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23 Jahre Filou: ein Rückblick mit Antje auf bewegte JahreKult zwischen „Wohnstubb“ und Konzertsaal

ALSFELD. Wo fängt man an zu erzählen, wenn es um 23 Jahre voller Leben geht? Eigentlich sogar 28? Da muss auch Antje Klee nachdenken. Dabei geht es um sie. Oder um ihr Bistro Filou. Oder um ihren Lebensgefährten Peter Knabl. Oder um alle drei – das ist ja gar nicht wirklich zu trennen. Der Anlass für diesen Versuch, über die Jahre zurück zu schauen, ist jedenfalls ein trauriger. Die Kultkneipe schließt am Ostermontag mit einem Ausverkauf, und als sicher gilt: Es wird viel erzählt werden von den Glanzzeiten mit gemütlichen Sonntagen in der „Wohnstubb“ und krachenden Konzerten – und viel geweint.

„Ich habe das Gefühl, viele Leute haben noch gar nicht realisiert, dass wir tatsächlich schließen“, erzählt die Wirtin beim Kaffee im Filou. Gekündigt wurde ihr nach längerem Hin und Her mit der Vermieterin – warum, ist eigentlich unbekannt. „Man spricht vom Ende, aber es fühlt sich noch nicht so an.“

Es ist Tag im Eck des Lokals, Sonne gibt dem Tresen eine völlig ungewohnte Präsenz und lässt das markante Balkenwerk wie Kulisse erscheinen. Eine Kulisse, die erst am Abend ihr Flair entfaltet, aber dann über Tausende Kneipennächte, über Generationen von Jugend eine eingefleischte Fangemeinde geschaffen hat. Für die ist Antje nicht einfach eine Wirtin, sondern die „Filou-Mutter“ im „zweiten Wohnzimmer“, wo junge Leute auch mit wenig Konsum lange sitzen durften.

So wird die 55-Jährige tatsächlich auch heute noch von längst erwachsenen Gästen angesprochen, die einst ihre Filou-Karriere mit 16 begannen, vielleicht wegzogen,  aber bei jedem Heimatbesuch mal einschauen. Antje Klee hat in den 23 Jahren, in denen sie jetzt das Filou zusammen mit Peter Knabl betreibt, viele Jugendliche aufwachsen sehen – die manchmal sogar mit ihren Eltern einkehrten. Wie kommt das? Es mag ihre offene Art sein, auf die jungen Leute zuzugehen. Es mag das gemütlich holzige Flair sein, das zieht – vielleicht auch der Geruch von Musikszene über der kleinen Bühne. Schauen wir zurück.

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Viele letzte Male: das Restprogramm im Filou

22. März: der letzte „Specki-Abend“

29. März: „Becker Brother & Friends“

05. April: „Radio los Santos“

14. April, Karfreitag: „Imme Clubnight“

Ostersamstag: „Fast leer trinken“

Ostersonntag: „Ganz leer trinken“

Ostermontag: ab 14 Uhr „Inventarverkauf“

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Antje – so wird sie von den meisten Besuchern schlicht genannt – hat sich für das Gespräch vorbereitet und holt dicke Ordner voller Bilder, Zeitungsartikel und alter Handzettel hervor. Sie blättert und schwärmt von Zeiten, in denen das Filou im betulichen Alsfeld Musikgeschichte schrieb.

Viel Livemusik, regelmäßige Konzerte mit heimischen Bands: Das zählte von Anfang an zum Programm, nachdem Peter Knabl die gerade mal drei Jahre alte Kneipe 1989 von Dieter Schneider übernommen hatte – und Antje dann wiederum zwei Jahre später von ihm. Krankenschwester war sie damals von Beruf, nur nebenbei Bedienung in verschiedenen Lokalen, dabei auch im Filou. So gefiel es ihr aber nicht: „Ich hatte so auf Beides keinen Bock.“ Sie entschied sich für die Existenz als selbständige Wirtin und übernahm das Filou vollständig – mit ihrem Lebensgefährten Peter Knabl als Allround-Manager. „Ohne Peter wäre das alles gar nicht gegangen“, resümiert sie heute. „Peter war Musikmanager und Hausmeister, Mädchen für alles.“

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„Ohne Peter wäre das alles gar nicht gegangen.“ Antje Klee blickt auf die Anfänge zurück.

Mit der Einladung auf die kleine Bühne stieß das Filou von Anfang an offene Türen ein in der Alsfelder Jugend – und begründete die eine oder andere Musikkarriere. Der junge Musiker Stephan Haus tat dort seine ersten Schritte in die Öffentlichkeit, wurde zu einem Motor der Alsfelder Musikszene – und betreibt heute in der Stadt seine eigene Musikschule. Dennis Wössner wuchs auf der Filou-Bühne zur Musikgröße oder Drummer Daniel Schild, der längst eine Profi-Laufbahn eingeschlagen hat. Unvergessen der Tag des 15-jährigen Jubiläums im Jahr 2000: Da waren die Musikfreaks über den Tag alle gemeinsam auf der Bühne. „The Gypsis“, „The Unimpossibles“, „Fishermens Girlsfriend“, „Third Generation“ oder „Anguish“ hießen die Bands der frühen Jahre. „Die Rückkehr der unheilbaren Krankheit“ erlebte im Filou ihren lautstarken Aufschwung, „Rinderwahnsinn“ ließ im gleichen Stil die Scheiben klirren und das Publikum toben – abgelöst von „Vicky Vomit“.

