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Nach ZDF-Thriller "APP": ein paar lästerliche Gedanken übers InternetWird es jemals in sein, offline zu sein?

MEINUNG „Das Internet, gibt’s den Blödsinn immer noch?“ fragt sich Homer Simpson in einer Folge der bekannten Zeichentick-Serie. Was ist, wenn man diesen 15 Jahre alten Gag einfach mal auf sich wirken lässt? Was ist, wenn uns das tägliche Posten, Sharen und Liken tatsächlich mal langweilig wird? Wird es möglicherweise mal in sein, offline zu sein? Auch, weil die fortschreitende Vernetzung sogar konkret gefährlich werden kann – wie ein TV-Spielfilm gerade suggerierte? „App“ heißt das Drama und gibt Anlass zu ein paar Gedanken über das Phänomen Internet. 

Wenn das Handy selbständig die privaten Pornos ins Netz lädt, dann wird Netzsicherheit plötzlich interessant: Es war ein Film mit klarer Botschaft, den das ZDF da gestern um 22.15 Uhr über den Äther schickte. In der Niederländischen Produktion „APP“ ergriff ein teuflisches Handyprogramm erst vom Smartphone und anschließend vom Leben der jungen Studentin Anna Besitz. Eine selbstlernende Software, die anfangs noch beim Organisieren des Alltags hilft und später kom­pro­mit­tie­rende Videos von Annas Freunden ins Netz stellt, sogar Bomben auslöst und Fahrstühle abstürzen lässt.

„Vernetzung bis in den Tod“, wäre ein guter Untertitel gewesen. Aber vermutlich hatten die Drehbuchautoren ihre Kreativität schon beim Ausknobeln des Namens der bösen Handy-App verballert. Die hörte nämlich auf den schönen Namen IRIS. Schreibt man IRIS rückwärts, liest man SIRI – und so heißt die nette Sprachassistentin auf Apples Iphones und Ipads. Ein Wink mit der Zaunpfahl-Fabrik?

Fakt ist: Der Cyber-Krieg ist längst kein Stoff mehr für Science-Fiction-Romane. Die ewige Vernetzung von allem und jeden birgt reale Gefahren. Was ist, wenn es nicht das Handy eines einzelnen ist, zu dem sich die Hacker Zugang verschaffen? Was, wenn sie die Kontrolle über eine Staudamm-Mauer oder ein Atomkraftwerk gelangen? Geheimdienste, wenn sie denn ihren Auftrag richtig verstehen, sind heute schon damit beschäftigt, uns vor solchen Szenarien  zu beschützen.

Den Gegner in der Hand: Das Handy-Programm IRIS übernimmt Stück für Stück die Kontrolle über das Leben der Studentin Anna. Foto: © ZDF/ Ray van der Gas

Den Gegner in der Hand: Das Handy-Programm IRIS übernimmt Stück für Stück die Kontrolle über das Leben der Studentin Anna. Foto: © ZDF/ Ray van der Gas

Vor diesem Hintergrund spielte der ZDF-Film mit aktuellen Ängsten und Fragen, traf den Nerv der Zeit. Es ist eine Zeit, in der man jeden Gedankenblitz oder das, was man für einen solchen hält, via Twitter in die Welt posaunt. Es ist eine Zeit, in der man auf Partys eher mit den Leuten chattet, die gerade nicht da sind, als sich mit den Gästen vor Ort zu unterhalten. Es ist eine Zeit, in der man lieber verwackelte Handy-Videos von einem Konzert macht, anstatt einfach mal den Moment zu genießen. Es ist eine Zeit, in der laut einer dimap-Umfrage 44 Prozent der Deutschen sagen: „Es interessiert mich nicht, ob meine Telefonate und Mails abgehört oder aufgezeichnet werden. Ich habe nichts zu verbergen und ich werde auch nichts ändern.

Privatsphäre ist ein Grundrecht – oder?

