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Selbsterfahrung eines verzichtenden Jugendlichen:„Ich fühle mich richtig befreit!“

ALSFELD (aep). Das hätte er wohl selbst nicht gedacht, dass er solche Sätze von sich geben würde: „Ich fühle mich richtig befreit!“ Oder auch: „In der Schule bin ich viel ausgeglichener geworden!“ Der junge Mann, der diese Selbsterkenntnisse gewonnen hat, ist Christoph Diehl, jener 19-Jährige, der Anfang des Jahres eine ungewöhnliche Wette mit seiner Mutter einging: ein Monat kein Handy, keine EC-Karte und kein Auto. Oberhessen-live berichtete und verfolgt sein Werden. Es scheint ihm gut zu gehen.

Aus einem Jux wurde eine ernste Wette: Der Alsfelder Christoph Diehl ging in dieses Jahr mit dem festen Vorsatz, im Januar auf einige scheinbar unverzichtbare Utensilien modernen Lebens zu verzichten. Für 500 Euro, wenn er durchhält. Er lässt sein Auto stehen, gab Handy und EC-Karte bei der Schwester ab – und erlebt die Welt plötzlich ganz anders. Von Entzugserscheinungen und Umstellungsschwierigkeiten berichtete Christoph in der vergangenen Woche: „Spannende Erfahrung eines freiwilligen Außenseiters.“

Eine Woche später klingt der junge Mann ganz anders, irgendwie begeistert. Er hat sich Notizen von seinen Erlebnissen der letzten Tage gemacht. „Ich habe mehr Zeit!“, ruft er beinahe ins Telefon. „Ich mache viel mehr mit Freunden, und ich führe richtige Gespräche!“ Gemeint ist der Part mit dem Handy. Zusammengefasst klingt die Erfahrung dieses Jugendlichen aus dem 21. Jahrhundert so: kein Handy, kein permanenter Mail-Stress, mehr Zeit für sich, mehr Muße, um sich mit Freunden zu treffen und dann tatsächlich mit ihnen von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren – ohne ständige Unterbrechung. Zumal seine Klage vom ersten Artikel offenbar bei seinen Kumpels angekommen ist: „Die lassen jetzt das Handy stecken, wenn ich da bin.“

Im Unterricht konzentrierter

Er fasst zusammen: „Das würde ich jedem Jugendlichen mal empfehlen!“ Und weil diese Erfahrung schon ziemlich klischeehaft klingt, schiebt Christoph, der einmal Erzieher werden will, gleich nach: „Das sage ich jetzt nicht, weil das so sein muss, sondern, weil ich das so erlebe.“ Positive Auswirkungen seiner Nichterreichbarkeit erlebt Christoph auch in der Schule. Mangels Ablenkung vom Smartphone verfolge er nun den Unterricht intensiver. Und wenn er dann heimkommt, dann könne er sich freuen: auf den PC, auf Facebook, auf 20 Nachrichten, die ihn erwarten. „Dann macht das wieder Spaß!“

Kein Auto. Da hatte Christoph vergangene Woche große Bedenken für die Zeit, wenn die Schule wieder anfängt. Er wohnt fast drei Kilometer entfernt, ist diese Strecke – wie auch Dutzende andere – stets mit dem Auto gefahren. Diesmal nahm ihn ein Kumpel morgens mit – doch kein Problem. Aber die Erkenntnis: Das könnte man eigentlich häufiger machen. „Wir sind sonst einzeln im Auto dieselbe Strecke gefahren.“ Gemeinsam fahren und häufiger gehen, das spart Sprit, Geld – und hinterlässt ein besseres Gefühl, bemerkte Christoph: „Ich fühle mich umweltbewusster, weil ich nicht für jeden Scheiß das Auto benutze.“ Ein bisschen mehr planen müsse er Stadtausflüge jetzt natürlich schon – etwa für Einkäufe.

„Mütter, die meckern, die haben immer Recht!“

Aber die werden immer seltener – da fängt der echte Kummer der Wette an. Der 19-Jährige hat sich mit dem Geldbedarf zu Anfang des Monats verschätzt. Jetzt ist es knapp – und jeder Kauf will gut überlegt sein. Ein Knackpunkt des Verzichtmonats.

Nach zwei Wochen „ohne“ ist Christoph sich aber sicher: „Ich will das schaffen!“ Es sei ihm klar geworden, dass er die Wette nicht nur wegen des Geldes eingegangen sei, sondern „ich wollte auch die Erfahrung machen.“ Er ist sich auch sicher: Wenn er erst sein Handy wieder hat – „klar, freue ich mich darauf“ – werde er bewusster damit umgehen.

Christoph zeigt sich glücklich in seinem neuen Leben und resümiert rückblickend jetzt schon: „Ich bin meiner Mutter dankbar, dass sie mich zu dieser Wette gebracht hat. Mütter, die meckern, die haben immer Recht!“

 

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