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Neujahrsempfang in AlsfeldGrünen-Ministerin Dorn stellt sich Gegendemonstranten der eigenen Partei

ALSFELD (ls). Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser über ein Interview im Spiegel ihre Spitzenkandidatur bei der Hessenwahl verkündete, gab es im Kartoffelsack Häppchen. Die Grünen hatten zum Neujahrsempfang geladen – mit Angela Dorn, der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst. Zum Start des Wahljahrs sprach sie den Vogelsbergern Mut zu – und stellte sich abseits des Geschehens einigen Gegendemonstranten aus den eigenen Reihen.

Von denen wurde die Ministerin schon erwartet: Mit lauten Kettensägen-Geräuschen vom Band, die an die Rodung des Dannenröder Waldes erinnern sollten, und einer Gruppe Demonstranten, die gegen die Entscheidungen der Grünen auf Landesebene und Bundesebene in Sachen Klimapolitik demonstrierten.

Das Paradoxe daran: Ein Teil dieser etwa zehn Demonstranten – mal kamen ein paar Leute hinzu, mal gingen wieder welche – sind selbst Mitglied bei den Grünen. Unterstützt wurde die Gruppe von einigen Anhängern der „Wald statt Asphalt“-Initiative, die sich rund um die Proteste im Dannenröder Wald gegründet hatte.

Ein paar Demonstrierende waren gekommen, um gegen die Politik der Grünen und deren Verfehlungen in der Klimapolitik zu demonstrieren. Kein Wunder, dass der Bau der A49 und die Rodung des Dannenröder Waldes hierbei eine große Rolle spielten. Alle Fotos: ls

„Das geht wunderbar zusammen“, erklärte Ernst-Ludwig Moderer dazu. Moderer, der die Demo angemeldet hat, ist Mitglied bei der Alternative Liste Alsfeld (ALA), einem Wählerzusammenschluss überwiegend aus Mitgliedern von Grünen und Linken. „Wir sind hier um zu zeigen, dass die Grünen mit ihrer Realpolitik die jungen Menschen verraten haben, die an sie glaubten und denen etwas anderes versprochen wurde“, sagte er. Statt einen über Jahrzehnte funktionierenden alten Wald abzuholzen, setze die grüne Landespolitik auf Autos und verrate damit Ideale, die sie ursprünglich einmal verfolgte.

„Es ist eine Katastrophe“, fasste es Moderer zusammen und forderte die Landes-Grünen auf, ihr Verspechen an die jungen Menschen einzuhalten und auch das 1,5 Grad Ziel einzuhalten, statt die Menschen, die sich nicht mehr anders zu helfen wissen, als Straßen zu blockieren, mit dem Wort „Klimaterroristen“ zu beschimpfen. Wobei der Vorwurf etwas hinkt, denn die Straßenblockierer wurden eher von Unions-Politikern so oder so ähnlich genannt.

Ernst-Ludwig Moderer, Mitglied bei der Wählervereinigung ALA, hat die Demo angemeldet. Seine Forderung: Die Grünen sollen sich an ihre Ur-Grünen Ziele und Werte erinnern, die sie mit ihren Handlungen in den letzten Jahren mehrfach verraten hätten.

Konfrontation und Austausch vor dem Kartoffelsack

„Grüne bleibt grün“, rief die Gruppe, als Ministerin Angela Dorn eintraf, um sich den Demonstranten zu stellen. Ob es noch Möglichkeiten gegeben habe, die A49 zu verhindern, wollte eine Demonstrantin von der Ministerin wissen. Das sei eine Geschichte, die sehr lange mit den Grünen einhergehe, erklärte Dorn. Die Ministerin weiß, wovon sie spricht, denn als gebürtige Marburgerin ist sie mit den Streitereien um die Autobahn bestens vertraut. „Seit ich bei den Grünen aktiv bin, bin ich gegen die Autobahn“, erklärte sie.

Bevor es rein zum Neujahrsempfang ging, stand Dorn den Demonstrierenden Rede und Antwort. „Ich weiß, dass vieles für Sie frustrierend ist. Ich frage mich, wie es dazu gekommen ist, dass Sie so wenig Vertrauen haben“, gab sie als Frage zurück in die Gruppe.

