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Caritas macht auf finanzielle Notlage der Sozialberatung aufmerksamCaritasverband fordert staatliche Unterstützung für Allgemeine Lebens- und Sozialberatung

ALSFELD/VOGELSBERGKREIS (ol). Im Rahmen der bundesweiten Armutswochen weist der Deutsche Caritasverband auf die prekäre Finanzierung der Allgemeinen Lebens- und Sozialberatung (ALB) hin. Die Beratungsstellen sind für viele Menschen eine erste, kostenlose Anlaufstelle in schwierigen Lebenslagen – auch im ländlichen Raum des Vogelsbergs. Trotz steigender Beratungszahlen und immer komplexerer Problemlagen fehlt eine öffentliche Finanzierung, denn die ALB wird bislang überwiegend aus Kirchensteuermitteln getragen. Der Caritasverband fordert deshalb eine verlässliche Kofinanzierung durch Kommunen und Länder, um die Angebote langfristig zu sichern.

Die Allgemeine Lebens- und Sozialberatung (ALB) steht im Mittelpunkt der diesjährigen Armutswochen des Deutschen Caritasverbandes und seiner Fachverbände. Sie ist eine erste, niedrigschwellige und kostenlose Anlaufstelle für Menschen mit ganz unterschiedlichen Problemen und leistet eine Art Lotsendienst. Doch genau diese wichtige Basisarbeit ist vielerorts gefährdet, denn ihre Finanzierung ist zukünftig nicht gesichert.

Im Caritaszentrum im Vogelsberg sind die Sozialpädagoginnen Marion Dallmann, Andrea Schaal-Walosik, Karina Weitzel und Kristina Zuev-Schwarz in der ALB tätig. Im Jahr 2024 verzeichnete das Team rund 860 Klientenkontakte. „Zu uns können die Menschen mit allen Sorgen kommen – ob finanzielle Schwierigkeiten, familiäre Konflikte oder gesundheitliche Belastungen. Menschen in prekären Lebenssituationen erfahren bei uns direkte Ansprache und konkrete Unterstützung“, sagen die Beraterinnen in der Pressemitteilung des Caritaszentrums.

Die Anliegen der Ratsuchenden werden insgesamt zunehmend komplexer. Immer mehr Menschen leiden unter psychischen Belastungen, Überforderung und Einsamkeit. Viele haben mehrere Probleme gleichzeitig – etwa Schulden, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder drohende Wohnungslosigkeit. „Es gibt kaum noch einfache Fälle“, sagt Marion Dallmann. „Menschen mit Multiproblemlagen brauchen Zeit, Verständnis und Orientierung – genau das leisten wir.“ Die Menschen wissen oft nicht, wo sie mit ihren vielfältigen und unspezifisch scheinenden Problemen Hilfe finden. Hier leisten die ALB-Beraterinnen Lotsendienste.

Ein zentraler Bestandteil der Arbeit ist die Hilfe bei der Existenzsicherung. Die ALB unterstützt bei der Antragstellung auf Leistungen aus den sozialen Sicherungssystemen – etwa Bürgergeld, Wohngeld, Kindergeld oder Kinderzuschlag. Diese Verfahren sind für viele Menschen schwer verständlich. „Die Formulare und Regelungen sind für Laien kaum zu durchschauen“, erklärt Karina Weitzel. „Und die zunehmend digitale Antragstellung, die von immer mehr Behörden und Einrichtungen gefordert wird, ist für viele – gerade ältere Menschen oder Personen mit geringer technischer Erfahrung – ein zusätzliches Hindernis.“ Nicht nur Personen mit Migrationshintergrund seien davon betroffen, betonen die Beraterinnen – die Anforderungen überfordern immer mehr Menschen. Auch hier leisten die Beraterinnen Lotsendienste.

Ein besonders drängendes Thema ist der fehlende bezahlbare Wohnraum. Familien, Alleinerziehende oder Menschen mit geringem Einkommen finden kaum noch geeignete Wohnungen. „Das ist ein großes Problem, auch hier im Vogelsberg“, betont Andrea Schaal-Walosik. In den ländlichen Flächenkreisen verschärfen schlechte Infrastruktur und weite Wege die soziale Lage zusätzlich: Es fehlt an Arztpraxen, an verlässlichen öffentlichen Verkehrsanbindungen und an gut erreichbaren Beratungsstellen oder Behörden. „Viele unserer Klientinnen und Klienten können nicht einfach mal schnell zu uns kommen“, erklärt Schaal-Walosik weiter. „Deshalb setzen wir zusätzlich zur Beratung in Präsenz und Telefonberatung immer mehr auf digitale Angebote wie Onlineberatung, die von technikaffinen Menschen auch gerne angenommen werden. Wenn alles nicht greift, machen wir auch in Ausnahmefällen Hausbesuche.“

Die ALB ist damit oft die erste – und manchmal einzige – Anlaufstelle, an die sich Menschen überhaupt wenden. „Wir helfen dort, wo sonst keine Hilfe mehr angeboten wird“, sagt Kristina Zuev-Schwarz. Die Beraterinnen arbeiten eng mit den anderen Diensten des Caritaszentrums zusammen – etwa der Schwangeren-, Erziehungs-, Ehe-, Familien- und Migrationsberatung sowie dem Jugendmigrationsdienst. „Diese kurzen Wege sind für die Ratsuchenden ein großer Vorteil“, so die Beraterinnen.

Gleichzeitig kämpfen die ALB-Stellen bundesweit mit strukturellen Problemen: Die Sozialberatung wird bis heute fast ausschließlich aus Kirchensteuermitteln finanziert – eine öffentliche Förderung fehlt. Auch im Gießener Verband werden die vier ALB-Beratungsstellen komplett aus Kirchensteuermitteln finanziert. „In der ALB zeigt sich vor Ort, wie Caritas und Kirche gemeinsam im Einsatz für Menschen in Not zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen“, sagt Renate Loth, Bereichsleiterin des Caritas- und Familienzentrums. Allerdings haben sich die dem Caritasverband Gießen zur Verfügung stehenden Kirchensteuermittel in den vergangenen Jahren immer weiter reduziert, weil die Steuereinnahmen der Kirche aufgrund der kleiner werdenden Mitgliederzahlen schrumpfen. Der Anteil der Kirchensteuermittel lag im Jahr 2024 bei 3,9 Prozent im Gesamthaushalt des Caritasverbandes Gießen. Das sind bei 53 500 000 Euro Gesamtumsatz ca. 2 000 000 Euro. Das Geld fließt aber nicht nur in die ALB. „Ohne diese Gelder wäre ein großer Teil unserer Beratungsarbeit nicht möglich“, erklärt Renate Loth. „Doch die Mittel werden leider immer knapper – das gefährdet auch die Zukunft dieser zentralen Angebote im Vogelsbergkreis.“

Deshalb fordert der Deutsche Caritasverband im Rahmen der Armutswochen eine planbare Kofinanzierung durch Kommunen und Länder. Nur so könne die ALB auch künftig Menschen in schwierigen Lebenslagen unterstützen – in der Stadt ebenso wie auf dem Land. „Wir sind Lotsinnen im immer komplizierter werdenden System sozialer Leistungen“, sagen Andrea Schaal-Walosik und Karina Weitzel. „Unsere Arbeit sorgt dafür, dass niemand allein gelassen wird – auch dann nicht, wenn alle anderen Türen schon geschlossen sind.“

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