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Die Blaulicht-Protokolle: Was Retter im Vogelsberg erleben – Teil 3 mit Polizist Boris Schmidt„‚Drecksbulle‘ bekomme ich regelmäßig zu hören“

ALSFELD (ls). Für Boris Schmidt gehören lautes Gebrüll, Aggressionen und Beleidigung ihm gegenüber zum Alltag. Dann kommt es darauf an, Ruhe zu bewahren und einen Zugang zum Menschen zu finden. Nicht immer gelingt das dem Polizisten aus dem Vogelsberg. Dann bleibt nur noch der körperliche Zwang – wenn auch als unliebsames Mittel. Teil 3 der Blaulicht-Protokolle.

Die Silvester-Krawalle in Berlin haben ein Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, was in den Nachrichten immer wieder mal vorkommt, aber im Alltag dann doch untergeht: Mangelnder Respekt gegenüber Einsatzkräften in Uniform. Auch wenn Berlin andere Maßstäbe setzt: Das Phänomen lässt sich auch im beschaulichen Vogelsberg beobachten.

OL hat mit jeweils einem Vertreter der Polizei, der Feuerwehr und des Rettungsdienstes gesprochen und gefragt, welche Situationen den Helfern besonders in Erinnerung geblieben sind. Herausgekommen sind: die Blaulicht-Protokolle. Heute mit Boris Schmidt, Bereichsleiter für Alsfeld im Polizeipräsidium Osthessen.

Protokoll von Polizei Boris Schmidt

„Verpiss dich du Bullenschwein“, „Halt die Fresse, du Hurensohn“ oder Klassiker wie „Drecksbulle“, „Arschloch“ oder „Fick dich“ bekomme ich regelmäßig zu hören. Situationen, in denen wir von betrunkenen oder psychisch labilen Menschen angeschrien und beleidigt werden und die Menschen uns sehr nahekommen, begegnen uns tagtäglich auf der Straße. Kein Spaß, das sind alltägliche Situationen wie Hilfeleistungen, Einsätze, bei denen Menschen suizidale Absichten erklären oder einfach stark alkoholisierte Personen, die zur Ausnüchterung in ein Krankenhaus gebracht werden sollen. Alltägliche Situationen, in denen wir teilweise aufs Niedrigste beschimpft werden.  

Gerade Einsätze mit psychischen Ausnahmesituationen haben wir wöchentlich. Wenn dann noch Drogen oder Alkohol dazu kommen, dann fehlt nicht mehr viel, dass das normale Leben nicht mehr bewältigt werden kann und das mündet oft in Zerstörungswut gegen Gegenstände in der Wohnung oder im Haus. Grade vor Kurzem hatten wir erst so einen Fall, in dem ein ganzes Treppenhaus in dieser Zerstörungswut demoliert wurde. Wenn sich dann noch Unbeteiligte einmischen, dann kann die Situation schnell eskalieren.

Nicht immer mündet das in Aggressionen oder Gewalt gegenüber der Polizei. Oft ist aber der Rettungsdienst schon vor Ort. Sie sind erst einmal „die guten Helfer“ und wir als Polizei kommen dann einfach in der falschen Farbe, weshalb sich die Wut dann oftmals in unsere Richtung kanalisiert – zum Glück für den Rettungsdienst muss ich sagen. Wir haben rechtlich nochmal andere Mittel.

Körperliche Angriffe sind hier zum Glück noch nicht die Regel, aber Rücksichtslosigkeit dafür schon.

Diesen Menschen kann man die verbalen Attacken nicht übelnehmen, sie sind psychisch krank. Deshalb spiegeln unsere offiziellen Zahlen auch oft nicht das wider, was wir täglich erleben. Viele Beleidigungen werden erst gar nicht zur Anzeige gebracht, weil dieses respektlose Verhalten inzwischen leider irgendwie zum Alltag gehört. Ich will es nicht pauschalisieren, aber das ist mittlerweile der raue und traurige Umgangston uns gegenüber.

Wie es dazu gekommen ist, kann ich nur mutmaßen. Vielleicht ist es der gestiegene Medienkonsum. Im Internet auf Youtube, TikTok, in Realityshows oder in Spielen: Der Ton ist auch da anders, als er früher einmal war. Dadurch ist die Hemmschwelle, gewisse Dinge zu sagen, vielleicht gesunken.

Wir sind hier im Vogelsberg jedoch noch in der glücklichen Lage, dass diese verbalen Attacken nicht zugenommen haben, sondern auf einem gleichbleibenden Niveau sind. Es gibt natürlich immer mal Schwankungen nach oben oder nach unten, aber gerade hier im ländlichen Raum ist es doch noch so, dass die Leute noch miteinander sprechen und man viele Dinge so klären kann. In der Stadt, in der alles etwas unpersönlicher ist, ist das oft nicht mehr so einfach möglich. Bemerkbar macht sich aber schon, dass der Ton rauer geworden ist – gerade auch bei Jugendlichen – und der Respekt uns gegenüber nachgelassen hat.