Als Dorn später resümiert, spricht sie von einem ruhigen, konstruktiven Gespräch, bei dem anerkannt wurde, dass die Grüne viel versucht haben, den Bau zu verhindern. Genauso sei anerkannt worden, dass es demokratische Entscheidungen gewesen sind, die zum Bau der Autobahn geführt haben. „Hier im Vogelsberg und in meinem Landkreis, Marburg-Biedenkopf: Die Mehrheit war immer für die A49“, ergänzte Dorn. „Insofern gab es demokratische Entscheidungen, die dazu geführt haben, dass – aus meiner Sicht – ein Fehler passiert ist.“ Am Ende sei es durch Gerichtsurteile aber eine rechtsstaatliche Entscheidung gewesen.

Dorn freute sich über den Dialog. Politik werde immer wieder ihr Handeln erklären müssen, das sei wichtig und gut. In allen Punkten konnte die Ministerin nicht überzeugen. „Das ist schwer möglich“, gestand sie ein. Es sei dennoch ein ehrlicher Austausch über ein Thema gewesen, was den Grünen selbst nicht leicht falle.

Auch der Grüne Verkehrsminister Tarek Al Wazir erntete Kritik.

Krisen nicht spurlos an den Grünen vorbeigegangen

Das bekräftigte die Ministerin auch später am Abend bei ihrer Rede vor den Kreis-Grünen mit Blick auf das vergangene Krisenjahr. Es sei keine Überraschung, dass sie sich ihre Amtszeit anders vorgestellt habe, dass sich die Grünen diese Regierungszeit anders vorgestellt hätten. Gasknappheit, Krieg in der Ukraine und daraus resultierend die Verlängerung der Atomkraft, wenn auch klar begrenzt: Die Krisen seien alles andere als spurlos vorbeigegangen.

„Das sind bittere Schritte für uns Grünen, aber wir sind diese Schritte gegangen, weil sie notwendig waren“, sagte Dorn. Regierungsverantwortung heiße, dass man in solchen Krisen Verantwortung übernehmen müsse, um nach vorne gerichtet etwas zu bewirken. Das habe man getan und dadurch nicht nur Rückschritte gemacht, sondern auch Fortschritte.

Weil die Grüne-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete Eva Goldbach noch in Plenarsitzungen in Wiesbaden festsaß, übernahm Hubert Reinhardt im Namen des Kreisvorstands die Begrüßung der Gäste. Auch er ging in seiner kurzen Ansprache darauf ein, dass das Jahr 2023 viel Einsatz abverlange, um gestärkt daraus hervorzugehen.

Dabei nannte Dorn beispielhaft den Ökostrom, der mittlerweile mehr als die Hälfte des Verbrauchs ausmache. Das zeige, dass die Energiewende durch die Krise endlich richtig angegangen werde. „Es war ein bitteres Jahr, aber wir können auch stolz darauf sein, was alles geschafft wurde“, sagte sie.

Bei vielen Menschen wachse nun die Erkenntnis, dass es eine Veränderung brauche, doch Veränderung bringe auch Verunsicherung und Sorge hervor. Die Grünen hätten Veränderung durch ihre Nähe zur sich dauerhaft verändernden Natur verinnerlicht. Deshalb habe man zur Veränderung ein positives Gefühl, weshalb es in ihrer Verantwortung liege, die Menschen zu motivieren, sie mitzunehmen und ihnen zu zeigen, welche Chancen im Wandel liegen. Dazu müsse eine gemeinsame Basis und Zusammenhalt geschaffen werden.

Konrad Rüssel, Stadtverordneter für de ALA, machte als Vertreter aus Alsfeld deutlich, was die Stadt kulturell zu bieten habe. Dabei durfte auch der Blick auf das Haus Speier in Angenrod und dessen Geschichte nicht fehlen, ebenso wie ein Blick auf Chöre, Theaterveranstaltungen, die Tafel, die Stadtbücherei und das Museum. „Das kulturelle Leben hier ist für eine Stadt dieser Größenordnung außergewöhnlich. Nicht weil staatliche Gelder reinfließen, sondern weil es viele Freiwillige und Ehrenamtliche gibt, die es am Leben erhalten“, sagte Rüssel. Das sei ein Grund, warum er hier sehr gerne lebe.

Das sei die große Herausforderung für das Jahr 2023: Zusammenhalt schaffen und gemeinsam gestärkt und mutig aus der Krise hervorgehen – und das in allen Bereichen: Von der Bildungspolitik, in der Chancengleichheit gelten muss, bis ins Ehrenamt und die Kultur, die im ländlichen Raum entstehe.

