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Zu Besuch in Heimertshausen bei Familie Werner und ihren Geflüchteten FamilienmitgliedernTagelange Flucht in Richtung Sicherheit

HEIMERTSHAUSEN (akr). Der Krieg in der Ukraine treibt Millionen Menschen in die Flucht. So auch Familienmitglieder von Tetiana und Andreas Werner aus Heimertshausen. Mehrere Tage dauerte ihre Reise in Richtung Sicherheit. Die Geschichte einer Autofahrt zwischen Furcht und Hoffnung.

Tetiana Werner aus Heimertshausen kämpft. Immer wieder blickt sie mit ihren geröteten Augen nach oben, um zu verhindern, dass ihr die Tränen die Wangen hinunterlaufen. Ihre Tochter und ihr Enkel sind mittlerweile zwar in Sicherheit, doch die Ereignisse, die bangen Tage, die hinter ihnen liegen, sitzen noch tief. Ihr Mann Andreas versucht sie zu beruhigen. Es dauert einen kurzen Moment, bis sie bereit ist, um über das zu sprechen, was sie und ihre Familie erlebt haben. Ihr Ehemann beginnt zu erzählen.

„Wir haben morgens um fünf Uhr einen Anruf von Alona bekommen. Es war einfach ein Schock“, erinnert sich Andreas an den 24. Februar, der Tag, an dem die russische Invasion in die Ukraine begann. Alona ist Tetianas leibliche und Andreas‘ Stieftochter. Der Anruf, der sie aus dem Schlaf riss, sorgt bei Tetiana noch immer für glasige Augen, wenn sie sich an ihn zurückerinnert. Alona erzählte ihr, dass der Krieg in der Ukraine begonnen habe und die Russen angefangen hätten, das Land anzugreifen. Alona habe auch dichte Rauchwolken gesehen, als sie aus dem Fenster in ihrer Wohnung im 24. Stock auf Kiew blickte.

Sofort hatte Tetiana ihrer 22-jährigen Tochter gesagt, dass sie das Land irgendwie verlassen soll. Das tat Alona auch, gemeinsam mit ihrem knapp eineinhalb Jahre alten Sohn Danyil, ihrer Schwiegermutter, die ebenfalls Tetiana heißt, und deren neunjähriger Tochter Anna sowie drei weiteren Ukrainern. Zu acht hatten sie sich in einen Ford Fusion gequetscht, um schnellstmöglich aus Kiew zu fliehen. Viel gepackt haben sie nicht. Alona hatte lediglich einen kleinen Koffer dabei, der hauptsächlich mit Windeln gefüllt war. Eine Hose, zwei T-Shirts und das, was sie am Leib trugen, mehr nahmen sie nicht auf ihrer Flucht mit. Ihre Papiere hatte Alona aber dabei, das war nämlich das erste, woran sie ihre Mutter erinnert hatte.

Vier Tage mit acht Personen im Auto

Ganze vier Tage waren sie zu acht im Auto unterwegs, ehe sie die polnisch-ukrainische Grenze erreichten. Dort kamen sie dann erstmal bei Ukrainern unter, die sie zu acht in dem Auto gesehen hatten. „Brücken waren bombardiert, Straßen gesperrt“, übersetzt Tetiana die kurzen Schilderungen ihrer Tochter, die gerade im Wohnzimmer mit ihrem Sohn spielt. Immer wieder ist das fröhliche Kinderlachen des kleinen, blonden Jungen zu hören. Es erhellt den Raum und zaubert auch bei ihrer Mutter Tetiana ein Lächeln hervor, wenn auch nur für einen kurzen Moment.

Es waren aber nicht nur die bombardierten Straßen und Brücken. Hinzu kamen zahlreiche Staus und Kontrollen. Die Familie war schließlich nicht die einzige, die aus dem Kriegsgebiet zu flüchten versuchte. Sie war eine von Millionen. Viel über die viertägige Flucht im Auto erzählt Alona nicht. „Nervenaufreibend“ und „es war schwierig mit Kind“, übersetzt Tetiana die Worte ihrer Tochter, als man sie fragt, wie sie die Zeit in dem Auto erlebt hat.

