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Die Blaulicht-Protokolle: Was Retter im Vogelsberg erleben – Teil 1 mit Stadtbrandinsepktor Daniel Schäfer„Die Leute sind egoistischer geworden“

ALSFELD. Daniel Schäfer ist Chef der Alsfelder Feuerwehr – und manchmal ziemlich verzweifelt. Wenn sich Menschen durch Absperrungen drängen oder sich über Motorgeräusche der Helfer beschweren. Hier schildert er seine Gedanken zu solchen Szenen. Teil 1 der Blaulicht-Protokolle.

Die Silvester-Kravalle in Berlin haben ein Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, was in den Nachrichten immer wieder mal vorkommt, aber im Alltag dann doch untergeht: Mangelnder Respekt gegenüber Einsatzkräften in Uniform. Auch wenn Berlin andere Maßstäbe setzt: Das Phänomen lässt sich auch im beschaulichen Vogelsberg beobachten.

OL hat mit jeweils einem Vertreter der Polizei, der Feuerwehr und des Rettungsdienstes gesprochen und gefragt, welche Situationen den Helfern besonders in Erinnerung geblieben sind. Herausgekommen sind: die Blaulicht-Protokolle. Heute mit Daniel Schäfer, Stadtbrandinspektor der Alsfelder Feuerwehr.

Protokoll von Stadtbrandinspektor Daniel Schäfer

Wenn wir zu einem Einsatz auf der Autobahn fahren, dann fahren wir vor die Einsatzstelle und stellen die Fahrzeuge mitten auf der Fahrbahn quer. Das machen wir ganz bewusst, damit die Autos nicht vorbeifahren und so vielleicht eine Einsatzkraft in Gefahr bringen. Und noch während wir aus unseren Einsatzfahrzeugen aussteigen, versucht sich noch jemand vorbeizudrücken und fährt uns fast über die Füße. Kein Witz: Das ist tatsächlich schon vorgekommen. Aber erst danach geht es so richtig los.  

„Ich muss hier durch, ich habe einen Termin“ oder „Könnt ihr das nicht später machen?“ – die Aussagen höre ich bei Sperrungen ständig, während nur wenige Meter entfernt im Hintergrund ein Unfallauto quer auf der Fahrbahn liegt, Flammen aus dem Motorraum aufsteigen und der Rettungsdienst um das Leben eines Menschen kämpft. Das in einer solchen Situation zu hören ist wirklich erschreckend, gehört aber, wenn ich so darüber nachdenke, mittlerweile eigentlich zu jeder Sperrung dazu.

Aber man steht dort, weil man sich in seiner Freizeit gerne für andere einsetzt, ihnen hilft und man das wirklich mit Leidenschaft tut.

Auch Situationen, in denen wir aufgefordert werden, das Blaulicht oder den Motor auszumachen, weil es bei der Gartenparty stört, passieren hier, oft sogar. Das geschieht auch hier auf dem Land, seltener als in der Großstadt – ich bin ja auch in der Frankfurter Berufsfeuerwehr – aber es passiert. Währenddessen ist das klassische Ich-muss-hier-aber-jetzt-durch zum Standard geworden.

In solchen Situationen sollte man sich vor Augen führen, dass auch wir ehrenamtlichen Einsatzkräfte das gerade nicht gerne mache, dass auch wir nicht gerne zu jeglicher Tages- und Nachtzeit schwer verletzte Menschen aus Unfallwracks ziehen, deren Leben am seidenen Faden hängt. Nicht selten möchte auch ich lieber abends zuhause auf der Couch sitzen oder mit Freunden unterwegs sein, statt bei Kälte auf der Autobahn oder bei Hitze auf einem brennenden Stoppelfeld. Aber man steht dort, weil man sich in seiner Freizeit gerne für andere einsetzt, ihnen hilft und man das wirklich mit Leidenschaft tut.

