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Interview mit Werder-Spielerin und gebürtigen Vogelsbergerin Chiara Hahn„Frauen sind manchmal härter im Nehmen“

ExklusivVOGELSBERG/BREMEN (akr). Der SV Werder hat einen Neuzugang – und zwar die gebürtige Vogelsbergerin Chiara Hahn. Die 21-Jährige, die ihre fußballerischen Wurzeln in Lauterbach und Alsfeld hat, kickt künftig in der Frauen-Bundesliga. Wie sie zum Fußballspielen gekommen ist und was Frauen beim Kicken anders machen als Männer, das erzählt sie im Interview mit OL.

Oberhessen-live: Was ist das für ein Gefühl, bei so einem großen Verein unterschrieben zu haben?

Chiara Hahn: Natürlich ein total positives. Es ist toll, für einen so großen Verein spielen zu dürfen. Ich habe mich sehr gefreut hier zu sein und die Spielerinnen kennenzulernen – den Trainer kannte ich bereits, weil ich im Sommer schon mittrainieren durfte und einen guten Einblick gewinnen konnte.

Wieso hast du im Sommer denn schon mittrainiert?

Weil ich mich auf die U20-Weltmeisterschaft vorbereiten wollte. Ich habe mich fitgehalten und bei Werder schon mittrainiert.

Bei Fußballprofis denkt man unweigerlich auch an viel Geld und dickte Autos. Wirst du jetzt bald in einem Porsche durch Lauterbach brausen?

(lacht) Nicht so ganz. Ich habe kein Auto.

Noch nicht?

Ich fahre mit dem Fahrrad. Es ist kein weiter Weg und hier in Bremen braucht man auch kein Auto, man kommt überall zu Fuß, mit dem Fahrrad oder der Bahn hin. Deswegen habe ich erstmal kein Auto.

Wann hast du das erste Mal daran gedacht, dein Hobby zum Beruf zu machen? Gab es da einen besonderen Moment?

Ne. Es war schon immer mein Ziel, Fußball später zum Beruf zu machen. Mir war schon ziemlich früh klar, dass ich für immer Fußball spielen will und auch damit irgendwann Geld verdienen möchte.

Chiara Hahn wechselt zum SV Werder Bremen

Fußballerin war schon immer der Traum

Also hattest du nie einen anderen Traumberuf? Tierärztin oder Feuerwehrfrau?

(lacht) Ne, tatsächlich hatte ich nie einen anderen – es war immer mein Traum, Profi-Fußballerin zu werden.

Wie bist du überhaupt zum Fußball gekommen?

Ich brauchte immer Bälle. Schon als Baby habe ich immer mit Bällen gespielt, brauchte immer Bälle um mich herum. Mit vier Jahren haben mich meine Eltern dann im Dorfverein angemeldet. Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich dann auch dabeigeblieben bin.

Alles klar – hätte ja auch eigentlich Handball sein können.

Ja eher so Bälle am Fuß. Mit der Hand läuft es bei mir nicht so.

Okay, also kommt für dich eine Karriere als Torhüterin nicht in Frage.

Ne. Auf dem Feld fühle ich mich sehr wohl.

In jungen Jahren das Ziel zu haben, Profi-Fußballerin zu werden, ist für viele vielleicht eher ungewöhnlich. Wie haben deine Familie und Freunde reagiert? Haben sie dich immer unterstützt oder auch mal gesagt: „Sie ist verrückt.“?

Von Anfang an haben mich meine Familie und Freunde immer supportet. Meine Familie hat mich auch immer zum Training gefahren, als ich noch im Vogelsberg gewohnt habe. Sie haben mir auch bei Heim- und Auswärtsspielen zugeschaut – auch meine Freunde. Sie fanden es alle immer cool und standen hinter mir – auch wenn ich für sie nicht viel Zeit hatte. Daran hat sich aber auch gezeigt, dass es wahre Freundschaften sind.

Ist diese Unterstützung von Familie und Freunden genau das, was man braucht, um das alles zu schaffen?