Körperliche Angriffe sind hier zum Glück noch nicht die Regel, aber Rücksichtslosigkeit dafür schon. Das ist immer wieder Kern von Auseinandersetzungen – auch bei Lappalien wie Straßensperrungen. Sobald abgesperrt wird, ist eigentlich immer jemand dabei, der genau da jetzt durchmuss, weil er einen Termin hat. Dann interessiert es die Menschen nicht, dass wenige Meter entfernt vielleicht jemand liegt, der um sein Leben kämpft. Dieser extreme Egoismus ist erschreckend.

Polizist und Bereichsleiter beim Polizeipräsidium Osthessen, Boris Schmidt. Foto: ls

In den letzten Jahren haben sich aber auch die psychischen Grundlagen geändert. Wir beobachten, dass die Menschen labiler geworden sind – insbesondere Jugendliche. Bei ihnen hat sich durch Corona einiges verschoben. Die Hobbys sind weggefallen, Jugendräume sind weniger geworden und werden auch nicht mehr genutzt, also spielt sich ihre Freizeit oft auf der Straße ab. Wir haben viele Jugendliche, die am Bahnhof abhängen, der Drogen- und Alkoholgenuss unter Jugendlichen ist exzessiver geworden – so jedenfalls mein persönlicher Eindruck. Wir haben oft mit Jugendlichen zu tun, die sehr hohe Alkoholwerte intus haben. Das war zwar früher auch schon so, hat allerdings in geschützten Räumen stattgefunden. Jetzt ist das in die Öffentlichkeit gewandert.

Wenn Alkohol dazu kommt, sinkt die Hemmschwelle. Ich hatte einmal einen Einsatz, wo wir ein Hausrecht in einer Obdachlosenunterkunft durchsetzen sollten. Da war ein Mensch stark alkoholisiert und hat sich nicht gut verhalten, weshalb er ausziehen sollte, weil es in der Unterkunft nicht mehr funktioniert hat. Als wir ankamen, wurde der Mann verbal sehr aggressiv. Dazu muss man sagen, dass er uns körperlich deutlich überlegen war. Er war gut 1,90 Meter groß und sehr trainiert. Über eine halbe Stunde habe ich ruhig versucht, auf ihn einzureden und versucht ihn zu beruhigen, aber die Stimmung war sehr schwankend. Ich habe ihn letztlich nicht erreichen können und es ist im körperlichen Zwang geendet. Das ist frustrierend, weil ich nicht gerne körperlich werde. Kein Beamter nutzt gerne körperlichen Zwang. Leider ist das manchmal trotzdem nötig.

Meistens aber klappt der ruhige, kommunikative Ansatz, den wir als Polizei verfolgen. Wir wollen keine Aggressionen schüren, sondern Lösungen finden – und dazu bedarf es Ruhe und Kommunikation, um die Menschen zu erreichen und mitzunehmen. Ob das funktioniert, hängt an vielen Faktoren: Wie geduldig der Beamte ist, wie einsichtig der Mensch, wie erreichbar er für uns vielleicht ist, trotz eines Ausnahmezustandes. Dazu braucht es Erfahrung.

Es gibt aber auch Situationen, wo man mit der reinen Kommunikation nicht weiterkommt und man weitere polizeiliche Maßnahmen treffen muss – da ist die Bodycam eine dieser deeskalierenden Maßnahmen. Viele Leute beruhigen sich, wenn sie wissen, dass sie gefilmt werden. Denn das Filmen wird von uns angekündigt und auch kommunikativ begleitet. 

Ich würde mir wirklich einen respektvolleren Umgang untereinander wünschen. Ich denke, das wünscht sich eigentlich jeder.

Man darf aber nie in einen Einsatz reingehen und sich denken, dass da nichts passiert. Vielmehr sollte man jeden Einsatz so angehen, als könnte etwas passieren. Deshalb gibt es gewisse Verhaltensmuster, die man sich als Polizist aneignet und die wirken nach außen leider bei manchen provokant. Wenn ich bei Verkehrskontrollen die Hand an der Waffe habe, oder mit Abstand zu den Menschen stehe, dann dient das meinem Eigenschutz, wird vom Gegenüber aber oft falsch verstanden. Das ist weder provokant noch arrogant – ich kann aber jedem Menschen erst einmal nur vor den Kopf gucken. Daher geht der Eigenschutz erst einmal vor.

Im Endeffekt muss man sagen: Wir sind auch nur Menschen und wir wünschen uns, dass wir so behandelt werden, wie andere behandelt werden möchten. Wenn das in einem gewissen Maße von jedem eingehalten werden würde, dann hätten wir solche Situationen gar nicht.

Jeder Kollege entwickelt irgendwann ein dickes Fell, man muss nur aufpassen, dass es nicht zu dick wird, und dass man abstumpft. Ich würde mir wirklich einen respektvolleren Umgang untereinander wünschen. Ich denke, das wünscht sich eigentlich jeder. Jeder hat das Bedürfnis danach, dass man respektvoll behandelt wird und deshalb denke ich, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, die sich auch die Polizei im Umgang mit ihr wünscht. Aber wir sind noch weit weg von Berlin. Glücklicherweise.

Aufgezeichnet von Luisa Stock

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