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Eine Foto-Galerie vermittelt Eindrücke aus der Geschichte des Filou

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„Telly Skavalas“ – da lacht Antje, dass es hallt im leeren Lokal: „Da hatten wir die Hütte voll!“ Die Ska-Band hat stets für ein guten Besuch gesorgt – aber an Weihnachten 2000, das weiß Antje noch: „Da mussten wir schließen, weil nichts mehr ging.“ 100 Besucher sind in Ordnung, bei 120 wird’s voll, bei 160 ist es krachvoll – aber an dem Weihnachtstag, da müssen es mehr als 200 gewesen sein. Das ist längst nicht mehr selbstverständlich, denn der gesellschaftliche Wandel hat auch vor dem Filou nicht Halt gemacht: Man geht heute anscheinend weniger aus, verzehrt weniger in Lokalen. Dennoch: „Helter Skelter“, „Who else“ – die Liste der starken Gruppen in der Filou-Geschichte wird immer länger. „Channel#4“. Und die „Hound dogs“, die ab 2008 mehrere Jahre hintereinander in der Weihnachtswoche rockten, dass der Staub von den Balken fegte. Dazwischen als kultiges DJ-Special die „Speckis Night“.

In jüngerer Zeit ist „At Eaze“ als Newcomer-Band aufgefallen. Oder, natürlich, der neueste Publikumsmagnet schlechthin: „Radio los Santos“. Eingängige, vielstimmige   Musik, smarte Jungs: Die Tanzfläche ist stets voll besetzt, überwiegend weiblich. Ach, ja, die Weihnachtswoche. Antje seufzt: „Das ist für mich immer das Highlight des Jahres.“ Von dieser Woche, die bis Silvester eigentlich zehn Tage lang ist, kann sie lange zehren: wenn angehende Alsfelder Abiturienten auf heimgekehrte Studies treffen, die in Pulks Tische und Bänke besetzen. Dann gibt es nicht nur satten Umsatz, sondern auch viele, viele Geschichten zu erzählen – beiderseits des Tresens, der meist im gleichen Alter besetzt ist.

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Februar 2011: Beim Abschiedskonzert von „Who else“ ist das Filou gerammelt voll.

Das ist auch so eine besondere Filou-Geschichte: die Tresen-Besetzung. Weil es nämlich Kult ist unter Alsfelder – oder Vogelsberger? – Jugendlichen, im Filou zu jobben. Manche Mädels und manche Jungs – überwiegend Mädels – konnten es kaum abwarten, dass sie alt genug für eine Bewerbung waren. Antje führte Wartelisten für frei werdende Stellen. Man beginnt als „Dritter“ mit einfachen Aufgaben – mancher arbeitet sich hoch zum „Ersten“, der oder die dann voll verantwortlich den Dienst leitet. Darin liegt vielleicht auch ein Geheimnis: Jugend hinter dem Tresen zieht Jugend davor. Wieviele es am Ende waren, das weiß sie auch nicht mehr. Es dürften über 80 gewesen sein. Für alle war Antje auch ein bisschen Mutti – bis heute.

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Auch die Gäste aus dem Irish Rover in Hamburg hinterließen vor kurzem Grüße im Gästebuch.

Was fehlt noch im Rückblick? Der Holzofen vielleicht, der anfangs an der Wand gegenüber stand und auch noch in diesem letzten Winter für Heimeligkeit sorgte? Die vielen Postkarten aus aller Welt an den Balken, das Klavier, das einst immer wieder mal bespielt wurde, aber im Bühneneck längst dekorativen Ruhestand genießt? Die ständig umlagerten Billardtische, die Hunderte Bilder an den Wänden – viele davon Perlen, weil Fotografen sich gerne im Filou austobten? Die berühmten, ruhigen Sonntage?   Ja! An die erinnert Antje sich auch gerne: „Da ist immer so ein besonderes Flair.“ So von Wohnstubb, von Vertrautheit unter Freunden, von „Filou-Familie“. Manche Alsfelder Geschäftsleute legten am Sonntag bei ihr buchstäblich die Füße hoch. Auf den Tisch. „Wo gibt es denn so etwas noch?“

Ja, das alles wird ihr fehlen, stellt Antje fest und müht sich um einen geraden Blick. Aber sie hat sich auch arrangiert – musste sich arrangieren, weil ihr Leben und das ihrer Familie auch ohne Filou weitergehen muss. Antje kehrte zu den Tugenden ihres alten Berufs zurück, arbeitet jetzt schon bei einem Pflegedienst. Das hat auch was mit Menschen zu tun, die mag sie, mit denen erlebt sie jetzt auch schöne Geschichten.  Naja, und die Annehmlichkeiten des Angestellten-Daseins haben auch ihre Vorteile. „Ich bin zufrieden“, beschließt Antje. Aber trotzdem. „Was machen denn dann die jungen Leute?“ Manche inzwischen ältere Gäste aus anderen Regionen haben angekündigt: Weihnachten ohne Filou – dann können sie auch wegbleiben. Wenn die Kündigung nicht gekommen wäre. Wenn es auch umsatzmäßig so weitergehen könnte. Antje ist sich sicher: „Dann hätte ich auch noch mit 70 hier gesessen.“ Von Axel Pries

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Im Zentrum des Lokals: der große, mit unzähligen Postkarten verzierte Tresen.

 

Ein Gedanke zu “Kult zwischen „Wohnstubb“ und Konzertsaal

  1. Wirklich ein großer Verlust, auch wenn ich schon lange nicht mehr dort war, aber die Erinnerungen sind echt schön :-(

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