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Die Ukrainerin Yuliia Neboha wohnt seit fast einem Jahr in Altenburg„Viele Menschen sind nicht bereit, die Ukraine zu verlassen“

ALTENBURG (akr). Mehr als eine Millionen Menschen sind seit dem Kriegsbeginn aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet – so auch die 34-jährige Yuliia Neboha und ihre Tochter Zlata. Seit fast einem Jahr leben die beiden nun schon in Altenburg, wo sie ihr neues Leben begonnen haben. Ein Besuch.

„Herzlich Willkommen, wir hoffen, dass es euch bei uns gefällt“ steht auf einem DINA4-Blatt geschrieben, das Yuliia Neboha aus dem Sideboard im Wohnzimmer holt. „Das werde ich mir immer aufheben“, sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht. Es ist ein kleiner Willkommensgruß von ihren Vermietern Thomas und Heike. Seit knapp einem Jahr wohnt Neboha gemeinsam mit ihrer achtjährigen Tochter Zlata mit in deren Haus in Altenburg – und zwar dank eines glücklichen Zufalls, beziehungsweise einer glücklichen Begegnung im Park.

Neboha ist gemeinsam mit ihrer Tochter am 4. März 2022 aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, nachdem sie zuvor mehrere Tage auf der Suche nach Sicherheit in ihrer Heimat waren. Von Anfang an stand für sie fest, dass sie in ihrer Wohnung in Odessa nicht bleiben können. „Ich hatte Angst, dass wir als erstes getroffen werden, wir haben im höchsten Haus im 15. Stock gewohnt“, erzählt die 34-Jährige auf ukrainisch. Die ehrenamtliche Dolmetscherin Nadiya Lerch ist das ganze Interview dabei und übersetzt.

„Wir haben die ganze Zeit Angst gehabt, dass sie kommen“, sagt Neboha und erinnert sich an die Sirenen, die ständig ertönten, auch Raketen habe sie von ihrer Wohnung aus beobachten können. Die Russen seien schon in Mykolajiw gewesen, also nicht weit entfernt von Odessa. Zunächst versteckten sich beide mit Nebohas Lebensgefährten in einem Keller. „Zwei Tage haben wir dort verbracht“, erzählt die 34-Jährige.

Doch die Gefahr sei zu groß gewesen, bei einem Einsturz verschüttet zu werden. Also entschieden sie sich, bei ihrer Schwägerin unterzukommen. „Wir haben gewartet, dass es aufhört, aber es hörte nicht auf“, betont die junge Frau. Sie verstecken sich noch einige weitere Tage in verschiedenen Häusern. „Die Panik wurde dann noch größer, als wir mitbekommen haben, dass die ganzen Grenzen voll sind“, erinnert sie sich.

Yuliia Neboha und ihre Tochter Zlata. Die 34-Jährige hat versucht, ihre achtjährige Tochter so gut es geht vom Krieg fernzuhalten – so wurde beispielsweise in Zlatas Anwesenheit keine Nachrichten geschaut. „Sie weiß nicht wirklich, was Krieg ist und was in der Ukraine passiert“, erzählt die Mutter.

Neboha traf die Entscheidung ihre Heimat zu verlassen gemeinsam mit ihrer Tochter. Ihr Lebensgefährt fuhr die beiden an die Grenze zu Rumänien – er musste zurückbleiben, seitdem telefonieren sie eigentlich täglich. „Acht Stunden haben wir an der Grenze gewartet“, erzählt die 34-Jährige. Essen und Trinken hatten sie nicht dabei, sie hatten nur schnell ein paar warme Kleidungsstücke gepackt.

Von Rumänien ging es für Mutter und Tochter schließlich mit dem Flugzeug nach Frankfurt. Dort wurden sie von ihrer älteren Halbschwester abgeholt – und die wohnt übrigens in Alsfeld, wo Neboha und Zlata dann auch die erste Woche verbrachten. Doch auf Dauer konnten sie bei ihrer Schwester nicht bleiben, wie Neboha erzählt. Sie sind dann anschließend in der Villa Raab untergekommen, diese hatten nämlich ihre Zimmer für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung gestellt.

Ein glücklicher Zufall im Park

Als die 34-Jährige gemeinsam mit ihrer Tochter und Schwester im Park bei der Villa spazieren waren, trafen sie auf ein älteres Ehepaar mit Hund. „Zlata ist hin und hat den Hund gestreichelt“, erinnert sich Neboha und lächelt – und so ist ihre Schwester schließlich mit dem Paar ins Gespräch gekommen. Dabei stellte sich heraus: In dem Haus des Paares war eine Wohnung frei, die sie für ukrainische Geflüchtete anbieten wollten – und genau in dieser leben seit fast einem Jahr nun schon Neboha und Zlata, wofür sie sehr dankbar sind.

