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Lokale Experten geben TippsWird Erben wirklich bald richtig teuer?

REGION (jal). Steuern, die sich versechsfachen: Die Bundesregierung arbeitet an einem Gesetz, das das Vererben und Verschenken von Häusern drastisch teurer machen könnte. Aber wie stehen die Chancen, dass das auch wirklich so kommt? OL hat mit Experten aus dem Vogelsberg gesprochen.

Es waren Zahlen, die einen ziemlich schocken konnten, die die Süddeutsche Zeitung da kürzlich präsentierte. Das Blatt hatte eine Beispielrechnung aufgestellt, die zeigen sollte, um wie viel Euro teuer es ab 1. Januar sein könnte, sein Haus zu vererben oder zu Lebzeiten schon zu übertragen. Waren es nach dem aktuellen Recht knapp 10.000 Euro, könnten dem Beispiel zufolge ab 2023 aufgerundet 60.000 Euro Erbschafts- beziehungsweise Schenkungssteuer fällig werden. „Omas Häuschen ist nur noch schwer zu halten“, heißt der Artikel im Internet.

Hintergrund des Gesetzes ist eine höchstrichterliche Entscheidung. Die steuerliche Bewertung von Immobilien basiert auf veralteten Werten, die Preise sind bekanntlich in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Experten staunen jedoch über die Art, wie die Gesetzesänderung geplant ist – und vermuten, dass der Fiskus sich gern einige Mehreinnahmen sichern möchte.

Holger Siebert (Foto) ist Experte in Sachen Testament und Co. Der Fachanwalt war lange Jahre Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Erbrechtskunde. Er ist in Alsfeld geboren, hat auf der ASS sein Abitur gemacht, in Gießen studiert. Mittlerweile arbeitet er neben Alsfeld oft in Berlin.

Fachleute raten: keine Panik

OL erreicht Siebert via Facetime in der Hauptstadt. Es sind mehrere Erkenntnisse, die er parat hat.

  • Die erste: Ja, Erben und Verschenken könnte tatsächlich so teuer werden, wie in dem Artikel beschrieben.
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  • Die zweite: Bislang ist im noch laufenden Gesetzgebungsprozess zu wenig auf dieses Problem hingewiesen worden, das ändert sich jetzt.
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  • Die dritte: Selbst wenn an dem Gesetz nicht mehr viel verändert würde, sei das Risiko von extrem hohen Steuern dadurch für Menschen in unserer Region äußert gering. Der Grund sind Steuerfreibeträge, die beim Übertragen von Eigentum gelten.

Auf den dritten Punkt lohnt es sich genauer einzugehen. Derzeit kann jedes Elternteil einmal binnen zehn Jahren jeweils pro Kind ein Wert von 400.000 Euro an den Nachwuchs übertragen, ohne dass dafür Steuern anfallen. Bei der Übertragung auf Ehe- oder eingetragene Lebenspartner sind es 500.000 Euro. Bei Enkelkindern, wenn deren Eltern noch leben, sind es 200.000 Euro. In Boom-Regionen wie München würden Immobilen heutzutage die hohen Grenzwerte schnell übersteigen, aber in der ländlichen Gegend des Vogelsbergs sei dies eher unwahrscheinlich, erläutert Siebert.

Dem stimmt die Alsfelder Steuerberaterin Melanie Kurz zu. Die geplante Neuregelung betreffe nur einen Bruchteil ihrer Mandanten, da die Häuser auf dem „platten Land“ eher in niedrigen Preiskategorien anzusiedeln seien. Kurz hat vielleicht auch daher bislang kaum Anfragen zu dem Thema erhalten, anders als Kanzleien in München, die der SZ zufolge förmlich überrannt werden. Kurz verweist zudem darauf, dass es mehrere Wege gibt, unterschiedliche Immobilienarten steuerlich zu bewerten und das Gesetz sich noch in Arbeit befinde.

Nochmal zurück zu den Freibeträgen. Selbst wer genau weiß, dass sein Haus und sein restliches Vermögen, das er an seine Nachkommen übergeben will, mehr wert ist als diese Freigrenzen, braucht nicht in Panik zu verfallen. Denn zum einen äußerte Finanzminister Christian Lindner inzwischen selbst den Wunsch nach einer Anpassung der Freibeträge, auch wenn er darauf verwies, dass es sich bei der Erbschaftssteuer um eine Steuer handle, die an die Länder fließe. Bayern hat sich bereits für eine Anhebung der Freibeträge ausgesprochen. Zum anderen gibt es mehrere Möglichkeiten, die Steuerlast selbst auf legalem Weg zu senken.

So lässt sich Erbschaftssteuer sparen

Fachanwalt Siebert erklärt: „Weil die Freibeträge alle zehn Jahre gelten, kann man beispielsweise die Immobilie in mehreren Teilen überschreiben. So kann man in den ersten zehn Jahren 400.000 Euro an sein Kind übergeben, und nach zehn Jahren nochmal.“

Die andere Alternative ist eine sogenannte Kettenschenkung. Beispiel: Eine Mutter will 800.000 Euro an ihre Tochter übertragen. Um Steuern zu sparen, gibt sie ihrer Tochter nur 400.000 Euro direkt – die restlichen 400.000 Euro schenkt sie ihrem Mann (und nutzt den Ehegatten-Freibetrag). Der Vater wiederum gibt das Geld dann an die Tochter weiter, ebenfalls wie die Mutter unter Ausnutzung des Freibetrags für Kinder, da die Regelung für beide Elternteile unabhängig voneinander gilt.

Die dritte Variante, die jedoch nur im Erbfall, also nach dem Tod, und nicht beim lebzeitigen Verschenken und nur bei selbstgenutzten Wohnhäusern greift, ist das sogenannte Familienheimprivileg. Demnach kann das Erben eines Wohnhauses komplett steuerfrei sein, wenn die Wohnfläche 200 Quadratmeter nicht überschreitet, der Erbe spätestens sechs Monate nach dem Erbfall einzieht und zehn Jahre darin wohnen bleibt. Zieht er eher aus, wird die gesamte Erbschaftssteuer fällig.

Und dann gibt es da noch das Nießbrauchrecht. Bei einer Überschreibung mit Nießbrauch geht, vereinfacht gesagt, der rechtliche Kern des Hauses zwar auf das ausgewählte Familienmitglied über, jedoch behält der bisherige Eigentümer weitgehende Rechte (beispielsweise, es zu vermieten und zu bewohnen), was den steuerlichen Wert der Immobile spürbar senken kann.

Wem das nicht reicht, dem kann vielleicht Finanzminister Linder helfen. Der FDP-Politiker erklärte, dass im Normalfall örtliche Gutachterausschüsse den Wert eines Hauses feststellen. Nur wenn dies nicht möglich sei, würden die Regeln des sich ändernden Bewertungsgesetzes greifen. Jeder Steuerpflichtige könne sich dem entziehen, indem er der Finanzbehörde ein eigenes Gutachten vorlege, sagt der Minister.

So oder so rät Experte Siebert aber zur Gelassenheit: „Aus steuerlichen Gründen jetzt eine voreilige Übertragung zu machen, wäre der größte Fehler“, sagt der Experte, der im Übrigen generell nicht viel davon hält, das Erbe bereits zu Lebzeiten zu verteilen. Es gebe selbst unter den möglichen gesetzlichen Verschlechterungen, „wenn sie denn kommen“, immer noch Gestaltungsspielraum, um diese aufzufangen. Am Ende gelte: „Lieber Steuern bezahlen, als etwas unüberlegtes tun, was man nicht mehr revidieren kann.“

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