Gunther Thias von der HLG im Gespräch über das Industriegebiet „Weißer Weg“„Wir liegen Stand jetzt mit den Arbeiten voll im Zeitplan“
ALSFELD (jal). Das Industriegebiet „Weißer Weg“ ist ein Mammutprojekt für Alsfeld. Bei der Planung hat sich die Stadt deswegen Hilfe geholt – und zwar bei der HLG. Im Interview mit OL erklärt deren Mitarbeiter Gunther Thias, wie die Arbeiten an der Baustelle vorangehen – und wie seine Kollegen und er versuchen, Naturschutz, Landwirtschaft und Bauvorhaben unter einen Hut zu bringen.
Die Baumaschinen haben mit ihren Ketten tiefe Spuren im Weg hinterlassen, im Hintergrund verschwinden gerade in Windeseile mit Hilfe eines Baggers Rohrleitungen im Boden, als Gunther Thias die Baustelle vor den Toren Alsfelds besucht, um sich gemeinsam mit Oberhessen-live ein Bild über den aktuellen Stand der Arbeiten zu machen.
Thias arbeitet für die Hessische Landgesellschaft, wie die HLG ausgeschrieben heißt. Sie ist eine GmbH und staatliche Treuhandstelle, die hauptsächlich vom Land Hessen getragen wird, an der aber auch die Landesbank Hessen Thüringen, der Bauernverband und einige Landkreise und Kommunen beteiligt sind.
Die Aufgaben der 1919 gegründeten Gesellschaft sind wirklich vielschichtig. Thias beschreibt seine gut 170 Kollegen und sich als die „Grundstücksexperten des Landes Hessen“ mit Fokus auf den ländlichen Raum. Bei der HLG laufen verschiedene Belange und Interessen in Bezug auf Grundstücke in Regionen wie dem Vogelsberg zusammen. So hilft die GmbH Landwirten bei der komplexen Beantragung von Fördermitteln für Stallungen, verwaltet und verpachtet landwirtschaftliche Güter im Besitz des Landes, sogenannte Staatsdomänen, kauft im Auftrag von Behörden Grundstücke an, auf denen Straßen oder Schienen gebaut werden sollen, kümmert sich um Naturschutzmaßnahmen bei Bauprojekten, und – ganz wichtig: übt in bestimmten Fällen ein Vorkaufsrecht aus und sorgt unter anderem so dafür, dass der Landwirtschaft genügend Äcker und Wiesen zur Verfügung stehen.
Und dann gibt es noch die Aufgabe, die Thias an diesem Tag nach Alsfeld führt. Die HLG bietet Kommunen wie Alsfeld an, sie rundum bei der Umsetzung eines Projekts wie der Schaffung eines Industriegebiets zu unterstützen. Gunther Thias selbst hat für die HLG im Auftrag der Stadt Alsfeld die Grundstücke, auf denen unter anderem DHL Express seinen Deutschland-Hub bauen will, angekauft. Im Interview mit OL erklärt der Vogelsberger nun, wie solche Gespräche ablaufen, welche Schwierigkeiten es gab – und wie der aktuelle Stand der Bauarbeiten aussieht.
Das Interview
Oberhessen-live: Herr Thias, wir haben im Vorgespräch über die Aufgaben der HLG gesprochen. Das sind ja wirklich eine ganze Menge. Wenn wir uns jetzt auf Ihr Engagement beim Industriegebiet Weißer Weg konzentrieren. Sie haben also für die Stadt die Grundstücke, auf denen die Logistikhallen gebaut werden sollen, angekauft. Ähnlich wie Sie das tun, wenn die Bahn irgendwo neue Schienen verlegen will und dafür Grundstücke braucht?
Gunther Thias: Genau. Auch Kommunen können die HLG beauftragen, für Bauprojekte nach fest vorgeschriebenen Vorgaben Grundstücke anzukaufen. Genau das haben wir für die Stadt Alsfeld beim Industriegebiet Weißer Weg getan. Aber das war nicht unsere einzige Aufgabe bei dem Projekt.
Was kam denn noch dazu?
Wir arbeiten schon über 40 Jahre mit Alsfeld zusammen, in verschiedenen Projekten. Die Stadt hat beim Weißen Weg sozusagen das Komplettpaket gebucht. Dabei unterstützen wir die Kommune ab der Idee für ein Projekt bei allen nötigen Planungs- und Arbeitsschritten, um unbebaute Fläche so zu erschließen, dass darauf gebaut werden kann – zum Beispiel ein Industriegebiet. Dabei arbeiten wir als Projektleiter auch mit externen Experten zusammen und bieten Finanzierungsmöglichkeiten an. Am Ende sind die Grundstücke vermarktet, Straßen führen dorthin, Versorgungsleitungen sind gelegt. Es fehlen nur noch die Gebäude.
