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KOLUMNE - Am 1. Dezember 2013 startete Oberhessen-liveVor zehn Jahren kam das Baby zur Welt, und ich feiere ein bisschen

Ich kann mich noch gut erinnern: Die Seite wollte einfach nicht auftauchen, während ich mir den Mund fusselig redete, um die Zeit zu überbrücken – in der Hocke. Meine Knie taten schon weh, die Sektgläser um mich herum waren geleert, als plötzlich doch noch der markante Schriftzug mit ein paar Beiträgen auf dem Bildschirm auftauchte: Oberhessen-live war geboren! Das war genau heute vor zehn Jahren in dem kleinen Büro am Alsfelder Rossmarkt und wurde netterweise von Philipp Weitzel im Foto festgehalten. Zehn  Jahre – ich finde, das ist Anlass für ein paar feierliche Gedanken.

Aber warum eigentlich von mir? Okay, ich war es, der das Online-Magazin gegründet hat, und ich habe 27 Monate lang alles reingelegt, um das Baby zum Laufen zu bringen. Aber richtig gelaufen ist es dann 90 Monate lang mit ganz anderer Besetzung, während ich – finanziell und mental am Ende – mein Glück in der Ferne suchte. Diese Zeilen hier entstehen daher auch in einem kleinen Arbeitszimmer in der ostfriesischen Seehafenstadt Emden. Sie kommen von mir, weil Oberhessen-live in gewisser Weise wieder bei den Wurzeln gelandet ist. Außer mir sind noch der langjährige Redaktionschef Juri Auel und Hanna Penington als fleißige Redigier-Kraft für Inhalte zuständig. Hinter allem steht Inhaber Torsten Schneider.

Ähnlich klein habe ich vor zehn Jahren auch begonnen: ein kleines Büro, ein hoffnungsvoller Axel, ein emsiger Student Juri Auel als (Fern-)Vertreter und eine Handvoll freier Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Nach 18 Jahren als festangestellter Redakteur der Oberhessischen Zeitung wollte ich es alleine versuchen und dabei meine Idee von besserem Journalismus verwirklichen: schneller, vielfältiger, lebendiger als die bis dato recht behäbigen Print-Medien es konnten.

Der Preis: 24/7 Einsatzbereitschaft

Ich denke, das ist mir auch gelungen – um den Preis einer 24/7-Einsatzbereitschaft mit 65 bis 70 Stunden häufig hektischer Aktivität in der Woche. Was man Arbeitnehmern eigentlich nicht zumuten kann – auch gar nicht darf – tut man als Selbstständiger häufig und nicht einmal ungern: zehn und mehr Stunden wirbeln, um die Bälle in der Luft zu halten. Die ganze Arbeit, der ganze Stress ist für dich persönlich, du entwickelst etwas. (Wohl dem Arbeitgeber, der diese Flamme beim Personal entzünden kann, mir scheint aber, es werden immer weniger.)

Schöne Wochen im Sommer 2014: als Deutschland Fußball-Weltmeister wurde. In der Endspielnacht war ich in Alsfeld wohl der einzig nüchterne Mensch – ich habe über den Sieg und die Feiern geschrieben. Bild: ol

Wie so ein Tag verlief? Morgens die E-Mails von Vorabend durchschauen und gegebenenfalls bearbeiten, dann am Vormittag zu einem Termin und den abarbeiten, bis zum nächsten, vielleicht in einer ganz anderen Ecke des Vogelsbergkreises – oder der Schwalm, in die ich bald auch gefahren bin. Die Fahrten habe ich gerne zum Telefonieren oder als Pausen  genommen. Vor allem, wenn es von Alsfeld nach Lauterbach geht: Auf der recht geraden B254 kann man das Hirn auf Autopilot stellen und bei lauschiger Musik entspannen. Ich kann mich aber auch erinnern, wie ich über ein Video vom Attentat des „Alsfelder Doppelbombers“ Ende 2013 auf der nachtdunklen Rückfahrt von Homberg/Ohm am Handy mit einer Redakteurin von RTL verhandelte, die das Video gerne verwenden wollte. Und über allem zwei Gebote: Lass dir eigene Themen einfallen und habe immer ein Ohr bei den Leuten, um dabei zu sein.

Heim ging’s meist um 21 Uhr. Wenn es dann um 23 Uhr ins Bett ging, kam es nicht selten vor, dass das Telefon klingelte: Unfall auf der B49, Brand in Brauerschwend oder sonstwo. Also wieder raus – sch**ß selbstaufgelegtes Diktat, Spannendes immer schon am Abend oder in der Nacht zu veröffentlichen! Wenn es dann aber drin ist, verschwindet der Stress, dann hast du was geschafft! So wie in den lagen Nächten, als Regen Romrod unter Wasser setzte. Nach einem langen Abend mit Berichterstattung über die vielen Wasserschäden im Kreis bin ich um 23 Uhr noch nach Romrod gefahren und habe bis nach 1 Uhr an dem Artikel gearbeitet. Oder die lange Nacht, als 2015 die ersten Flüchtlinge in die Großsporthalle einziehen sollten. Sie kamen ab 2 Uhr in der Nacht – und ich war dabei.