Ein Schnappschuss aus Polen, als das Ehepaar Werner und die Geflüchteten aus der Ukraine endlich wieder zusammen waren. Foto: Stadt Kirtorf

Während Tetianas Tochter in Richtung polnisch-ukrainischer Grenze flüchtete, durchlebten sie und ihr Mann Andreas bange Stunden, schlaflose Nächte und ganz viele Tränen. „Das Warten, das ist das Schlimmste“, betont der 53-jährige Andreas Werner. Seine Frau stimmt ihm zu, „die Zeit ging nicht rum“, sagt sie. Fast stündlich rief sie ihre Tochter an, schrieb ihr Nachrichten, um zu wissen, wie es ihnen geht und wo sie gerade sind. Nicht immer gingen die Anrufe oder Nachrichten durch, denn um Akku zu sparen, haben sie die Handys immer wieder ausgemacht.

Mit dem Kirtorfer Bürgerbus zur Grenze

Nach dem ersten Schock-Anruf in den frühen Morgenstunden stand für das Ehepaar Werner schnell fest: Sie müssen zur Grenze, um die geflüchteten Familienmitglieder zu sich zu holen. „Wir wollten erst mit zwei Autos runter fahren“, erzählt Andreas. Doch dieser Plan wurde verworfen. Er rief nämlich Ulrich Künz an, der 42 Jahre lang Bürgermeister in Kirtorf war. Die beiden kennen sich schon lange und Werner wollte von Künz wissen, wie das in Kirtorf mit dem Bürgerbus funktioniere. Über die Nachbarin der Familie Werner, die bei der Stadt Kirtorf arbeitet, kam schließlich der Kontakt mit der Stadt zustande, sodass die Familie den Bürgerbus nehmen konnte, um die geflohene Verwandtschaft an der Grenze mit nach Deutschland zu holen.

Am 27. Februar sind die Werners um 4 Uhr in der Früh aufgebrochen, erzählt Andreas. Rund 1.200 Kilometer lagen zwischen ihnen und ihren Geliebten. Fast 14 Stunden waren die beiden unterwegs, haben zwischendurch nur kurze Pausen eingelegt, um schnellstmöglich zur Grenze zu gelangen. „Wir wollten eigentlich über die Grenze fahren, aber sie haben uns nicht durchgelassen“, erzählt der Ehemann. Daraufhin seien sie zu polnischen Freunden gefahren, um dort zu übernachten, ehe sie sich am Morgen erneut auf dem Weg zur Grenze machten.

Am Grenzübergang hieß es erstmal: warten. Warten zwischen Tausenden von anderen Menschen, zwischen Nummernschildern aus ganz Europa. „Sie kamen wirklich von überall her, um ihre Familie und Freunde in Sicherheit zu bringen“, erzählt er. Etwa fünf, sechs Stunden mussten die Eheleute auf ihre Liebsten warten, bis sie sie endlich in die Arme schließen durften. Erleichterung.

Im Kirtorfer Bürgerbus ging es schließlich wieder zurück zu den polnischen Freunden, um dort erst nach dieser aufreibenden Flucht Kraft für die Rückfahrt zu tanken. Apropos tanken. Das gestaltete sich im Krisengebiet sehr schwierig. Es habe nämlich kaum Sprit gegeben. Viele Tankstellen seien geschlossen oder zerstört gewesen. Bei denen, die noch geöffnet hatten, und an denen sich lange Schlangen bildeten, habe man nicht volltanken dürfen, erzählt die geflohene Familie.

Für drei der Geflüchteten ging es aber nicht nach Deutschland. Sie wurden von den Werners zu einem Treffpunkt an der Autobahn gebracht, wo diese dann von Freunden abgeholt und mit nach Tschechien genommen wurden. Am 1. März sind Tetiana, Andreas, Alona, Danyil, Tetiana und Anna schließlich am Nachmittag in Heimertshausen angekommen, wo sie viel Solidarität und Großzügigkeit erfahren haben. Dafür ist die Familie auch sehr dankbar. „Danyil kam ohne Spielzeug hier her, jetzt hat er ganz viel“, erzählt Andreas Werner mit einem Lächeln im Gesicht. Und das ist bei weitem nicht das einzige, dass sie an Spenden erhalten haben.