Alsfelds Stadtbrandinspektor Daniel Schäfer. Foto: akr

Während man dann also da so steht und versucht, seine Arbeit zu machen, kommen Leute und fangen an zu diskutieren, weil sie jetzt ganz schnell da noch durchmüssen. Das ist nicht nur auf der Autobahn oder bei Unfällen auf Straßen so, die Diskussionen gibt es bei jedem Brand, jeder Ölspur, jedem Gasaustritt – praktisch immer, sobald wir absperren. Die Leute sind egoistischer geworden.

Es kommt nicht selten vor, dass sie das Flatterband hochnehmen und drunter durch direkt in die Einsatzstelle laufen. Dass wir Einsatzkräfte im Zweifel dadurch daran gehindert werden, einem anderen Menschen zu helfen, spielt keine Rolle. Wenn man etwas sagt, artet das häufig in Diskussionen aus. Das passiert in der Großstadt, das passiert aber auch hier auf dem Land. Als Einsatzkraft ist man in solchen Situationen oft sprachlos und muss versuchen, ruhig und sachlich zu bleiben. Meistens klappt das – auch wenn es oft länger dauert, bis die Leute Ruhe geben. Ich rate den Kollegen immer sich bewusst darüber zu werden, dass die Verärgerung der Leute nicht persönlich gemeint ist, sondern gegen die Feuerwehr als Hindernis. Das kommt dann natürlich auf die Tagesform an, wie gut das Abprallen klappt. Vergesst nicht: Hinter einer Einsatzkraft steckt immer nur ein Mensch.

Es muss schon viel passieren bis ich die Ruhe verlier, aber vorgekommen ist das schon. Wenn man beleidigt oder angeschrien wird, nur weil jemand anderes durch möchte, oder man mit Anwalt oder Polizei gedroht bekommt. Zu tätlichen Angriffen ist es Gott sei Dank noch nicht gekommen. Die Feuerwehr hat da den Vorteil, dass sie in der Masse aufschlägt und die Skrupel, allein aggressiv gegen zehn Leute zu werden, sind deutlich höher.  

Noch sind die Unterschiede zwischen Großstadt und Land gravierend, aber sie werden geringer.

Dennoch: Der Respekt gegenüber den Einsatzkräften, vor den Maßnahmen der Einsatzkräfte, ist so gut wie weg – zumindest bei einem großen Teil der Bevölkerung. „Respekt vor der Uniform“ – das habe ich früher gelernt, aber das wird immer weniger. Bei den Kollegen der Polizei merkt man das extrem. Klar, manchmal hat die Polizei nicht für jeden einzelnen eine positive Seite, wenn sie kommt, aber im Grunde sind alle Einsatzkräfte – egal ob Polizei, Rettungsdienst oder Feuerwehr – da, um irgendjemanden zu helfen.

Diesen Einsatz dann nicht zu respektieren ist eine Entwicklung der Gesellschaft, die erschreckend ist. Die sozialen Medien tun im Nachhinein dann durch anonyme Kommentare noch ihr übriges.  

Noch sind die Unterschiede zwischen Großstadt und Land gravierend, aber sie werden geringer. Solche Macht-mal-das-Blaulicht-aus-das-stört-mich-Diskussionen gab es hier früher nicht, mittlerweile sind sie auch hier angekommen und auch mehr Stell-den-Motor-ab-Aufforderungen gibt es. So viel sei hier gesagt: Wenn der Motor am Feuerwehrfahrzeug läuft, dann weil darüber Gerätschaften laufen. Früher wurde darüber gar nicht diskutiert. Das sind Momente, in denen man ins Zweifeln kommt und sich fragt, warum man sich so ein Ehrenamt überhaupt antut und man nicht lieber etwas Ruhigeres macht, ohne Diskussionen.

Seit 28 Jahren bin ich jetzt schon bei der freiwilligen Feuerwehr hier in Alsfeld, seit 18 Jahren bei der Berufsfeuerwehr. Man könnte also durchaus sagen, dass ich ein Feuerwehrmann aus Leidenschaft bin. Ich hoffe das bleibt auch in Zukunft so.

Aufgezeichnet von Luisa Stock.

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