Ja, es war auf jeden Fall wichtig für mich. Ich glaube ohne die ganze Unterstützung hätte ich es nicht soweit geschafft. Wenn meine Familie das nicht gewollt hätte, wüsste ich nicht, ob ich dieses Ziel weiterverfolgt hätte, auch wenn es mein größter Wunsch war. Hätten mich meine Eltern beispielsweise früher nicht zum Training gefahren, dann wäre ich vermutlich nicht so weit gekommen.

Karrierestart im Vogelsberg

Deine Karriere hat im Vogelsberg gestartet und dich nun nach Bremen geführt. Kannst du nochmal deinen Werdegang skizzieren? Du warst zwischenzeitlich schließlich auch noch in den USA.

Ich glaube die Jahre im Detail bekomm ich nicht mehr hin. Also ganz früher, als ich vier Jahre alt war, hab ich in Maar angefangen, dann bin ich bis zur D-Jugend bei der JSG Lauter gewesen, ehe ich zu Alsfeld-Bechtelsberg gewechselt bin. Dann bin ich 2016 nach Frankfurt gegangen. Januar 2020 bin ich dann für zwei Jahre in die USA gewechselt – und jetzt bin ich in Bremen.

Wieso bist du nach den USA als Hessin nicht wieder zurück nach Frankfurt?

Ich mache gerne neue Erfahrungen – neue Stadt, neue Leute kennenlernen, neuen Verein. Ich kannte den Verein schon vom Sommer, als ich in Bremen mittrainiert habe. Ich wusste also wie die Mannschaft und der Trainer drauf ist. Das hat mir sehr gut gefallen. Mir war klar, dass ich mich hier am besten weiterentwickeln kann. Alles hat hier perfekt übereingestimmt.

Du hast in deiner Jugend zusammen mit den Jungs gespielt. Wie war das für dich? Wie haben sich die Jungs dir gegenüber verhalten?

Ich war immer das einzige Mädchen im Team. Das haben sie total akzeptiert, haben mich immer gut behandelt, als wäre ich ein guter Kumpel. Sie haben mich auch immer überall mit eingebunden. Generell mit Jungs zu trainieren, das hilft einem total weiter, so sehe ich das jedenfalls. Mich hat es weitergebracht. Jungs spielen schnell, vom Zweikampfverhalten her muss man richtig reingehen.

Was machen Frauen beim Kicken besser als Männer?

Frauen sind manchmal härter im Nehmen. Da geht es nach einem Foul direkt weiter und wir bleiben nicht so lange liegen.

Nervt es dich, dass Frauenfußball in Deutschland lange nicht ernstgenommen wurde? Und glaubst du, dass die Zeiten nun vorbei sind?

Ich glaube es wird jetzt mehr. Frauenfußball wird mehr in den Vordergrund gestellt – hat man auch bei den Zuschauerzahlen und TV-Quoten der EM gesehen. Da kann meiner Meinung nach aber noch mehr passieren und ich denke auch, dass da noch viel mehr kommen wird.

Du hast jetzt schon die Zuschauerzahlen der EM angesprochen. Das waren Rekordzahlen. Könnte das der Durchbruch der Frauen bei den Einkommen sein, damit das mit dem Porsche dann auch mal klappt?

(lacht) Es hat schon viel mit den TV-Quoten zu tun. Ich denke durch die WM in diesem Jahr wird es nochmal mehr werden – hoffe ich zumindest. Ich denke, dass irgendwann der Durchbruch kommt. Wichtig ist für uns aber nicht das Geld, sondern das wir professionelle Rahmenbedingungen haben, um unseren Sport auf höchsten Niveau auszuüben.

Ein Screenshot aus dem Gespräch.

Wie sieht es bei dir mit einem Vorbild aus?

Es war eigentlich immer Bastian Schweinsteiger.

Aha, ein Mann.

Ja (lacht). Wegen der WM 2014. Da hat er mich einfach beeindruckt, beispielsweise sein Kampfgeist. Er hat immer weitergespielt, auch mit blutigem Auge. Seine Technik hat mich auch überzeugt, wir spielen auch fast dieselbe Position. Deshalb habe ich ihn mir immer als Vorbild genommen.