Familienmitglieder blieben zurück

Sorgen und Ängste begleiten die Familie aber weiterhin, denn nicht alle geliebten Familienmitglieder konnten die Ukraine verlassen. Alonas Lebensgefährte Ivan kämpft im Krieg, wie Tetiana erzählt, ebenso wie Ivans Bruder Nikolei, der übrigens der Fahrer auf dieser viertägigen Flucht war. Er musste aber wieder umkehren, zurück ins Kriegsgebiet. Männer im wehrfähigen Alter dürfen die Ukraine nicht verlassen.

Alona hat Angst um ihren Freund, macht sich große Sorgen, übersetzt ihre Mutter. Übers Handy steht das Pärchen in Kontakt. Nicht täglich, denn manchmal dauere es einige Zeit, bis ihr Freund antworten kann. Das belastet natürlich auch ihre Schwiegermutter Tetiana, die mit ihrer Tochter Anna auf dem Sofa sitzt und nickt, als Alona das erzählt.

Tetiana Werners Eltern befinden sich ebenfalls im Kriegsgebiet, genauer gesagt in Zaporizhzhia, einer Stadt, die sich in russischer Gewalt befinde. Ihre Eltern habe sie nicht mit nach Deutschland holen können. „Mein Vater ist bettlägerig und meine Mutter wollte ihn nicht im Stich lassen“, erzählt sie. Wieder füllen sich ihre Augen mit Tränen. Mit zitternder Stimme erzählt sie, wie sie sie mehrmals am Tag anruft, Nachrichten schreibt wie „Ich liebe euch“, „wie geht es euch“. Sie habe Nachbarn und Freunde darum gebeten, auf ihre Eltern aufzupassen. „Sie sitzen in der Wohnung fest und warten, dass es aufhört“, erzählt Tetiana, die mit den Tränen kämpft.

Das Haus von den Werners wird für die Geflüchteten Familienmitglieder aber nicht die letzte Station sein. Irgendwann sollen sowohl Alona und ihr Sohn Danyil, als auch Tetiana und ihre Tochter Anna in eigenen Wohnungen leben. „Wir suchen gerade nach Wohnungen, je nach Größe für sie zusammen oder alleine“, erzählt Andreas Werner. Auf Dauer sei in dem Haus in Heimertshausen einfach zu wenig Platz. Denn nicht nur Tetiana und Andreas Werner leben hier, sondern auch sein Sohn und Andreas‘ 84-jährige pflegebedürftige, schwerkranke Mutter. Auch Andreas braucht aus gesundheitlichen Gründen eigentlich viel Ruhe und hat nicht mehr viel Kraft.

„Eine Zeit lang kann ich das mitmachen“, sagt er. Aber eben nicht für immer. Darüber hinaus sollen die Familienmitglieder aus der Ukraine auch integriert werden, selbständig leben können. „Auch sie brauchen mal ihre Ruhe“, erzählt er und scherzt: „Außerdem teilen sich drei Frauen nicht gerne eine Küche.“ Für die Geflüchteten stehe aber fest, dass sie zurück in die Ukraine wollen, zurück zu ihren Lieben, wenn dieser grausame Krieg irgendwann mal vorbei sein sollte, was alle sich sehnlichst wünschen. „Aber wie es weiter geht, weiß keiner.“

2 Gedanken zu “Tagelange Flucht in Richtung Sicherheit

  1. Die armen sehen sehr zemürt und traumatisiert aus, hoffentlich geht es ihnen bald besser.
    Der kleine Junge sieht goldig/niedlich aus.

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    1. Bitte trennen Sie Fussball und Politik.
      Der 1.FC Kaiserslautern hat nichts mit der AfD zu tun.

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