Die Erfahrung:wie man Banner verkauft

Es gab auch ganz andere Tage. Da habe ich mich um das Wichtigste so einer Unternehmung gekümmert: die Einnahmen. Sprich: Ich versuchte Anzeigen zu verkaufen – eine Tätigkeit, in der ich gänzlich ungeübt war. Die Geschichte beweist: Es waren am Ende auch zu wenig Werbebanner, von denen ich leben wollte. Aber ein bisschen stolz bin ich doch darauf, ein paar der großen Firmen zu Dauerwerbung überredet zu haben. Das war oft das Ergebnis stundenlanger Verhandlungen und immer neuer Nachfragen, denn Oberhessen-live war etwas Neues im Vogelsberg. Das braucht Überzeugungskraft.

Mein Konfertei zierte Kommentare.

Ist eigentlich bekannt, dass der erste Werbebanner von einem Mann geschaltet wurde, der zwar eine Website besitzt, aber mit Internet eigentlich wenig am Hut hatte? Der frühere Alsfelder Buchhändler Helmar Bünnecke hatte den Weitblick, mit dem allerersten Banner auf Aktivitäten seines Geschäfts aufmerksam zu machen.

Aber die Skeptiker hatten ja Recht, die sagten: Das schafft du nicht alles alleine! Und das Geld reicht auch nicht ewig. Stimmt. Deshalb war ich froh, als im Sommer 2014 Torsten Schneider mit ins Boot kam. Es war seine Initiative, die dazu führte – und für mich und mein kleines Magazin ein Glücksfall. Der neue Partner brachte auch viel Knowhow in Sachen Marketing mit. Er kam mit neuem Schwung! Wir haben sogar ein achtseitiges OL-Begleitheft rausgebracht, das viel positive Resonanz hervorrief, aber einzig blieb, weil wir weitere nicht mehr verteilen konnten.

Der Rest ist Geschichte: Irgendwann war ich am Ende und suchte einen Ausweg, fand ihn in einer Beschäftigung woanders.

Ein Team übernahm 2016

Aber Oberhessen-live ist geblieben, und dafür bin ich sehr dankbar – so dankbar übrigens wie für die vielen Menschen, die mich einst im Büro am Rossmarkt besucht haben, um mich zu bestärken. Als ich Ende Februar 2016 aufhörte , trat ein Team um den bis dahin für Sport zuständigen Christian Dickel in meine Fußstapfen. Luisa Stock wuchs unter der Leitung von Juri Auel von der Volontärin zur vielfältigen Hauptkraft in der Redaktion, begleitet von Alina Roth als hauptamtlicher Kollegin und Naomi Hedrich, Nadine Hütter oder auch Hanna Penington im Redaktionsteam.

Mitarbeiter von Vobitz machten mit ihnen möglich, was mir noch unmöglich war: Video-Produktionen mit Moderatorin, sogar ganze live-Sendungen. Die politischen Talks wurden legendär. Tausende Texte, abertausende Fotos… So habe ich erlebt, wie Oberhessen-live sich fortentwickelte und wuchs und wuchs und wuchs. Die Jahre kamen und gingen, und stets am 1. Dezember wurde gejubelt: wieder eines!

Aber die Zeit bringt halt immer Veränderung mit. Auch dieses Team ist Vergangenheit, und „der Alte“, ist zurück – ebenso nebenberuflich wie Juri Auel, der meist von München aus mitarbeitet. Home-Office macht’s möglich, und mir ist diese Mitarbeit trotz der räumlichen Distanz ein persönliches Anliegen.

Meine Feier mit Dank an das ganze Team

Auch, wenn diese Jubiläumsfeier deshalb etwas stiller ausfällt, stolz macht mich die Rückschau doch. Einmal alles reingelegt, einmal ganzheitlich für die Ausgabe und die eigene Existenz verantwortlich sein… Wie heißt es immer so schön: Die Erfahrung möchte ich nicht missen! Nun will ich für mich feiern.

Aber nicht, ohne vorher allen Menschen zu danken, die dieses Baby von 2013 bis hierher getragen haben und daraus mit gro0em Einsatz ein Magazin machten, das im Vogelsberg und in der Schwalm immer noch täglich Tausende Besucher anzieht. Auch ihnen vielen Dank, denn sie geben dem hier erst einen Sinn!

Axel Pries

 

 

 

2 Gedanken zu “Vor zehn Jahren kam das Baby zur Welt, und ich feiere ein bisschen

  1. Lieber Axel, alles Gute zum Jubiläum. Ich freue mich immer wieder mal etwas von Dir zu sehen und zu hören. Viele liebe Grüße
    Franzi

  2. Herzlichen Glückwunsch zum 10-jährigen Bestehen.
    Ein Artikel von ihnen Herr Pries hatte mir besonders gut gefallen, „Für den Verletzten ist er doch ein Held“ vom 18.02.2014. Das ist genau ihre Handschrift.
    Alles Gute für weitere Jahre und schön, dass sie wieder an Bord sind.

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