INTERVIEW - Lukas Becker: 15 Monate Bürgermeister in LautertalWas hat sich geändert mit dem jungen Mann im Rathaus?
LAUTERTAL – Im Herbst 2023 machte er als jüngster angehender Bürgermeister Hessens Schlagzeilen: als Lukas Becker mit 26 Jahren in Lautertal die Wahl gegen den eigenen Chef für sich entscheiden konnte. Am 1. Juli 2024 trat er das Amt mit großen Erwartungen an. Und heute? Hat ihn die Praxis ernüchtert? Hat er Ziele erreicht? Darüber sprach er mit OL-Mitarbeiter Axel Pries.
Frage: Sie sprechen in einem Rückblick auf Facebook von spannender, lehrreicher Zeit. Was war denn in dem einen Jahr das spannendste, das Sie gemacht haben?
Becker: Als spannend kann man wohl den ganzen Job bezeichnen. Spannend, weil der Job mit ganz vielen verschiedenen Fachbereichen zu tun hat: von Wasser und Abwasser über Feuerwehr bis hin zu Personalführung. Man hat mit allen möglichen Bereichen des Lebens zu tun, und man lernt dadurch auch vieles kennen – sowohl fachlich als auch rechtlich. Den einen spannendsten Bereich kann ich deshalb gar nicht beschreiben.
Haben Sie das denn so erwartet oder sprengt die Fülle an Themen und Informationen noch Ihre Erwartungen an dieses Amt?
Ja, schon. Man denkt natürlich an viele Dinge, die auf einen zukommen können. Aber in so einem Jahr passiert dann doch sehr viel, und da ist doch einiges mehr zusammengekommen, als ich gedacht habe und womit ich mich beschäftigen muss. Es geht dabei meistens um viel Geld, das ausgegeben wird, und da sollte man schon verstehen, um was es geht. Heißt: Es gibt viele Themen und Bereiche, in die man sich einlesen muss. Aber es bereitet mir sehr viel Spaß und ich fühle mich in meinem Amt sehr wohl.
Hand aufs Herz: Wie gut versteht der junge Bürgermeister Lukas Becker den Haushaltsplan?
Gut! Mein Vorteil an der Stelle ist, dass ich in der Gemünder Kommunalpolitik mit dem Thema Haushalt schon zu tun hatte. Und das Wissen hat sich in der Ausbildung noch verstärkt. Das Ganze hat sich dann für das Verständnis ausgezahlt: Wie ist der Haushalt aufgebaut mit Ergebnishaushalt, Finanzhaushalt? Was gehört in welchen Haushalt rein? Die Vorbildung hilft nicht nur, den Haushalt zu verstehen, sondern ihn auch anderen Beteiligten vorzustellen. Obwohl klar ist: Auf mehreren Hundert Seiten Haushalt kann man natürlich unmöglich jede Position kennen und auswendig wissen. Da ist man dann auf die Finanzabteilung angewiesen.
Neue Besen kehren gut und junge erst recht: Eines Ihrer Versprechen war, mehr Präsenz zu zeigen. Wie war das gemeint und wie haben Sie das umgesetzt?
Beim Stichwort Präsenz geht es mir zunächst darum, mehr bei den Vereinen vor Ort zu sein, bei Veranstaltungen etwa, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Mit Präsenz ist auch gemeint, über die Medien, die man hat, etwa das Amtsblatt, die Homepage oder soziale Medien, mit den Menschen zu kommunizieren. Sie erfahren: Was passiert gerade in der Gemeinde? Welche Arbeiten stehen an? Welche Themen gehen voran? Wofür gibt man das Geld aus? Ich finde, dass mir das ganz gut gelingt. Bei den Vereinen pulsiert halt das Leben, da ist man mit den Leuten im Austausch, und es ist schön, wenn man da vor Ort sein kann.
Also sind Sie ein Bürgermeister zum Anfassen?
Ja, so kann man das wohl beschreiben. Viele Bürgermeister-Kollegen bieten ja Sprechstunden an, das brauche ich ehrlicherweise aber nicht, da ich mit vielen Menschen vor Ort im Gespräch bin. Die Leute können mich immer erreichen, und man kann die Dinge auch ohne eine eigene Sprechstunde klären. Meine Bürotür steht für die Fragen und Anliegen der Bürgerinnen und Bürger jederzeit offen.
Ist denn die App „Mein Ort“ eine Idee, mit der ein junger Bürgermeister kommt, um Bürgernähe zu schaffen?
Diese App an sich ist das nicht, die gibt es auch in anderen Gemeinden schon als Angebot. Aber man sollte schon als junger Bürgermeister die digitale Kommunikation und die Medien vorantreiben. Deshalb war es mir gerade wichtig, mit dieser App eine Plattform der Kommunikation zu schaffen.
Wie nutzen die Leute die App denn?