Da stellt sich die Frage: Hat sich tatsächlich die Zeit geändert oder nur das Verhalten der Menschen? Vielleicht ist es schlicht altmodisch zu glauben, Privatsphäre sei ein schützenswertes Grundrecht. Ein nachvollziehbarer Gedanke, posten wir unsere Katzenbilder und Urlaubsfotos doch freiwillig im Netz. Warum dann also NSA und BND die Schuld in die Schuhe schieben? Wer so argumentiert, macht es sich natürlich zu einfach. Der Staat hat sich gefälligst an gewisse Grenzen zu halten. Sicherheit hin oder her. Denn die Freiheit endet im Kopf. Stichwort Selbstzensur. Andererseits: Wer hat sich schon mal die Datenschutzbestimmungen komplett durchgelesen, bevor er ein Programm auf seinem Rechner installiert hat? Was da drin steht, ist uns doch völlig egal. Also sind wir doch an der Schnüffelei der Konzerne und Staaten selbst Schuld, weil Datenschutz nicht mehr in unseren Zeitgeist passt? Weil er so abstrakt ist? Gar sinnlos?

Vielleicht ist man heute echt schon politisch, wenn man einen zynischen Tweet zu einem Thema verfasst, eine Online-Petition unterschreibt oder auf Facebook die Todesstrafe für Kinderschänder fordert. Rebellion geht heute auch vom Sofa aus – wer braucht da noch Wahlen oder Straßendemos? Und wenn der Wille des Volkes noch nicht gehört wird, gibt es eben ein Shitstorm – die moderne Form des wütenden Pöbels mit brennenden Fackeln und Mistgabeln. Ist das Internet, was das angeht, echt eine Bereicherung für unsere Zivilgesellschaft? Fragen über Fragen.

Die guten Seiten im Netz

Doch bei aller berechtigten Skepsis, es gibt sie, die guten Seiten am oder besser im Netz. Mit einem Klick steht einem das Wissen der Menschheit zur Verfügung. Wikipedia, das bekannte Mitmachlexikon, hat schon etliche Vergleiche gegen etablierte Nachschlagewerke gewonnen. Die Aktualität und teilweise auch die Raffinesse der Gags, die auf Twitter zu tagesaktuellen Themen verbreitet werden, ist überwältigend. Google, der Inbegriff des Internets, hat sich ernsthaft vorgenommen, alle Bücher der Welt zu digitalisieren und online zu stellen. Wenn man nicht gerade Autor oder Verlag ist, kann man das Projekt nur bewundern. Der Verfasser dieses Textes gibt selbst zu, dass sein Studium ohne diesen Dienst weitaus schwieriger zu bewältigen wäre. Ehrlich. Hut ab vor den Menschen, die noch in die Bibliothek gehen mussten, um ein Buch zu finden.

Die Welt ist durch das Internet kleiner geworden, Informationen haben noch nie so schnell ihren Empfänger erreicht. Und es hat unsere Art zu kommunizieren verändert. Haben Sie sich schon mal gefragt, wie der zweite Weltkrieg ausgegangen wäre, hätte Hitler mit den Chefs der Alliierten eine eigene WhatsApp-Gruppe gehabt? ;-) Durch den Smilie  am Ende des Satzes müssten Sie als erfahrener Internet-Nutzer jetzt wissen, dass diese Frage nicht ganz ernst gemeint war.

Nein, verschwinden wird dieses Internet nicht mehr. Aber auch die wohl revolutionärste Erfindung seit der Dampfmaschine unterliegt einem ewigen Naturgesetz: Beständig ist nur die Veränderung. Facebook laufen gerade die Nutzer davon, andere soziale Netzwerke wie Myspace sind schon längst tot. Vielleicht verlieren wir ja tatsächlich eines Tages die Lust daran, in jeder freien Minute unsere Timelines zu checken und unseren Status zu aktualisieren. Dann würde das Internet zu dem, was der Staubsauger heute schon ist: Ein Werkzeug, welches das Leben erleichtert, was wir aber nicht vermissen, wenn wir es mal einige Tage nicht gebrauchen. Irgendwie eine reizvolle Vorstellung, finden sie nicht?

Von Juri Auelmehr über den Autor 

 

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