Bleiben wir nochmal beim Ankauf der Grundstücke für solche Projekte. Das ist bestimmt nicht einfach. Nicht jeder will vermutlich sofort verkaufen.
Natürlich gibt es immer wieder Menschen, die zögern, weil sie zwar verstehen, dass eine Straße oder ähnliches gebaut werden soll, damit aber einfach nicht einverstanden sind. Außerdem trennt man sich schwer von Eigentum, aus ganz unterschiedlichen Gründen, finanziellen, steuerlichen oder sentimentalen. Uns ist daher der persönliche Kontakt wichtig. Wir kommen raus zu den Menschen und erklären unser Anliegen, ehrlich und transparent. Die Leute müssen sich verstanden und abgeholt fühlen. Und wir machen deutlich, dass wir niemanden bevorzugen.
Das heißt, es macht keinen Sinn, als Letzter zu verkaufen und auf einen höheren Preis zu hoffen?
Genau, das ist uns ganz wichtig. Ohne Gleichbehandlung gibt es kein Vertrauen. Jeder bekommt im Verhältnis das Gleiche.
Und wenn sich jemand weigert, für den Preis zu verkaufen?
Dann sind wir als HLG erst einmal raus. Unser Modell basiert auf Freiwilligkeit. Die Kommune kann dann aber aktiv werden und ein so genanntes Baulandumlegungsverfahren anstoßen. Das ist keine Enteignung, sondern ein mit gesetzlichem Zwang arbeitendes Tauschverfahren von Grundstücken, bei dem der Eigentümer gewisse Einschnitte hinzunehmen hat. Diese Möglichkeit gibt es immer. Ein verkaufsunwilliger Eigentümer kann ein geplantes Bauprojekt also nicht verhindern. Dieses Verfahren ist Sache der Kommune, aber wir können sie dabei unterstützen – indem wir nach verfügbaren Tauschflächen suchen, zum Beispiel.
Da klingt an, was Sie in unserem Vorgespräch erklärt haben: Sie versorgen die Landwirtschaft mit dem nötigen Land.
So ist es. Einem Landwirt wird seine wirtschaftliche Grundlage entzogen, wenn sein Land bebaut wird. Da hilft eine Geldentschädigung wenig. Also helfen wir der Kommune in solchen Fällen, Land zu finden, welches der Landwirt pachten oder kaufen kann. Die Stadt Alsfeld hat das übrigens beim Weißen Weg ziemlich gut gemacht.
Inwiefern?
Sie hat uns früh beauftragt, landwirtschaftliche Fläche in der Region anzukaufen. Diese konnte den Bauern, auf deren Feldern nun das Industriegebiet gebaut wird, angeboten werden. Der Weiße Weg ist mit gut 40 Hektar unser größtes Projekt in Mittelhessen. 2017 haben die Planungen dafür angefangen. Weil viele Projektschritte parallel liefen und auch wegen der Größe war das Vorhaben für uns durchaus anspruchsvoll.
Wie ist denn der aktuelle Stand bei dem Projekt?
Nachdem der Bebauungsplan durch das Regierungspräsidium genehmigt und veröffentlicht wurde, haben wir die Erschließungsarbeiten ausgeschrieben und konnten im Frühjahr mit diesen Arbeiten anfangen. Im Grunde laufen gerade drei wichtige Arbeitsabschnitte: Der erste sind die äußeren Erschließungsarbeiten mit dem Anschluss ans öffentliche Netz, sprich Wasser-, Abwasser- und Regenwasserleitungen und die Verkehrsanbindung an die B62, die geschaffen wird, weshalb die Straße grade provisorisch an der Baustelle vorbegeht.
Als zweites ist der Bodenschutz zu nennen. Wir haben den fruchtbaren Mutterboden abgetragen und zwischengelagert. Gerade suchen wir Flächen, auf denen wir ihn ausbringen können, um so die für die Landwirtschaft wertvolle, humusreiche Erdschicht zu bewahren.
Und als drittes gibt es den Artenschutz. So laufen gerade Vergrämungsmaßnahmen – das heißt, wir sorgen mit stetiger landwirtschaftlicher Bewirtschaftung dafür, dass sich zum Beispiel Feldvögel wie Rebhühner, Wachteln oder Lerchen nicht dort einnisten, wo gegenüber der Hartmann-Tankstelle eine Regenrückhaltung gebaut werden soll. Zudem haben wir 1,8 Kilometer Zaun um das Gelände gezogen, um die geschützte Zauneidechse so abzufangen und vor Schaden zu bewahren. Die Tiere werden eingesammelt und in ein neues Habitat gebracht.
