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Kolumne "Rike's Report" am Samstag: Wenn das Fan-Dasein zur Massenschlägerei mutiertSonderzug nach Frankfurt

Ich verstehe nicht viel von diesem Fußball. Nur soviel: Abseits ist meistens nichts Gutes und wer mehr Tore schießt, gewinnt. EM und WM sind zwei verschiedene Paar Schuhe und die Champions League ist nicht dasselbe wie die Bundesliga. Aber Frau lernt ja bekanntlich nie aus. Und so eröffnete sich mir vor wenigen Wochen an der frischen Stadionluft eine neue Erkenntnis: Lexi Alexanders Spielfilm „Hooligans“ hat nicht nur den süßen Hobbit Elijah Wood zu bieten, sondern auch einiges an trauriger Wahrheit.

Anfang November hieß es für mich: Rot gegen Rot. Adler gegen Ziege. Frankfurt gegen Köln. Ein heißes Spiel sollte es laut Radio werden, wahnsinnig spannend. Und so beschloss ich, dem besonderen Anlass entsprechend aufzutreten: Den Eintracht-Schaal um den Hals und die rote Mütze auf dem Kopf, stieg ich in den Sonderzug nach Frankfurt. Denn zahlreichen Fans der hessischen Mannschaft zuliebe hat die Deutsche Bahn Züge bereitgestellt, welche die schwarz/weiß/rote Meute sicher von A über B nach Frankfurt kutschiert. Eine nette Geste, die es ermöglicht, stressfrei in den Spieltag zu starten.

Die Realität: Lautstarke Halbstarke teilen sich ihr Bier mit der Schaffnerin. Lässt sich noch gut verkraften. Belästigt fühlte ich mich allerdings von den am Glimmstängel hängenden Nikotinfanatikern: Einer von ihnen hatte letztes Wochenende eine „Bayern-S******e ge*****“. Dass sie den falschen Verein anfeuerte, rückte nach anfänglichem Entsetzen allerdings ins Vergessen. Der Grund: Sie war blond. Dem Himmel sei Dank! Stellt sich die Frage: Wieso zieht dieses Argument, wenn es um Koitus geht, wird bei Massenschlägereien gegnerischer Vereine jedoch außer Acht gelassen? Zweifelhafte Logik.

Nach endlosen, mein Asthma strapazierenden Minuten waren wir schließlich angekommen. Raus aus dem Smog – rein in die Freiheit. Unmittelbar nach dem Ausstieg wurde der erste Böller gezündet. Mir wurde kurz Zeit für ein Stoßgebet zum Himmel, dass ich mich nicht auf den Gleisen wiederfand, gelassen. Dann folgte der Nächste. Und noch einer. Um den Schock zu überwinden, machten mein Begleiter und ich einen Abstecher zur Currywursthütte inklusive Apfelwein. Ich packte meinen Multivitaminsaft aus und biss in mein Vollkornbötchen. Doch die Siesta dauerte nicht lange: Die Feinde rollten an. Zum Glück war für Sicherheit gesorgt: In weiser Voraussicht formierten sich die knackigen, jungen, sportlichen, von Respekt strotzenden Männer zu einer Mauer. Ihr Name: Polizisten. Ihre Aufgabe: Adler vor ankommenden Ziegen schützen. Oder umgekehrt?

Die Huftiere legten einen großen Auftritt hin: Eine bedrohliche Masse, gekleidet in rote Umhänge. Laute Rufe: „Eintracht Frankfurt H****söhne“. Die Antwort folgte prompt: „Kooommt! Kooommt! Kooommt!“. Ich bin sicher, es war keine Einladung zum gemeinsamen Bratwürstchen naschen. Die Wissenschaftlerin in mir beäugte das Geschehen mit hochgezogenen Brauen und abschätzenden Blicken in Richtung der aggressiven Meute. Die Reporterin wollte nichts anderes als in die Menge eilen, um einen guten Blick auf den Pöbel zu werfen. Blöderweise besitzt mein Partner einen ausgeprägten Beschützerinstinkt. Und ich zu wenig Muskeln. Mir blieb nichts anderes übrig als zwischen mich und den breitschultrigen Männern ein paar Meter zu bringen. Und meine abschätzige, arrogante und angewiderte Miene erneut zur Schau zu tragen.

"Der Pöbel ist zurück - Lang lebe das Chaos" - Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Foto: fg.

„Der Pöbel ist zurück – Lang lebe das Kaos“ – Einsicht ist der erste Weg zur Besserung. Foto: fg.

Das Spiel war toll – spannend, nervenaufreibend, selbst für mich. Warm dank Kinderpunsch. Gute Sicht dank Brille. Und nach knapp zwei Stunden war das Spektakel auch schon wieder vorbei. Oder sollte ich eher sagen: Der Spuk? Der ging draußen nämlich erst richtig los: neben den Gehweg urinierende Männer, sich gegenseitig anpöbelnde Gestalten, ein Meer von Müll in Form von Plastikbechern zu ihren Füßen. Es sah weniger nach dem Ausklang eines sportlichen Abends aus, sondern vielmehr wie ein Kirmesplatz nach drei Tagen Dauerbesäufnis. Und dennoch war es nicht das fehlende Feingefühl für Mülltrennung, das mich an diesem Tag am Meisten erschreckte.

Noch am Abend des Spiels fragte ich Dr. Google. „Hooligans“ tippte ich ins Handy. Dasselbe tat ich die Woche darauf. Und gestern. Und immer dasselbe: „Sachsen-Anhalt-Derby: Hooligans torpedieren Friedensschluss“. „Eintracht-Hooligans zetteln Massenschlägerei an“. „Heldingborgs IF: Maskierte Hooligans jagen Henrik Larsson und Sohn Jordan“. „Schläger machen Dortmunder Fans Angst“.

Ich verstehe nicht viel von diesem Fußball. Was ich verstehe, ist, dass er Menschen zusammenbringen soll. Jung und Alt, reich und arm. Auf den kalten Plastiksitzen findet man ruhige Fans, die den Besuch als Auszeit betrachten. Aufgeregte Anhänger, die sich mit allem Herzblut auf das Spiel stürzen. Hobby-Schiedsrichter, die sowieso alles besser wissen. Und dann sitzen da noch die Anderen: Bei denen der Fußball nicht an erster Stelle steht. Diejenigen, die sportliche Wettkämpfe nutzen, um ihrem Wunsch nach Gewalt Raum zu geben. Die Auseinandersetzungen anzetteln, allein um der Auseinandersetzung Willen. Die für ihre eigene Verbohrtheit und ihr unzivilisiertes Verhalten viel zu selten die Konsequenzen tragen müssen.

Ich verstehe nicht viel von diesem Fußball. Aber: Wenn die Zeit gekommen ist, dass er sich über die Taten dieser Wenigen definiert, wenn Mutter, Vater, Kind aus Angst den Stadionbesuch aus ihrem Kalender streichen, wenn das Fehlverhalten mancher Leute den Unbeteiligten den Zutritt zur Tribüne verwehrt – dann bin ich um mein Unwissen gar nicht mehr so traurig.

 

Einen schönen 1. Advent, wünscht

Ihre Rike

2 Gedanken zu “Sonderzug nach Frankfurt

  1. Und damit rückt man dann wieder die Fanszenen und damit auch die Vereine, die gar nichts dafür können, ins falsche Licht!

  2. Wenn man von sich aus sagt, dass man keine Ahnung hat, dann sollte man nicht probieren über so ein heikles Thema was zu schreiben!

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