Zlata ist an diesem Montagmorgen beim Gespräch nicht dabei. Die achtjährige ist in der Schule. „Sie war an der Gerhart-Hauptmann-Schule eine der ersten von den ukrainischen Kindern“, erzählt ihre Mutter. Deshalb lief es auch mit dem Deutschlernen anfangs besser, als jetzt. Momentan stagniert es etwas, denn jetzt sind dort viele Kinder, mit denen sie auch ukrainisch sprechen kann.

Neboha ist auch fleißig am Deutschlernen. Seit einem halben Jahr besucht sie vier Mal die Woche einen Kurs an der Volkshochschule. Sie verstehe schon vieles – wenn man nicht zu schnell redet – aber es falle ihr schwer sich auszudrücken. Der Satzbau bereitet ihr nämlich Schwierigkeiten, „aber ich will es beherrschen“, betont die Ukrainerin. Dafür verzichtet sie auch schon seit einiger Zeit beispielsweise auf den Google-Übersetzer, den sie anfangs oft benutzt hat. Sie weiß nämlich, dass dieser nicht unbedingt richtig übersetzt. „Ich versuche ohne ihn zurecht zu kommen“, sagt sie.

Einen Job hat Neboha aktuell nicht. Sie hat mal für kurze Zeit in einem Geschäft geputzt, doch das wurde ihr dann mit dem Deutschlernen zu viel, wie sie erzählt. Die 34-Jährige ist gelernte Floristin und würde auch gerne wieder in diesem Bereich arbeiten. „Das ist schon mein Traum“, sagt sie und lächelt. Ob sie, wenn der Krieg irgendwann vorbei sein sollte, wieder zurück in die Ukraine möchte, kann sie nicht wirklich beantworten.

Rückkehr in die Heimat?

Am Anfang stand für sie fest, dass sie zurück in ihre Heimat will. „Ich dachte wir bleiben höchstens zwei Monate.“ Die ganze Zeit habe sie gewartet, dass der Krieg endlich endet. Jetzt erst verstehe sie so langsam, was in ihrer Heimat eigentlich passiert. Vorher wollte es ihr Verstand nicht realisieren, sie hat nur gewartet, dass es endlich aufhört, erzählt sie. „Ich habe gelernt damit umzugehen“. Die meisten Chatgruppen zum Krieg hat sie verlassen, weil sie damit nicht mehr umgehen konnte. Nur in der über Odessa ist sie geblieben.

Mittlerweile ist sie unentschlossen, ob sie nach Kriegsende wieder in ihre Heimat zurückkehrt, schließlich hat sie hier ein neues Leben begonnen. Wenn alles klappt, sie eine Arbeit findet, dann würde sie wahrscheinlich hier bleiben, erzählt die Ukrainerin. Ihr gefällt das ländliche Leben, die Ruhe, die sie momentan einfach braucht und bekommt – anders als in einer Großstadt.

„Ich fühle mich hier sehr wohl“, sagt sie, blickt auf das DINA4-Blatt und lächelt. Es beeindrucke sie sehr, wie hilfsbereit die Menschen sind. Sie erinnert sich an eine Situation, als ihre Tochter nach der Schule nicht nach Hause kam und ihre Nachbarn dann für sie in der Schule anriefen, nachdem sich Neboha Sorgen machte.

„Dann sind sie sogar noch mit dem Auto zur Schule gefahren“, erzählt sie. Die 34-Jährige hat nämlich keinen Führerschein, den habe sie in der Großstadt schließlich nicht gebraucht. Ihrer Tochter ging es jedenfalls gut. Zlata hatte in der Schule mit einer Freundin gespielt und einfach die Zeit vergessen.

Mit ihrer Familie in der Ukraine steht Neboha regelmäßig in Kontakt. Unter anderem leben dort noch ihre zwei Brüder, Tanten, Cousins. Ihre Eltern sind beide bereits vor dem Krieg verstorben. „Viele Menschen wollen wegen ihrer Verwandtschaft, die im Krieg ist, nicht flüchten“, erzählt Neboha. Deshalb sind auch ihre Tanten nicht mit nach Deutschland gekommen. Für manche Menschen sei es schlimmer, nicht zu wissen, wie es für sie woanders weiter geht, als im Krieg zu leben, erzählt die Ukrainerin. „Viele Menschen sind nicht bereit, die Ukraine zu verlassen“, betont die 34-Jährige. Yuliia Neboha war es.

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