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Aufführung: Kurs Darstellendes Spiel der Q3 der Albert-Schweitzer-Schule zeigt das Stück „Fahrt ins (Un)Glück“Die Story von dem Abteil voller kaputter Typen

ALSFELD (ol). Die Fahrt führt nach Lieblos, wie die Anzeigetafeln auf dem Bahnsteig der Bühne der Albert-Schweitzer-Schule verkünden – nicht das beste Omen für ein Happy End, aber das hat ja auch keiner versprochen, im Gegenteil: „Fahrt ins (Un)Glück“ lautet der vielsagende Titel des Theaterstücks, das die Schülerinnen und Schüler des Kurses Darstellendes Spiel der Q3 an der Albert-Schweitzer-.Schule unter der Leitung von Miriam Reus in der vergangenen Woche dreimal aufführten.

Selbst ausgedacht, selbst geschrieben, entwickelt und inszeniert haben die Abiturienten dieses Stück – als Abschied von ihrer gemeinsamen Theaterarbeit gewissermaßen, denn für sie bringt das nächste Halbjahr bereits die Abiturprüfungen. Umso schöner war es für ihre Lehrerin Miriam Reus zu sehen, wie selbstständig, kreativ und verantwortungsvoll sie agierten – sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur (Niklas van Hülsen), Autoren oder Requisiteure.

Der Plot, die Handlung: Im Abteil des Zuges herrscht ein Kommen und Gehen, am Ende bleibt ein harter Kern von fünf Fahrgästen und einer Schaffnerin übrig. Es wird gelesen, gedaddelt, getrunken, gestritten, gearbeitet – alles ganz normal?! Die Schaffnerin, so souverän sie auch wirkt, scheint mehr und mehr genervt von ihren anstrengenden Fahrgästen, es sei „noch viel zu früh für diese Fahrt“, wiederholt sie mehrmals, während sie sich für die Probleme der Reisenden mehr und mehr zuständig fühlt. Was ist mit dem Jungen Benjamin, der sein Gesicht verbirgt und sich ständig kratzt? Was verbirgt die prollige und offenbar betrunkene Chantal? Ist Susi wirklich nur schön und doof? Und warum ist sich das Ehepaar Dirk und Jenny so spinnefeind?

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„Warum seid ihr so?“ – Die Reisenden fragen sich, wie es zu all dem kommen konnte, was in ihrem Leben schief gelaufen ist.

Je mehr sich die Fahrgäste in dem Abteil auf die Nerven gehen, umso deutlicher treten ihre Verletzungen hervor: Niklas‘ Eltern haben sich getrennt, und er hat einen Freund verloren, der am Alkohol starb. Jenny fühlt sich von Dirk alleingelassen, Dirk sich von Jenny missverstanden – Leidtragender ist ihr Kind, für das vielleicht auch Benjamin stellvertretend im Zug sitzt. Chantal will mit ihrer Freundin Susi lieber nicht über ihr erstes Mal sprechen, und Susi fühlt sich trotz ihres offensichtlichen Reichtums einsam und ungeliebt. Ein Abteil voller kaputter Typen, mittendrin eine Schaffnerin, die immer merkwürdiger wird, dazu die Meldung der Tagesschau: In Lieblos sei es am Abend zu einem Zugunglück mit mehreren Toten gekommen. Bei unseren Fahrgästen ist davon (noch) nichts zu bemerken, nur, dass die Schaffnerin den Zielort leicht abwandelt und aus „Lieblos“ das „I“ entfernt, gibt zu denken…

Die Reise geht weiter, die Verzweiflung der Fahrgäste wächst, die Dramatik steigt. Während das Ehepaar auf der Zugtoilette eine lautstarke Versöhnung hinlegt, präzisiert die Tagesschau weiter ihre Meldung: „Menschliches Versagen ist nicht auszuschließen… Fünf Tote… Von der Schaffnerin fehlt jede Spur.“
„Dieser Zug ist heute echt abgefahren“, findet Letztere wie in Trance, und bald fallen ihre Fahrgäste um wie die Fliegen. Wie aus einem Traum scheinen sie zu erwachen und erinnern sich an gute Tage, Zeiten voller Zuneigung, Licht, Verständnis. „Diese Zeiten sind jetzt vorbei“, mahnt die Schaffnerin, „euer Leben ist hiermit beendet.“ Wie sie es gemacht hat und was eigentlich ihr Problem ist, bleibt offen. Auch am Ende, als alle Fahrgäste noch einmal vor ihr Publikum treten und sich fragen, wie das alles so werden konnte, steht sie ungerührt dahinter.

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Die Reisenden sind tot – doch was hat die Schaffnerin damit zu tun?

Am Ende, als alles zu spät ist, packen die Fahrgäste aus, schildern ihr Leid, ihre Verletzung, ihr Versagen. Eine Abrechnung voller Schmerz und Trauer, voller Desillusion und Hoffnungslosigkeit, voller Fragen, aber ohne Antworten. „Warum seid ihr so?“ Auch die scheinbar zentrale Frage dieses aufwühlenden Stücks bleibt am Ende offen. Und obwohl die Inszenierung bis auf das Ende fast kühl und distanziert wirkt, geben die Schauspieler ihre Fragen an das Publikum weiter. Fragen von Kindern und jungen Erwachsenen an ihre Eltern zumeist, die hängen bleiben: „Warum wart ihr nie da?“ – „Warum hast du nicht zu mir gestanden?“ „Was war dir wichtig?“ „Warum hört ihr nicht zu?“

Ein Stück, dem man anmerkte, dass es für die jungen Schauspieler und Theaterautoren eine große Bedeutung hatte – auch über eine Abschiedsvorstellung hinaus. Brillant erdacht und ausdrucksstark gespielt, wird dieses Stück lang in Erinnerung bleiben.

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