Wir haben nach knapp einem Jahr rund 500 Nutzer registriert, und die App ist sehr vielfältig aufgebaut: von Push-Up-Benachrichtigungen über einen Wasserrohrbruch bis hin zu Veranstaltungen der Vereine. Dazu gibt es die Möglichkeit, ein Unternehmensportfolio anzulegen, damit Interessierte sehen können, was es denn für Unternehmen in der Kommune gibt. Natürlich kann man da auch alle Berichte der Verwaltung lesen, die nach außen kommuniziert werden. Wir bieten auch den Service, an die Müllabholungen zu erinnern. Letztlich gibt es auch den Mängelmelder, also diese App ist sehr vielfältig.
Ländliche Themen auch in Lautertal sind etwa die Erreichbarkeit der Ortschaften, das Einzelhandelsangebot oder die Kinderbetreuung. Und das Internet! Wie steht es damit bei Ihnen?
Das sind alles wichtige Punkte der Infrastruktur, alles Themen, die die Leute bewegen. Die Kita ist gerade ein Thema, das uns sehr beschäftigt vor Ort. Wir sind in politischen Gesprächen, ob wir an den Kindergarten anbauen, ihm umbauen oder einen Neubau favorisieren. Die Varianten stellen wir seitens der Verwaltung vor, damit darüber in den Gremien beraten werden kann. Eine moderne Kita ist als Standortfaktor wichtig, um junge Leute anzusprechen. In Sachen Internet: Das Thema Glasfaser haben wir weitgehend abgefrühstückt, jetzt läuft aber noch einmal eine Nachverdichtungsaktion beim Glasfaser, um letzte Lücken zu schließen. In Meiches fehlt es noch an der Glasfaserverbindung. Hier wollen wir versuchen, über einen sogenannten geförderten Ausbau den Anschluss zu erreichen, wenngleich noch kein Zeitraum genannt werden kann.
Wie ist das beim Einzelhandel? Wie weit muss man künftig in Lautertal fahren, um Lebensmittel einzuholen?
Da haben wir derzeit theoretisch an Einzelhandelsgeschäften nur den Biohofladen in Dirlammen und eine Metzgerei in Engelrod. Wir sind jetzt in Gesprächen, wie wir in diesen Geschäften auch noch einen Grundstock an Lebensmitteln anbieten können. Wir denken dabei auch an die Möglichkeit, Grundprodukte in Lautertal in einem gut gelegenen 24/7-Shop erhalten zu können. Auf meiner Agenda stand auch die Lebensmittelversorgung, und da möchte ich auch eine Möglichkeit für schaffen.
Bekanntlich bietet Tegut die Einrichtung von automatisierten Shops auf dem Land an. Teo sollen die heißen, und Tegut suggeriert auf der Website, dass sich jeder um so ein Geschäft in seinem Wohnort bewerben kann. Wäre das nichts für Lautertal?
Ja, wir waren mit Tegut auch schon einmal im Gespräch. Das Problem ist die Mindestanforderung mit ungefähr 1200 Einwohnern am Standort. Unser größter Ortsteil Engelrod hat rund 530 Einwohner, so dass wir von diesem Schwellenwert weit entfernt sind. Ich bin da mit verschiedenen Anbietern im Gespräch, aber da ist noch nichts abschließend geklärt. Das ist ein großes Thema, da braucht einfach seine Zeit.
Nach einem Jahr im Amt. Wo könnte Bürgermeister Becker noch zulegen?
Das ist immer eine gute Frage. Ich selbst kann mich ja schlecht einschätzen. Ich versuche meinen Job so gut zu machen, wie ich es von einem Bürgermeister oder einer Bürgermeisterin selbst erwarten würde. Bisher scheint das gut zu klappen, denn bislang war es noch nicht der Fall, dass die Leute meinen, ich müsste Dinge anders, besser machen. Ich bin immer offen für konstruktive Vorschläge, was ich besser machen könnte.
Der Lauterbacher Kollege Rainer-Hans Vollmöller hört bekanntlich auf – als dienstältester Bürgermeister in Hessen. Er ist weit länger im Amt, als Sie alt sind. Haben Sie Kontakt zu dem alten Hasen?
Ja, wir sehen uns regelmäßig bei verschiedenen Veranstaltungen, und man spürt bei ihm die große Erfahrung und das Wissen, das er über die Jahrzehnte angesammelt hat. Er kann viel erzählen, wie das früher schon gelaufen ist und kann so eine Situation gut einschätzen. Ich bin auch mit meinem Vorvorgänger Heiko Stock im Gespräch und tausche mich mit ihm über Dinge in der Gemeinde aus, weil ich weiß, dass er das Knowhow und die Kompetenz hat. Auch Rainer-Hans Vollmöller ist für Fragen immer offen.
Am Rande: Den Titel des jüngsten Bürgermeisters in Hessen hat inzwischen ein anderer: Lukas Daum in Ginsberg ist heute noch 26 Jahre alt. Im kommenden Jahr verliert der Vogelsbergkreis noch einen Rekord unter den Rathauschefs: Dann hört der Lauterbacher Bürgermeister Rainer-Hans Vollmöller auf. Er ist aktuelle dienstältester Amtsinhaber und gab bei Oberhessen-live einen Rückblick auf 30 Jahre als Bürgermeister in der Stadt an der Lauter.
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