Du sprichst jetzt in der Vergangenheit. Ist das jetzt nicht mehr der Fall?

Doch eigentlich schon, aber er hat ja aufgehört zu spielen. Er ist noch immer mein Vorbild.

Kommen wir nochmal zurück zu deiner Zeit in den USA. Dort ist der Fußball der Frauen angesagter als der von den Männern. Woran liegt das?

Ich glaube es liegt daran, dass die Frauennationalmannschaft der USA sehr erfolgreich ist und die Amerikaner ihnen gerne dabei zusehen – auch auf dem College gibt es mehr Frauen- als Männerfußball.

Wieso bist du eigentlich nicht in den USA geblieben?

Ich wollte von Anfang an nur ein bis zwei Jahre bleiben, um die Erfahrung mitzunehmen, meine Englischkenntnisse zu verbessern und einfach mal das College-Life zu erleben.

Was hast du denn in den USA sportlich gesehen gelernt und mitgenommen?

Ich habe total viel Spielpraxis bekommen, habe jedes Spiel durchgespielt. Da wir zwei Mal die Woche Spiele hatten, habe ich mich auch von der Ausdauer her verbessert. Dort wurde aber auch viel auf Athletik und Kraft Wert gelegt – dahingehend habe ich mich auch weiterentwickelt. Ich denke, dass ich mich auch von meiner Persönlichkeit her weiterentwickelt habe. Ich musste mich um vieles selbst kümmern.

Tipp für junge Mädchen vom Profi

Was würdest du jungen Mädchen raten, die auch von einer Fußballkarriere träumen?

Auf jeden Fall ist es ganz wichtig, dass der Spaß nicht verloren geht. Wenn man Spaß hat, ist man auch motiviert und kann dann auch eine bessere Leistung zeigen. Natürlich gab es auch mal Tage, an denen man denkt: ob das überhaupt alles richtig ist? Aber ich weiß, dass ich ohne Fußball eigentlich nicht leben kann. Das habe ich jetzt wieder gemerkt.

Inwiefern?

Wir hatten unser letzten Training Mitte November in Amerika. Da habe ich in den letzten Wochen schon gemerkt, dass mir der Fußball sehr fehlt.

Also bist du quasi nach kurzer Zeit auf Fußball-Entzug gewesen?

Kann man so sagen (lacht). Der Fußball fehlt einfach irgendwann und dann freut man sich, wenn es wieder los geht.

Bist du mittlerweile denn wieder am Kicken?

Ja, das Training ging am Montag wieder los. Wir sind wieder mitten in der Vorbereitung.

Das Kicken gelernt hast du im Vogelsberg. Bist du der Beweis, dass die Talentsuche- und Förderung in Alsfeld und Lauterbach gut funktioniert – oder gibt es etwas, das besser hätte laufen können dabei?

Es gibt viele gute Kicker im Vogelsberg, die nun beispielsweise in der Regional- oder Hessenliga spielen. Ich war mit dem Training in Alsfeld sehr zufrieden, dort hatten wir auch Auswahl bei den Trainern. In den zwei Jahren dort habe ich mich richtig gut weiterentwickelt – auch bei der JSG Lauter. Das war schließlich meine Anfangszeit, da habe ich Fußballspielen gelernt.

Was willst du im Sport denn auf jeden Fall noch erreichen?

Jetzt erstmal den Klassenerhalt mit Werder schaffen. Und dann ist irgendwann mein größter Traum wie von vielen für die Frauen A-Nationalmannschaft zu spielen – und darauf arbeite ich jetzt schon hin.

Ein Gedanke zu “„Frauen sind manchmal härter im Nehmen“

  1. Als bekennender Fußballfan gebe ich Chiara wirklich in dieser Sache Recht: Bei den Frauen bleibt keine theatralisch minutenlang liegen wegen einer kleinen Berührung. Auch Schwalben oder andere unsportliche Dinge sind im Männerfußall bei Weitem häufiger zu finden.

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