ich sitze drauf..) und ich gehe statt einmal, mittlerweile vier Mal die Woche einkaufen. Ich will nicht leugnen, dass mein erstes eigenes Auto wirklich toll war: Jeden Cent wert und ein steter Beistand, meist unerlässlich und oft das Licht am Ende eines sehr phlegmatischen Tunnels.

Doch irgendwann ist ein Schlussstrich das einzig Richtige – oder um es mit Albert Einsteins Worten zu sagen: „Abschiede sind Tore in neue Welten.“. Hinter meinem Tor wird irgendwann ein BMW 1er F20 Urban Line in Königsblau stehen, da bin ich ganz sicher. Aber bis dahin trete ich noch ein bisschen in die Pedale und lasse meine Fibrillen tanzen.

Never drive faster than your guardian angel can fly!

Ihre Rike

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