Nicht jeder in der Region ist trotz dieser Schutzmaßnahmen Fan des Industriegebiets. Es gab im Vorfeld Proteste von Anwohnern und Umweltschützern. Wir sind nicht weit entfernt vom Dannenröder Wald, in dem heftig gegen den Ausbau der A49 protestiert wurde. Rechnen Sie bei den Arbeiten mit Störungen?
Sie sprechen da etwas Richtiges und Wichtiges an. Überall dort, wo größere Eingriffe gemacht werden, gibt es nicht nur Zustimmung. Aber wir bewegen uns völlig auf dem Boden der rechtlichen Normen im Baugesetzbuch bei diesem Projekt. Da haben wir versucht, größtmögliche Sorgfalt walten zu lassen, um keine Verfahrensfehler zu begehen. Uns ist bewusst, dass es da Widerstand gegeben hat.
Aber bei der Aufstellung des Bebauungsplans können Bedenken und Kritik angemeldet werden. Die Dinge, die eingegangen sind, haben wir ordnungsgemäß bearbeitet. Der Bebauungsplan war dreimal in der Offenlage, es sind dreimal Einwände gekommen, die immer wieder eingearbeitet worden sind. Wir rechnen jetzt nicht mit massivem Protest bei den Arbeiten. Wenn dann doch auf einmal ein Zelt auf dem Grundstück steht, dann müssen wir reagieren. Bisher haben wir aber keine solche Ereignisse gehabt.
Die Kritik, die vorgebracht wurde, richtete sich vor allem gegen die Versiegelung und damit die Zerstörung von landwirtschaftlichen Flächen. Flächen, die sie ja eigentlich bewahren sollen.
Bei der HLG treffen sich viele Nutzungskonflikte mit Bezug zu Grundstücken. Unsere Aufgabe ist es, die zu moderieren. Es ist richtig: Wir können nicht jede Versiegelung verhindern. Aber ich glaube, wir haben beim Weißen Weg ein ordentliches Bodenschutzkonzept sowie ein ordentliches Naturschutzkonzept abgeliefert. Und auch für die Landwirtschaft haben wir insbesondere mit unseren vorher gesammelten Tausch- und Ersatzflächen eine gute, ausgewogene und faire Behandlung angeboten. Dennoch lief nicht alles total reibungslos. Natürlich waren da emotionale Sachen dabei, wo jemand gesagt hat, er müsse sich überlegen, ob er seinen Betrieb überhaupt weiterführen könne, wenn er die Fläche abgibt.
Alles in allem haben wir aber ohne größere Probleme in relativ kurzer Zeit sehr viele Flächen für das Industriegebiet kaufen können. Ein Baulandumlegungsverfahren, also eines dieser gesetzlich geregelten Tauschverfahren, ist übrigens gerade rechtskräftig geworden. Ziel ist, Ende 2025 mit allem fertig zu sein. Wir liegen Stand jetzt mit den Arbeiten voll im Zeitplan.
Anmerkung der Redaktion: Dies ist die aktualisierte Version eines Interviews, das am 23. Dezember 2023 zuerst auf Oberhessen-live veröffentlicht wurde.
Sehr gut! Alsfeld wird enorm von den zusätzlichen Steuereinnahmen und den kommenden Arbeitsplätzen profitieren. Andere Gemeinden in Hessen in guter geographischen Lage haben es bereits vorgemacht, wie positiv der Effekt einer solchen Maßnahme mittel bis langfristig ist.
Dazu noch die neue Feuerwache, die neue Polizeistation und die Lehrkräfteakademie. So geht Standortpolitik. Einfach toll, wie es in Alsfeld vorwärts geht 💪
Das kleinere Übel passiert jetzt, aber
die Lebensqualität der Alsfelder wird generell spürbar beeinträchtigt werden. Die Baumaßnahmen (Umweltzerstörung) ist das eine, das andere wird direkt jeden Alsfelder treffen.
Täglich werden hunderte von Schwerlaster und Kleintransporter nach Alsfeld strömen.
Keiner soll sich vom Bürgermeister blenden lassen dass sich dieses Schauspiel nur Nachts am „Weißen Weg“ abspielt.
Die Schwerlaster werden sich in Alsfeld ihr Plätzchen suchen und von dort ihre nächstes Ziele ansteuern. Es gibt genug Beispiele in Alsfeld wo LKW Fahrer mit ihren 40t ern den Anwohnern Nachts den Schlaf rauben. Die Parteien CDU, UWA, SPD tragen dann die Verantwortung dafür.
Bei der Vernichtung der Lebensgrundlagen liegt ihr voll im Zeitplan.