Gerade hier im Vogelsberg sehe man, dass man mutig aus Krisen hervorgehen könne, um diese zu überwinden. Aus widrigen Bedingungen der Geschichte habe man die Chance ergriffen, etwas zu neues zu schaffen, erklärte Dorn und nannte das von Rüssel zuvor genannte Haus Speier exemplarisch als Beispiel. „Kultur ist ein Mutmacher und das gemeinsam miteinander und nicht gegeneinander.“

Kein grüner Neujahrsempfang ohne Klima

Es wäre aber sicherlich kein grüner Neujahrsempfang gewesen, wenn es nicht auch um das Klima gegangen wäre. Hier stehe man in diesem Jahr vor großen Herausforderungen, in denen mit dem nötigen Know-how die Chance ergriffen werden müsse, ein wichtiger Wirtschaftsmotor der Energiewende zu werden. Dabei dürfe auch die soziale Frage nicht außer Acht gelassen werden. „Ohne Klimaschutz, ohne das Aufhalten der Klimakatastrophe, wird es für nächste Generation keine Freiheit mehr geben“, mahnte Dorn und erinnerte an die Ur-Grünen Worte: Der Mensch hat sich die Erde nur geborgt.

In ihrer Rede erklärte Dorn auch, dass die Grünen mit Tarek Al Wazir den ersten Grünen Ministerpräsidenten stellen wollen.

Bei den Vertretern aus der Demonstration ging in diesem Moment ein Murmeln durch den Raum. Dorn verteidigte ihren Partei-Kollegen: „Er ist ein Mensch, der Farbe bekennt, auch das gehört dazu.“

So erklärte sie auch den Grünen im Kartoffelsack, dass sie sich gerade draußen über Entscheidungen unterhalten habe, denen man sich im Rechtsstaat nachkommen müsse, wenn man auch immer dagegen gekämpft habe. Wichtig sei es aber auch, über die Vielzahl an Maßnahmen zu erinnern, die sie durchgesetzt hätten, wie das erste Klimagesetz in Hessen. Die wirklichen Treiber für den Klimaschutz seien aber die Kommunen – und dazu brauche es die Grünen in den Vogelsberger Oppositionen, die immer wieder als Mahner auf den Klimaschutz aufmerksam machen. Das sei wesentlich, damit man Stück für Stück vorankomme.

„Wenn wir dann vorgeworfen bekommen, wir würden die Freiheit einschränken, sage ich: Wir gewinnen an Freiheit und schaffen Freiheit für nächsten Generationen“, sagte Dorn. „2023 wird ein Jahr, in dem wir neuen Mut haben, neuen Mut voranzugehen.“ Mit diesem Mut führe man das Land in die Zukunft. Das schaffe man aber nur gemeinsam.

Wie hätte es auch anders sein sollen, wenn die Ministerin für Kunst und Wissenschaft kommt, darf auch die Kunst der Musik nicht fehlen. Dargeboten wurde sie am Saxophon von Uli Schrimpf. Übrigens: Bereits im Mai wird Angela Dorn wieder in Alsfeld zu Gast sein. Dann nämlich steht nicht nur die Eröffnung des Alsfelder Stadtmuseums an, sondern auch die Prämierung eines neuen Museums des Monats. Welches das wohl sein wird?

Weitere Eindrücke des Abends

4 Gedanken zu “Grünen-Ministerin Dorn stellt sich Gegendemonstranten der eigenen Partei

  1. „Wir sind hier um zu zeigen, dass die Grünen mit ihrer Realpolitik die jungen Menschen verraten haben“??? Hat sich mal jemand diese Demonstranten angeschaut? Wieso ist da kein junger Mensch aus der Region dabei? z.B. jemand der gerade seine Ausbildung oder sein Studium abgeschlossen hat und nun einen gut bezahlten Job sucht…
    Ganz einfach: Die „jungen Menschen“ aus dem Vogelsberg teilen NICHT die Positionen dieser Demonstranten!!! Ganz im Gegenteil. Sie erkennen, dass die Ziele dieser Leute (gegen Autobahnausbau, gegen Industrieansiedlung, gegen Industriegebiet) ihnen alle Möglichkeiten für die Zukunft im VB verbauen!!

  2. Der Habeck hat den Green Deal mit beschlossen,das ist neuer Kolonialismus-neokolonialismus weitere ausbeutung von Afrika und Südamerika was ist daran neu ihr macht da weiter was Europa schon immer gemacht hat.

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    1. Sagt der Werner -Kalbfleisch, der an rechten Parolen nicht spart und schön importiertes Öl aus autokratischen Staaten benutzt, um es sich mit seiner alten Ölheizung auf dem Sofa schön warm zu machen.

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